Herr Thater, sind Sie froh, dass das Jahr 2020 endlich vorüber ist?
2020 war für die Stadt Wehr tatsächlich kein gutes Jahr – auch unabhängig von Corona. Es fing schon Anfang Januar mit dem Brand des Kindergartens Seeboden an. Innerhalb weniger Stunden brannte der fünfgruppige Kindergarten komplett ab. Ende April verlor die Stadt mit dem endgültigen Aus der Textilveredelung Dreiländereck ihr letztes Textilunternehmen und kurz danach kam mit der für Mitte 2021 angekündigten Schließung der Celanese aus der Wirtschaft eine weitere schlechte Nachricht. Diese Ankündigung ist für mich bis heute nicht nachvollziehbar. In der Summe war es für Wehr das schlechteste Jahr seit 1996.
Aber es gab ja es auch einige Erfolgsmeldungen, die weit in die Zukunft weisen.
Sie spielen auf das Brennet-Areal an. Ja, hier sind wir tatsächlich deutlich vorangekommen, man kann den Fortschritt nicht nur an den aktuellen Abrissarbeiten erkennen: Mit den beiden Erbbaupachtverträgen für die zukünftigen Handelsflächen und für das kommunale Ärztehaus haben wir große Schritte getan, auch zur langfristigen Sicherung der Ärzteversorgung. Aber auch über das Brennet-Areal hinaus gab es erfreuliche Nachrichten bei Großprojekten: Das neue Obdachlosenheim an der Öflinger Straße ist gerade fertig geworden, die Sanierung der Breitmattstraße liegt vor dem Zeitplan und mit der neuen Klärschlammfaulungsanlage in der Kläranlage senken wir Energie- und Entsorgungskosten und somit unmittelbar Abwassergebühren. Das Industriegebiet Rossmatt wird gerade erschlossen, mit der Firma Sewec Ozon hat sich hier bereits ein erster Betrieb angesiedelt. Besonders gefreut habe ich mich natürlich auch über die Nachricht aus Stuttgart, dass von dort der möglichen Reaktivierung der Wehratalbahn großes Potenzial bescheinigt wird.
Und dann gab es natürlich noch Corona...
Die Epidemie hat das Jahr geprägt. Lassen Sie mich an dieser Stelle einen Dank an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stadtverwaltung und Bürgerstiftung richten: Was dort geleistet wurde, war ganz herausragend. Angefangen vom Ordnungsamt, wo die Fäden zusammenliefen und die sich ständig verändernden Vorgaben des Landes umgesetzt wurden. Oder beim Hauptamt, wo die Schließungen, Öffnungen und Notbetreuungen für Kindergärten und Schulen organisiert werden musste. Auch die Erzieherinnen haben hier Großartiges geleistet. Und natürlich die Bürgerstiftung, wo der Schutz der Bewohnerinnen und Bewohner neben der guten Pflege für unsere Pflegerinnen und Pfleger an erster Stelle stand.
Beeindruckend empfand ich auch die vielen Initiativen aus der Bürgerschaft, von Vereinen, Gastronomen und den Kirchen, mit denen sich Wehrerinnen und Wehrer für ihre Mitmenschen eingesetzt haben. Wenn Sie mich nach meiner Überschrift für das Jahr 2020 fragen, würde ich sagen: „Die Solidarität in unserer Stadt ist überwältigend“. Damit meine ich nicht nur die Corona-Zeit, sondern auch die großartigen Aktionen nach dem Brand im Kindergarten Seeboden.
Blicken wir auf das Jahr 2021. Was werden – in aller Kürze – die wichtigsten Themen des Jahres werden?
Natürlich wird das Brennet-Areal das größte Projekt im Jahr 2021. Im zweiten Halbjahr wird mit dem Bau begonnen, nicht nur der Märkte, sondern auch des Ärztehauses. Ein zweiter Schwerpunkt ist wieder die Erziehung und Bildung: Mit dem neuen Kindergarten Seeboden bauen wir den vierten Kindergarten innerhalb von zehn Jahren. In der zweiten Jahreshälfte wird es unter anderem um das 60 Jahre alte Gebäude der Zelgschule gehen: Hier werden wir die Frage „Sanierung oder Neubau“ diskutieren und entscheiden. Und anschließend die entsprechenden Vorbereitungen treffen, damit wir von einer Förderung profitieren. Dritter Schwerpunkt ist die Infrastruktur: Zum einen geht es um die nächsten Schritte zur Elektrifizierung der Hochrheinstrecke, zum anderen wollen wir mit einer aktualisierten technischen Machbarkeitsstudie die Reaktivierung der Wehratalbahn voranbringen. Bei der Vergabe der Fördermittel gilt hier das Windhundprinzip, deshalb wollen wir im Schulterschluss mit den Nachbargemeinden und Landkreisen schnell und einig handeln.
Auch das Thema Hochrheinautobahn soll ja auch wieder auf die Agenda kommen.
Das ist der dritte Infrastrukturschwerpunkt. Was ich in den vergangenen Jahren gesagt habe, gilt leider auch für 2020: Es war für die A 98 ein verlorenes Jahr. Im kommenden Jahr will die Planungsgesellschaft nun eine Vorzugsvariante für den Abschnitt A 98.6 (Schwörstadt-Murg) vorstellen, mit der dann ein Planfeststellungsverfahren vorbereitet wird.
Im städtischen Haushalt steht die stolze Summe von 60.000 Euro für „Rechtsberatung A98“. Das klingt so, als müsse sich Wehr für einen Rechtsstreit wappnen. Wissen Sie schon mehr?
Da interpretieren Sie etwas viel in diesen Haushaltsposten. Die Erfahrung zeigt, dass eine Stadt ein solches Mammut-Verfahren ohne rechtlichen Beistand kaum bewältigen kann. Was die Vorzugsvariante angeht, bin ich optimistisch, dass die Deges eine für die Region gute Lösung vorstellen wird.
Zum Ausbau der Infrastruktur gehört auch der Breitband-Ausbau. Wie ist hier der Stand?
Ich bin fest überzeugt, dass das Breitband ein wesentlicher Teil der Zukunftsinfrastruktur ist. Unser Plan ist, dass wir in diesem Jahr für das kommunale Breitbandnetz einen neuen Eigenbetrieb gründen und mit dem Ausbau beginnen. Die Fördermittel hierfür stehen ja bereit und ganz aktuell hat unsere Bundestagsabgeordnete Rita Schwarzelühr-Sutter ja auch die positive Rückmeldung zur befürchteten Rückzahlung aus dem zuständigen Bundesministerium erwirkt. Leider gibt es aktuell noch weitere rechtliche Fragen, mit denen wir uns an das Landesinnenministerium gewandt haben, die Antworten erwarte ich in den nächsten Tagen. Das Thema wird in jedem Fall Tagesordnungspunkt in der nächsten Gemeinderatsitzung.
Eine letzte Frage: Wo wird Wehr 2021 wachsen? Die Nachfrage nach Bauland ist ja ungebrochen!
Unser Fokus liegt derzeit auf der Innenverdichtung: Mit Bebauungsplanänderungen wollen wir wie in den letzten Jahren das Schließen von Baulücken erleichtern. Auf diese Weise haben wir in den vergangenen zwei Jahren über 100 neue Wohnungen ermöglicht, das aktuellste Beispiel entsteht an der Kirchstraße. Neues Bauland wird südlich des Wohngebiets Hölzle entstehen: Je nach Variante rechne ich mit Platz für 20 bis 30 Einfamilienhäuser. In Öflingen möchten wir das ehemalige Lüber-Areal überplanen und so Platz für etwa 30 neue Wohnungen schaffen.