Die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel ist laut Christian und Christine Fredrich für gehbehinderte Menschen noch immer beinahe unmöglich. Gründe dafür sind etwa Höhenunterschiede zwischen Zug und Gleis oder Treppen im Zug. Christian und Christine Fredrich wissen, wovon sie sprechen: Sie haben beide eine Gehbehinderung. Er sitzt im Rollstuhl, sie ist auf einen Rollator angewiesen. Die Alternative: Das Ehepaar hat beim Landkreis Lörrach 7500 Euro Eingliederungshilfe zum behindertengerechten Umbau eines Autos beantragt.
Der mühsame Weg zur Bahnhaltestelle
Um diese Hilfe sah es zunächst schlecht aus, das Landratsamt wies darauf hin, dass das Ehepaar den öffentlichen Nahverkehr nutzen könne. Aber das ist einfacher gesagt als getan: „Die Busse fahren unregelmäßig und sind oft nicht mit einer Rampe ausgestattet. Der Bahnhof Herten ist zwei Kilometer von uns entfernt. Ich brauche mit dem Rollator so 15 bis 20 Minuten, um dort hinzukommen.“ Ihr Mann brauche mit dem Rollstuhl eine Stunde. „Zum Teil sind die Bürgersteige nicht abgesenkt, teilweise muss er auf der Straße fahren“, berichtet Christine Fredrich.
Wie kommen sie in den Zug und wieder raus?
Am Bahnhof angekommen gehen die Probleme weiter: „Es ist schon möglich, dass ich in Herten in den Zug reinkomme, aber ich komme in Rheinfelden und in Basel Badischer Bahnhof nicht raus – also kann ich auch nicht nach Lörrach.“ Am Badischen Bahnhof gebe es 20 Zentimeter Höhenunterschied zwischen dem Zug und dem Gleis, erläutert Christian Fredrich.
Treppen in der Bahn, Aufzüge an Bahnhöfen fehlen
Und ob der 58-Jährige in einen Zug einfahren kann oder nicht, könne er vor der Fahrt nicht wissen: Die alten Züge der Deutschen Bahn sind nicht behindertengerecht ausgestattet und haben Treppen. Ob die Deutsche Bahn einen neuen oder alten Zug schickt, wisse man allerdings nicht, bis man davorsteht. Hinzu komme, dass an einigen Bahnhöfen Aufzüge fehlen.
Die Lösung: ein behindertengerechtes Auto
Daher kam als praktikable Lösung nur ein behindertengerechtes Auto infrage. „Wir haben das Auto aus eigenen Mitteln finanziert. Die Kosten für den Umbau zum behindertengerechten Fahrzeug übernimmt zur Hälfte eine Stiftung. Aber die weiteren 7500 Euro für Umbaukosten und Überführung hierher können wir nicht stemmen. Das haben wir dem Landratsamt auch erklärt“, sagt die 60-Jährige und betont: „Wir sind keine Schmarotzer, die sagen: ‚Hier, Landkreis, stell uns ein Auto zur Verfügung.‘ Stattdessen haben wir vorher angefragt, ob es möglich ist, einen Zuschuss zu bekommen, auch als Rentner und wenn man nicht im Berufsleben steht. Da hieß es: ,Ja. Sie haben ein Recht auf die Führung eines selbstbestimmten Lebens.‘“ Also habe das Paar den Antrag ausgefüllt. Bei der Frage „Ist ÖV nutzbar?“ hätten sie „Ja“ angekreuzt, denn theoretisch sei das ja möglich. Doch das führte dazu, dass der Antrag zunächst abgelehnt wurde.
Seit April 2024 bemühte sich Christine Fredrich um den Zuschuss, was anstrengend gewesen sei. Jetzt gebe es gute Neuigkeiten: Das Landratsamt übernimmt die Kosten für den Umbau des Autos. „Das haben sie uns in einer Videokonferenz zugesichert“, sagt Christine Fredrich. Das Auto werde es Christian Fredrich ermöglichen, sein Leben aktiver zu gestalten.
Das Thema Barrierefreiheit muss ernst genommen werden
Doch das Problem der fehlenden Barrierefreiheit im öffentlichen Nahverkehr bleibt: „Im Grundgesetz steht, die Würde des Menschen ist unantastbar. Es ist schön, dass ich ein Recht auf eigenständiges Leben habe, aber für den Staat ist das nur eine Floskel. Man sollte nicht nur von Barrierefreiheit reden, sondern das Thema ernst nehmen. Man sollte die Züge so anpassen, dass keine Treppen drinnen sind, und dafür sorgen, dass es keinen Höhenunterschied zwischen den Zügen und dem Gleis gibt“, fordert Christian Fredrich.
Keiner hilft mehr einer Frau mit Kinderwagen
„Es betrifft nicht nur die Rollstuhlfahrer“, ergänzt seine Frau. „Es ist die ältere Frau mit dem Rollator, es ist der Mann, der sich beim Skifahren das Bein gebrochen hat und jetzt mit Krücken läuft, oder die Mutter mit Kinderwagen. Für sie alle sind das Hindernisse. In der heutigen Gesellschaft hat außerdem die spontane Hilfsbereitschaft nachgelassen. Wenn ich früher eine Frau mit Kinderwagen gesehen habe, habe ich halt kurz mit angepackt. Heute laufen die Leute einfach vorbei.“ Dass bald bauliche Änderungen von der Bahn realisiert werden, bezweifelt Christine Fredrich. Auch wegen der nötigen finanziellen Mittel. Ihre Anfrage an die Deutsche Bahn blieb unbeantwortet.
Kranke und Behinderte sind die Leidtragenden
„Die Politik hat mit dem Recht auf ein selbstbestimmtes Leben einen zahnlosen Tiger erschaffen“, findet Christian Friedrich. Es herrsche viel Gleichgültigkeit. Man sehe die Hürden, man kenne sie, aber tue zu wenig dagegen. „Sagen wir, ich habe einen Arzttermin und muss nach Rheinfelden oder Lörrach. Wie komme ich da hin? Soll ich dann, wenn ich feststelle, dass ich auch in den dritten Zug nicht hereinkomme, den Termin absagen und noch einmal drei Monate warten? Die Leidtragenden im System sind die Schwächsten: die Kranken und die Behinderten“, meint Christian Fredrich.