Damit hat in der Region niemand so schnell gerechnet. Vor allem nicht, dass es ohne große juristische Streitereien vonstatten gehen würde. Nach fast drei Jahren Leidensgeschichte mit der DB Regio auf der Strecke Singen-Schaffhausen haben sich das Verkehrsministerium in Stuttgart und die Bahn auf eine vorzeitige Auflösung des Vertrags geeinigt. Der Schritt hatte sich bereits in verschiedenen Briefwechseln angedeutet. Dass die Trennung nun aber so zügig beschlossen und umgesetzt werden soll, war nicht zu erwarten. Vor allem nicht angesichts der zähen Auseinandersetzungen der vergangenen Monate.
Mangelhafte Leistung der DB Regio strapaziert die Nerven
Vorausgegangen war ein regelmäßig wiederkehrendes Chaos am Gottmadinger Bahnhof im morgendlichen Schülerverkehr. Über 12 000 ausgefallene Bahnkilometer und über 370 zu kurze Züge sprechen für sich. Weinende Schüler, die am Bahnsteig wegen Überfüllung der Züge stehen blieben, wütende Pendler, die zu spät zur Arbeit kamen und Eltern, die ungewollte Taxidienste für ihre schulpflichtigen Kinder übernehmen mussten, hatten die Stimmung aufgeheizt. Und das nicht nur in Gottmadingen, sondern auch in Gailingen, von wo ebenfalls Schüler mit Bussen zum Umstieg auf die Bahn nach Gottmadingen gebracht werden.

Mütter sammeln über 1000 Unterschriften
Unzählige Beschwerdebriefe seitens des Gottmadinger Bürgermeisters Michael Klinger, eine Resolution des Gemeinderates und über 1000 Unterschriften von Eltern und Lehrer liegen der Landesregierung vor. Was letztlich den Durchbruch brachte, ist jetzt nicht mehr so genau nachzuvollziehen. Eine erste Trendwende hatte sich bereits im Dezember 2020 angedeutet, als der Ministerialdirektor Uwe Lahl deutlich erklärte, dass seine Geduld mit der DB Regio aufgebraucht sei. Zwar hatte die Bahn für jeden Zugausfall und jeden zu kurzen Zug eine nachvollziehbare Erklärung: Krankenstand, Witterung bis zu reparaturbedürftigem Wagenmaterial; den Pendlern helfen aber keine Entschuldigungen, sondern nur ein verlässlicher Transport.
Von der Holperstrecke zum Pilotprojekt
Michael Klinger ist mehr als überrascht darüber, dass jetzt alles so schnell ging. Er staunt: „Von der Holperstrecke zum Pilotprojekt für neue Qualitätsanforderungen bei Bahnausschreibungen. Fast mag ich mich kneifen, um zu glauben, dass es stimmt, was Minister Herman über unsere Bahnstrecke sagt.“ Im Sinne der vielen Schülerinnen und Schüler sowie der Berufspendler freue er sich sehr über die positiven Nachrichten aus dem Verkehrsministerium und die neue Qualität, die bereits ab Sommer 2022 greifen soll. Schneller sei das tatsächlich nicht zu realisieren, wenn man es sauber auf den Weg bringen will. „Mein Fazit ist: Wenn viele gemeinsam ein dickes Brett bohren, dann kommt man irgendwann offensichtlich doch gemeinsam zum Erfolg!“
Verkehrsminister Hermann kündigt Vertragsauflösung an
Mit gebohrt haben der Landtagsabgeordnete Jürgen Keck (FDP) mit seiner Kleinen Anfrage an den Landtag und seine Kollegin Dorothea Wehinger (Grüne) mit ständigen Nachfragen beim Minister Winfried Hermann (Grüne). Der hat nun die bevorstehende Vertragsauflösung und Neuausschreibung der Strecke mitgeteilt. Ein Schelm, der Wahlkampf dahinter wittert. „Das Verkehrsministerium Baden-Württemberg (VM) und die DB Regio AG sind sich im Grundsatz einig, den Verkehrsvertrag für die Regionalbahn (RB) Singen – Schaffhausen vorzeitig auslaufen zu lassen. Aktuell ist dieser Vertrag bis zum Dezember 2023 geschlossen“, heißt es in der Mitteilung. Auf weitere SÜDKURIER-Nachfrage korrigierte der Sprecher des Ministeriums die erste Erklärung, wonach schon zum Sommer 2022 ein Betreiberwechsel angestrebt sei. Realistisch sei ein Wechsel erst zum Dezember 2022, weil adäquate Ersatzfahrzeuge nicht früher zu finden seien.

Schlechte Werkstattanbindung als Grund für Zugausfälle und zu kurze Fahrzeugkombinationen
„In einer gemeinsamen Analyse mit der DB Regio AG sind wir zu dem Schluss gekommen, dass diese Werkstattanbindung aufgrund der Störanfälligkeit der Fahrzeuge nicht mehr optimal ist“, sagte Hermann in Stuttgart. Hauptgrund der Probleme sei, dass die Fahrzeuge der Baureihe 426 nicht vor Ort, sondern im entfernten Stuttgart gewartet und repariert werden. „Es dauert einfach zu lange, bis ein mangelhaftes Fahrzeug in die Werkstatt kommt und wieder zurück an der Strecke ist.“ Dies sei keine Entscheidung gegen die DB und schon gar nicht gegen das Betriebspersonal vor Ort, sondern gegen das Wartungskonzept, so der Minister.
Lokführern wird Arbeitsplatzsicherheit zugesichert
„Auch wenn wir uns auf ein vorzeitiges Auslaufen des Vertrages einigen, gilt es, dem Verkehrsministerium und den Fahrgästen für die verbleibende Laufzeit einen Vorschlag für die Frage der Werkstattanbindung zu unterbreiten, um hier eine Stabilisierung zu erreichen“, so David Weltzien, Vorsitzender der Regionalleitung von Regio Baden-Württemberg und ergänzt: „In keinem Fall müssen sich unsere Mitarbeiter in der Region Singen sorgen machen, wir können ihnen allen einen sehr sicheren Arbeitsplatz bieten“. Doch genau daran hegen Bahn-Mitarbeiter Bedenken, wenn ein anderes Unternehmen die Strecke bedienen sollte. Dagegen heißt es aus dem Ministerium, dass auf den Strecken in der Region und wegen der Nähe zur Schweiz eine hohe Nachfrage nach Lokführern bestehe.
Nicht das günstigste, sondern das überzeugendste Gesamtkonzept soll zum Zuge kommen
Offenbar hat das Ministerium aus den Problemen der vergangenen drei Jahre gelernt. Jedenfalls zieht Winfried Hermann folgenden Schluss daraus: „Bei der Neuausschreibung wird nicht mehr der Günstigste, sondern derjenige mit dem überzeugendsten Gesamtkonzept gewinnen. Die Linie Singen – Schaffhausen wird dabei der Pilot sein.“ Diese Aussage muss noch mit Inhalten gefüllt werden. Zentrale Punkte bei der Neuausschreibung sollen laut Ministeriumssprecher ein Wagenmaterial sein, welches an Stationen mit einer Bahnsteighöhe von 55 Zentimetern den barrierefreien Einstieg ermöglicht, sowie eine Werkstattanbindung in Netznähe. Ob das die SBB als Wunschdienstleister der Gottmadinger sein werde, werde sich im Bieterverfahren herausstellen.
Anschluss an die Gäubahn vorgesehen
Einen Vorteil könnte die Neuausrichtung noch mit sich bringen: Das Land prüfe derzeit, ob einzelne Verbindungen bis nach Konstanz verlängert werden könnten, sodass in Singen der Anschluss an die Gäubahn aus Stuttgart verbessert würde.
Nach Petition werden die Mütter zur digitalen Konferenz ins Ministerium eingeladen
Unterdessen ist bei den Müttern, die die Unterschriftenaktion gestartet hatten, die Freude übergroß. „Wir haben unser Ziel erreicht“, sagt Gudrun Winkler. „Wir werden ernst genommen.“ Am 4. März sind sie zusammen mit Bürgermeister Klinger vom Ministerium zu einer digitalen Zoom-Konferenz eingeladen, um ihre Anliegen vorzutragen. „Jetzt geht es noch darum, die beiden nächsten Winter zu überstehen“, sagt Piratheepa Thileepan als Mutter und FWG-Gemeinderätin. Dann muss ihre jüngere Tochter auch mit dem Zug zur Schule nach Singen fahren.