Die Klage über Weihnachten als Konsumfest ist so alt wie der Kapitalismus. Und wie oft hatten wir uns vorgenommen, uns diesem marktwirtschaftlichen Diktat nicht zu beugen und uns nur eine Kleinigkeit zu schenken. Eine meiner Weihnachtskurzgeschichten spielt in der Schweiz und heißt „öppis Chlis“. Sie ahnen es: Unter dem Weihnachtsbaum stapeln sich die Geschenke – aber zum Schluss spielen Groß und Klein mit dem Geschenkpapier und falten sich Hüte. Da ist die Fantasie mit mir durchgegangen.
In der Realität zerknüllen wir meist das Papier, während mein Vater alles sorgfältig glättet und faltet. Ja, mein Vater! Im Frühjahr wagten wir kaum zu hoffen, dass er Weihnachten noch erlebt. Jetzt geht es ihm – trotz Demenz – besser, unser ganz privates Weihnachtswunder. Am 6. Dezember war sein Namenstag. Der ist für einen Katholiken seiner Generation wichtiger als der Geburtstag. Also wurde er mit einem Klausemann beglückt, den er genüsslich in Angriff nahm. In seinem Zimmer steht Weihnachtsdeko, die er vor langer Zeit selbst gebastelt hat – und sofort erkannte. Ganz ohne Geschenke geht es also nicht.
Auch meine Mutter wurde adventlich beschert. Sie lebt in einem Pflegeheim in Mecklenburg-Vorpommern in der Nähe meines Bruders. Auch sie sitzt im Rollstuhl. Das größte Geschenk wäre also Gesundheit. Die hatte ich leider nicht im Reisegepäck, als ich sie vor Kurzem besuchte. Aber Zeit. Und etwas anderes. Das Reich meiner Mutter ist innerhalb weniger Monate von einer (zu) großen Wohnung auf ein einziges Zimmer zusammengeschrumpft. Trotzdem fühlte ich mich dort sofort zuhause. Viele Erinnerungsstücke schmücken die Wände. Aber leider nichts Weihnachtliches.
Erinnerungsstücke für die Weihnachts-Atmosphäre
Da konnte ich helfen: Das Räuchermännchen, die Miniaturkrippe und noch andere Kleinigkeiten, die ich beim Entrümpeln der Wohnung gerettet hatte, fanden ihren Platz. Auch das Fenster wurde weihnachtlich geschmückt. Ein Sternenbogen umrahmt nun die schöne Aussicht in die freie Natur, die sie sehr genießt. Auch mit meinem Bruder, der sich rührend um meine Mutter kümmert, verbrachte ich frohe Stunden. Seit wir beide die Pflege unserer Eltern wuppen, hat sich unser sowieso schon gutes Verhältnis noch einmal vertieft und an Innigkeit gewonnen.
Währenddessen schickt mein Mann lustige Videos mit Opa in die Familien-Chatgruppe. Meine Mutter streichelt den Bildschirm des Handys und weint. Einerseits ist sie froh, dass es ihm gut geht. Andererseits betrauert sie heftig den Verlust des gemeinsamen Lebens. Frühmorgens, als ich mich mit meinem Koffer Richtung Bahnhof aufmache, wartet mein Bruder mit dem Auto vor dem Hotel und hat mir sogar Frühstück mitgebracht. Nein, dieses Jahr wollen wir uns nichts schenken. Wir wurden schon reich beschert.