Herr Kaiser, Sie haben 2015 die Birkendorfer Chronik veröffentlicht. Im Oktober soll Ihr zweites Buch über Ihren Heimatort vorgestellt werden. Wie heißtes?

Das Buch trägt den Titel „Birkendorfer Soldatenschicksale“ mit dem Untertitel „Die Jungen werden erschossen – die Alten sind bald nicht mehr“.

Der Haupttitel ist klar, aber wie kommen Sie auf diesen Untertitel?

In aufbewahrten Beileidsbriefen der Familie Metzler aus Igelschlatt, die zwei Söhne nacheinander verloren hat, finden sich fast nur Formulierungen wie „gefallen für das Volk, Führer und Vaterland“, „gefallen auf dem Feld der Ehre“ usw. Im Trauerbrief einer Tante der beiden Gefallenen stand der Satz „Die Jungen werden erschossen – die Alten sind bald nicht mehr“. Angesichts all der üblichen Phrasen zeigt dieser Satz, wie es in Wirklichkeit aussah. Diese Frau hatte den Mut, auszusprechen, was wirklich geschah, ohne mögliche Konsequenzen von „oben“ zu fürchten. Deshalb steht dieser Satz einer einfachen, aber klugen Frau in meinem Buch.

Was trieb Sie an, dieses Buch zu schreiben und was ist der Inhalt?

Ausgangspunkt war 2018 meine Initiative, eine namentliche Gedenktafel für die Birkendorfer Gefallenen des Ersten Weltkriegs auf dem Friedhof anzubringen. Ich habe die Namen der Gefallenen recherchiert und wollte erfahren, welche Menschen hinter den bloßen Namen stehen. Wir fragen heute unsere Kinder und Jugendlichen gerne in üsere Sproch: „Wem ghörsch du denn?“ Genauso stellte ich an die Gefallenen die Frage: „Wem hän ihr ghört, wo chömmet ihr her, was hän ihr in eurem kurze Lebe so gmacht und wie und wo sin ihr ums Lebe cho?“ Die Aussage „Tot ist nur, wer vergessen ist“ steht oft in Traueranzeigen. In diesem Sinne waren die Gefallenen des Ersten Weltkrieges ziemlich tot – und dem wollte ich entgegenwirken. Ich fing 2018 an, Antworten auf diese Fragen zu suchen.

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Meine Ergebnisse wurden in der Zeitung in vier Folgen veröffentlicht. Nachdem ich 2019 ein Buch in meinem zweiten Heimat- und früheren Arbeitsort St. Georgen über den sogenannten St. Georgener Kirchenstreit veröffentlicht hatte, konnte ich mich wieder voll auf Birkendorf konzentrieren. Durch Corona war ich von sonstigen Verpflichtungen befreit und konnte mich voll der Erforschung der 38 Birkendorfer Gefallenen des Zweiten Weltkrieges widmen. Am Ende wollte ich dann doch noch wissen, wie viele Birkendorfer überhaupt als Soldaten im Zweiten Weltkrieg gekämpft haben. Das war keine leichte Aufgabe, da es dazu keinerlei Aufzeichnungen im Gegensatz zum Ersten Weltkrieg gibt. Ich konnte außer den 38 Gefallenen über 70 heimkehrende Birkendorfer Kriegsteilnehmer ermitteln, deren Geschichten ganz kurz oder auch länger erzählt werden.

Woher bekommen Sie die Informationen über die Soldatenschicksale?

Dies sind Gemeindearchive, das Kirchenarchiv von Birkendorf, Wehrmachtsberichte, Wehrpässe, Familiengeschichten, Postkarten. Wichtigste Quellen sind Briefe und weitere Unterlagen von Soldaten, von Angehörigen und Kameraden, Erinnerungen von Zeitzeugen und Nachkommen. Das war mit vielen Gesprächen und schöne Begegnungen mit alten Bekannten verbunden, die natürlich Zeit erforderten. Mit Erich Albrecht und Ferdinand Schwarz (beide 96-jährig) leben noch zwei Birkendorfer, die selbst den Krieg mitgemacht haben und die alle 38 Gefallenen persönlich gekannt haben. Auch die älteste Einwohnerin Birkendorf, Lisbeth Probst, konnte mir noch einige Geschichten erzählen. Es war aller höchste Zeit für dieses Buch, denn bald wird es niemanden mehr geben, der den Krieg – in welcher Form auch immer – selbst miterlebt hat.

In welcher Form haben Sie die Geschichte der Soldaten dargestellt?

Im Hinblick auf die Frage „Wem ghörsch du?“ habe ich die Herkunfts- und auch die Nachfolgefamilien der Gefallenen dargestellt. Nur auf diese Weise ist es möglich, den Gefallenen ein „Gesicht“ zu geben. Das Buch wird auf diese Weise auch zu einem guten Stück eine Birkendorfer Familiengeschichte. Es will nicht nur ein Buch vom Sterben sondern auch vom Leben und Überleben sein und dabei zeigen, dass der Tod nicht das letzte Wort hatte. Beim Ersten Weltkrieg habe ich das Kämpfen und Sterben unserer badischen Soldaten in die Kriegsgeschichte an der Westfront eingebettet, was jedoch nur etwa ein Neuntel der Darstellung des Zweiten Weltkrieges umfasst, bei dem die Quellenlage naturgemäß viel besser war. Beim Zweiten Weltkrieg habe ich die gefallenen Soldaten, ihre „Lebens-, Kriegs- und Sterbegeschichten in der „Ich-Form“ erzählen lassen. Briefe der gefallenen Metzler-Brüder an ihre Mutter, die in den dramatischen letzten Wochen ihres Lebens erzählt haben, regten mich zu dieser „künstlerischen Freiheit“ an. Ich habe das auf alle 38 Gefallenen übertragen, wobei ich mich an bekannte Tatsachen gehalten habe.

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Bei den Gefallenen ist aber auch ein Serbe dabei, der als Zwangsarbeiter in Birkendorf „auf der Flucht erschossen“ wurde. Ich meine, auf diese Weise sind recht persönliche, ergreifende und auch spannende Erzählungen entstanden. Beim Zweiten Weltkrieg wechseln Abschnitte unter der Überschrift „Birkendorfer Soldaten erzählen“ und „Was das Geschichtsbuch erzählt“ ab. Letztere Abschnitte sollen eine Vorstellung davon geben, unter welchen politischen und militärischen Bedingungen unsere Soldaten kämpfen mussten. Am Ende des Buches werfe ich auch einen Blick auf das Kriegsende in Birkendorf und wie es danach weiterging – gefolgt von einer Schlussbilanz mit einer Antwort auf die „Frage nach dem Sinn“.

An wen wendet sich das Buch und gibt es wieder eine Vorstellung?

Zuerst an die Birkendorfer, ob jung oder alt. Jedoch denke ich, dass die Erzählungen der Birkendorfer Soldaten beispielhaft für das Schicksal von Tausenden anderer Soldaten stehen. So meine ich, dass dieses Buch für jeden interessant ist, der sich für sich für diese leidvollen Kapitel der Geschichte unseres deutschen Vaterlandes interessiert. Vorstellen wollen wir das Buch am 30. Oktober im Haus des Gastes. Unser Event-Manager Manuel Dörflinger wird die Gestaltung in die Hand nehmen. Junge Leute werden als Hauptdarsteller des Abends mitwirken und die Besucher dürfen sich wie bei der Vorstellung der Chronik 2015 auf einen spannenden Birkendorfer Abend mit Überraschungen freuen. Näheres wird in der Zeitung zu lesen sein.

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