Die 80er-Jahre brachten landauf, landab einen neuen Farbtupfer auf die politische Landkarte: Die Grünen zogen in Parlamente und Gemeinderäte ein. Ganz vorne mit dabei waren die Wehrer Grünen: Gegründet wurde der Ortsverein schon im Dezember 1979 im damaligen „Adler“ – und ist damit sogar einige Wochen älter als die Bundespartei. Bei ihrer ersten Wahl, bei der Gemeinderatswahl im Juni 1980, erzielte die 15 Personen starke Liste auf Anhieb 7,5 Prozent der Stimmen. Mit dem 35-jährigen Realschullehrer Ulrich Knauf konnten die Grünen erstmals einen Vertreter in den Wehrer Gemeinderat entsenden.

„Eigentlich war ich ja in den 70er-Jahren eher SPD-nah“, blickt Knauf zurück. „Aber als die Sozialdemokraten Erhard Eppler abservierten, war das für mich vorbei.“ Es waren vor allem die Umweltthemen, die ihn motivierten, sich für die Umweltpartei zu engagieren. Im Südwesten waren es die Proteste gegen das geplante Kernkraftwerk Wyhl, die den Grünen neue Unterstützer brachte. Am Hochrhein und im Hotzenwald organisierte sich schon früh eine Protestbewegung gegen Großprojekte, beispielsweise ein geplantes Kernkraftwerk bei Schwörstadt oder gegen ein großes Pumpspeicherbecken im Lindauer Tal.
Ulrich Knauf war 1973 nach Wehr gekommen und engagierte sich damals bei den „GeHo“ – den „Gegnern einer Energielandschaft Hotzenwald“ – gewissermaßen der Vorläufer der Bürgerinitiative Atdorf. Auch als sich Anhänger der neuen grünen Partei zum ersten Mal in Wehr trafen, war Knauf mit dabei. „Zunächst nur als stiller Beobachter, eingetreten bin in die Partei erst ein paar Wochen später.“ Anfang der 80er Jahre traten auch Regine Aisenbrey und Jürgen Ernst in die Partei ein. Bis heute zählen sie zu den aktiven Mitgliedern im Ortsverband.

„Es war fast eine familiäre Atmosphäre“, beschreibt Regine Aisenbrey die Stimmung in den grünen Gründerjahren. Nicht nur politisch sei man sich sehr ähnlich gewesen, auch sonst habe man viel miteinander zu tun gehabt, beispielsweise über eine Einkaufsgemeinschaft von Bio-Produkten. Diese innerparteiliche Harmonie in einer neuen Partei war alles andere als selbstverständlich, waren die Grünen doch ein Sammelbecken aus verschiedensten Protest-Richtungen.
Während sich Großstädten, Landes- und Bundesverbänden die Mitglieder oft über die die richtige Ausrichtung stritten und zwischen „Realos“ und „Fundis“ aufsplitterten, zogen in Wehr alle an einem Strang. „Bei uns gab es keine Flügelkämpfe, wir waren mehrheitlich Realos“, erinnert sich Knauf. Regine Aisenbrey ergänzt: „Es gab keine Hierarchien wie in anderen Parteien, wo Platzhirsche das Sagen hatten. Jeder konnte sich einbringen, das empfand ich als sehr angenehm.“ Ein Stil, der auch in der Bevölkerung ankam: „Die regelmäßigen Veranstaltungen zu Themen Umwelt- oder Friedensbewegung waren immer prall gefüllt“, erinnert sich Jürgen Ernst. Auch lokal fanden sich Themen, bei denen sich die Grünen klar positionierten, zum Beispiel die geplante Umgehungsstraße, die das Enkendorf bedrohte oder die Begradigung der Hasel.
„Im Gemeinderat wurde ich anfangs vielleicht als Spinner betrachtet“, beschreibt Knauf seine ersten Schritte in der Kommunalpolitik. Immerhin bekam er – gemeinsam mit FDP-Rat Carl-Erich Wiesner – den Fraktionsstatus zugebilligt. Seine Anträge, die er mit großer Beharrlichkeit in jeder Sitzung stellte, wurden allerdings meist abgelehnt. „Man braucht einen langen Atem“, so der heute 75-Jährige. Wenn seine Ideen später von anderen übernommen wurden, habe er das aber als Erfolg angesehen: „Manchmal ist es wie ein Teig, in den man etwas Hefe geben muss, damit er gären kann.“ So hätten sich viele grüne Themen mittlerweile auch bei anderen Parteien durchgesetzt.
Im Laufe der Zeit – und mit weiteren Wahlerfolgen – wurde Knauf auch am Ratstisch ernster genommen, gleichzeitig wuchs das Selbstbewusststein der Partei. Bei der Bürgermeisterwahl 1985 stellten die Wehrer Grünen mit dem Rheinfelder Heiner Lohmann sogar einen eigenen Kandidaten auf. Zum Wahlkampf kam aus Bonn Otto Schily in den Wehrahofsaal – damals ein prominentes Aushängeschild der Bundespartei. Auch wenn Lohmann bei der Wahl letztlich keine Chance hatte: „Es war trotzdem richtig, dieses Zeichen zu setzen“, so Aisenbrey heute.
Einen zweiten Gemeinderatssitz konnten die Wehrer Grünen schon 1984 in der Person von Manfred Schmidt erringen, als die Partie 10,5 Prozent erzielte. Ulrich Knauf blieb aber die Konstante in der grünen Kommunalpolitik in Wehr: „Als in meinen ersten Jahren Gerhard Zastrow von den Freien Wählern für seine 20-jährige Tätigkeit als Gemeinderat geehrt wurde, habe ich noch gedacht: Mein Gott, wie kann man diesen Job nur so lange machen? – Am Ende war ich dann selbst 24 Jahre im Gemeinderat“, erzählt Ulrich Knauf und lacht verschmitzt.
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