Zu Ostern gab es vor dem Gottmadinger Rathaus eine Installation, die bei flüchtiger Betrachtung vielleicht als Kunst durchgegangen wäre, wenn nicht ein riesiges Schild gegen die Maskenpflicht an Schulen alles dominiert hätte. Bunt aufgereiht standen dort Kinderschuhe, ergänzt durch Zettel und Pappschilder – fast alle in Erwachsenenschrift beschrieben. Die „Aktion Kinderschuh“ startete als Elterninitiative in Thüringen und findet mittlerweile an vielen Orten Resonanz. Die Akteure bleiben fast überall anonym.
Die Nähe dieser Aktion zum Querdenker-Milieu ist in vielen Fällen deutlich. Bei einer ähnlichen Aktion in Singen haben sich die Initiatorinnen zwar davon distanziert. Doch Bilder sprechen eine mächtige Sprache und manche brennen sich ins kollektive Gedächtnis ein wie Ikonen. Leere Schuhe als Mahnmal sah ich in Budapest – zum Gedenken an jüdische Menschen, die erschossen und in die Donau geworfen wurden. Noch bekannter sind die Schuhe der in Auschwitz Ermordeten. Ich schrieb bereits über die Instrumentalisierung ikonischer Begriffe. Beim Thema Holocaust ist dies besonders widerwärtig. Konfrontiert mit dem Vorwurf der Geschichtsklitterung, wird nun dazu aufgerufen, nicht nur Schuhe, sondern auch Spielzeug abzulegen.
Ganz ehrlich: Ich bin froh, dass ich in diesen Zeiten kein schulpflichtiges Kind mehr daheim habe. Ich verstehe jegliche Empörung, den Frust und die Müdigkeit nach einem Jahr Schlingerkurs zwischen Auf und Zu, Homeschooling ohne digitale Infrastruktur, Präsenzunterricht mit und ohne Testpflicht und mein Mitgefühl gilt den Lehrern, die jetzt – nach Wegfall des Astrazeneca-Impfstoffs – ohne Impfperspektive sind. Immer wieder haben mir Kinder lebhaft versichert, dass sie noch ganz andere und wesentlich peinlichere Dinge tragen würden als lediglich Masken, wenn sie nur ihre Freunde in der Schule wieder regelmäßig sehen könnten. Insofern verstehe ich zutiefst, wenn sich die Betroffenen Luft verschaffen.
Riesige Fragezeichen bleiben, wenn man genauer hinschaut
Aber beim genauen Hinschauen bleiben Fragezeichen: Was wollen die überhaupt, außer – mal platt gesagt – rumzumeckern und Unfrieden zu stiften? Die Eltern, die sich dort im Namen ihrer Kinder äußern, sind einfach gegen alles: Sie beklagen zwar die Isolation durch Homeschooling, lehnen aber gleichzeitig basale Hygienemaßnahmen ab. Auch das regelmäßige Testen. Ja, was denn nun? Vielleicht ist ja so manchem das Homeschooling – mit eigenen Lerninhalten, versteht sich – mehr als recht? Kinder ersticken angeblich unter Masken – im Faktencheck eindeutig widerlegt -, aber in dieser Hinsicht haben sich die Gottmadinger „Kinderfreunde“ endgültig de-maskiert. Zitat auf einem Schild: „Ich würde viel, viel lieber auf der Intensivstation liegen! Da ist es viel lustiger als in der Schule!!!“ In puncto Menschenverachtung gibt das eine glatte Eins Plus mit Sternchen.