Akute Wohnungsnot führte in den 60er Jahren zum Baubeginn der Südstadt in Tiengen. 1970 wurde dann das erste Hochhaus und bis heute mit 36 Metern höchste Gebäude der Stadt Waldshut-Tiengen in der Tiengener Pommernstraße Nummer acht gebaut. Fertiggestellt wurde das Gebäude 1973. Bis heute ragt es mit seinen zwölf Geschossen in der Südstadt hervor.

Der damalige Investor des Gebäudes sei in Tiengen umstritten gewesen. Werner Dörflinger, von 1965 bis 1975 zunächst im Tiengener Gemeinderat und nach der Gemeindereform dann im Waldshut-Tiengener Gemeinderat für die CDU, kann sich noch gut an die Zeit erinnern: „Es herrschte Wohnungsnot, und die Stadt war auf der Suche nach Investoren für den Wohnungsbau.“ Die Entscheidung für den Bau des Hochhauses habe sich der Gemeinderat damals nicht einfach gemacht.
„Aber nach sorgfältiger Abwägung haben sich die Stadträte für den Bau des Hochhauses entschieden. Auch aus heutiger Sicht ist das meiner Meinung nach die richtige Entscheidung, denn viele Wohnungen sind belegt, und das Haus ist zum Teil bereits modernisiert worden.“ Das bestätigt auch die Firma Kaiser Immobilien, die für die Verwaltung des Gebäudes zuständig ist. Derzeit gibt es im Hochhaus 73 Eigentumswohnungen, die zum Teil vermietet sind.

Auch wenn einige Tiengener dem Projekt damals skeptisch gegenüber standen, habe man immer die Notwendigkeit für den Bau des Hochhauses gesehen. Werner Dörflinger, von 1975 bis 1983 Erster Beigeordneter der Stadt Waldshut-Tiengen: „Es war eine dynamische Zeit, in der Probleme erkannt und die Entscheidung auch für ungewöhnliche Dinge akzeptiert wurde.“ Was auch für den Bau des Hochhauses gesprochen habe, waren die Preise. Dörflinger: „Es entstanden keine Luxuswohnungen, sondern es wurde bezahlbarer Wohnraum geschaffen.“
Auch der Bau eines zweiten Hochhauses wurde in den 70er Jahren begonnen, nach dem fünften oder sechsten Geschoss allerdings abgebrochen, erinnert sich Dörflinger. So stand die Bauruine jahrelang in der Südstadt und wurde von vielen Tiengenern als „Schandfleck“ oder „Abgebrochener Riese“ bezeichnet. Erst nach der Gemeindereform nach 1975 sei die Bauruine abgerissen worden.
Bedenken aus der Bevölkerung, durch den Bau des Hochhauses könnte eine Art Ghetto entstehen, so wie beispielsweise in einigen Bezirken in Berlin, hätten sich nicht bewahrheitet. „Die Südstadt zeigt heute das moderne Tiengen„, findet Dörflinger.
Entwicklung der Südstadt
- Versumpftes Areal: Bis in die 60er Jahre war die heutige Südstadt Tiengen städtebaulich tabu. Gründe dafür waren die regelmäßigen Überschwemmungen durch die Wutach und der hohe Grundwasserspiegel. Beides führte dazu, dass das Gebiet regelmäßig versumpfte. Auf dem Areal befanden sich deshalb nur Schrebergärten und Wiesen, Ställe und einzelne Gehöfte.
- Wohnungsnot: Zum Ende des Zweiten Weltkriegs und in den Folgejahren, als die Flüchtlingsströme zunahmen, wurde der Wohnraum eng und eine Lösung musste her. Doch die finanziellen Mittel der Stadt Tiengen reichten nicht aus, weshalb Investoren für den Wohnungsbau gesucht wurden. Teuer waren vor allem die aufwendigen Maßnahmen zur Abdichtung des Baugrunds und die Maßnahmen für den Hochwasserschutz.
- Erste Bauten: Eines der ersten Gebäude war der sogenannte „Lonza-Block“. In seinen Hochzeiten in den 50er und 60er Jahren beschäftigte das Chemie-Unternehmen als einer der größten Arbeitgeber der Region dort, wo heute der Gewerbepark Hochrhein ist, bis zu 1600 Mitarbeiter. Es folgte eine explosionsartige Bebauung des neuen Baugebiets an der Wutach und die neuen Straßenzüge erhielten charakteristisch die Namen der ehemaligen deutschen Ostgebiete wie Schlesien, Pommern, Sudetenland und Ostpreußen.
- 60er/70er Jahre: Ende der 60er Jahre entstanden das Klettgau-Gymnasium und die Stadthalle. In den 70er Jahren folgte dann der Bau des Hochhauses in der Pommernstraße.