Nach einer Viertelstunde trauen sich die Zuschauer im Schwurgerichtssaal des Landgerichts Konstanz kaum, Luft zu holen. So intensiv wirken die Schilderungen der Zeugin nach. So still ist es. Die Zeugin muss sich sammeln, ist den Tränen nahe – und sagt: „Ich wusste nicht, was mit meinen Kindern ist.“

Lange Zeit der Ungewissheit

Was an jenem 16. Januar in Hohenfels geschehen war, dass der Angeklagte, der im Gericht nur wenige Meter hinter ihr sitzt, ihre Söhne, neun und 13-Jahre alt, mit einem Beil attackiert und schwer verletzt haben soll, und dass er ihren Ex-Mann mit dem Beil auf brutale Weise getötet haben soll, all das habe sie an diesem Tag nicht gewusst. Habe es bis tief in die Nacht nicht erfahren.

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Denn: Die Notfallseelsorger hätten sie am Tatort abgefangen und wären mit ihr ins Krankenhaus nach Villingen gefahren, wo ihr ältester Sohn operiert wurde. Und dort? Da habe sie gewartet. „Unmenschliche lange“. Sechs, sieben Stunden. Sie weiß es nicht mehr.

Es ist der sechste Verhandlungstag im Hohenfelser Mordprozess – und die Mutter der beiden Söhne wird noch gut zwei Stunden aussagen. Und immer wieder wird sie auf die Schockstarre zu sprechen kommen. Auf dieses Gefühl, nur noch zu funktionieren und doch nichts greifen zu können.

„Unser Wunder“

Wann ihr das erste Mal, das Ausmaß der Tat bewusst geworden sei, fragt Richter Arno Hornstein. „In der Nacht“, sagt sie. Nach langen Stunden im OP sei ihr ältester Sohn auf ein Intensivzimmer verlegt worden und schließlich aufgewacht. „Er war komplett klar, hat sich an alles erinnert und sofort alles erzählt.“ Ihr. Ihrer Schwägerin. Den Ärzten und Krankenschwestern. „Ich glaube das war gut für ihn“, sagt die Schwägerin.

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Und ihr jüngster Sohn? „Unser Wunder“, sagt die Mutter. Und erinnert sich noch gut daran, wie er halbseitig gelähmt, mit eingegipstem Arm im Krankenzimmer lag. Ihr erstes Gefühl: „Ich habe mein Kind angeschaut und gedacht, es ist wenigstens noch da. Das kriegen wir hin.“

Er konnte nicht sprechen, sich nicht bewegen

Doch ihr neunjähriger Sohn sei verändert gewesen, zunächst panisch, ängstlich. Das kannte sie von ihm nicht, sagt sie. „Ich hatte ihn immer beruhigen können. Immer.“ Doch: Nach der Tat sei er schwierig zu händeln und dann völlig teilnahmslos gewesen.

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Er habe ja weder sprechen noch sich bewegen können. Und das Gespür für seinen Körper verloren. „An solchen Tagen siehst du die Hülle und denkst dein Kind ist da nicht drin.“ An anderen habe es kleine Fortschritte gegeben. Kleine Bewegungsversuche. Und schließlich die Worte „Tschüss Mama“ – „Da bin ich erstarrt, konnte es gar nicht fassen, dass er was gesagt hat.“

Ganz den Träumen beraubt

Heute, gut neun Monate nach dem schicksalhaften 16. Januar, hätten die beiden Jungen noch immer mit den Folgen der Tat zu kämpfen. Während ihr ältester Sohn vom Gymnasium auf die Realschule gewechselt ist, weil er mit Schulstoff kaum noch hinterherkam, spricht ihr jüngster zwar wieder, kann sich aber nur eingeschränkt bewegen.

„Das ist schwer für ihn. Ich hatte sportliebende Kinder, aber Radfahren, zur Schule laufen, Fußball spielen, das ist bei ihm einfach nicht drin.“ Der Neunjährige vermisse das sehr.

Prozessauftakt im Landgericht Konstanz. Ein 35-jähriger Mann soll in Hohenfels-Liggersdorf einen 46-Jährigen getötet und dessen zwei ...
Prozessauftakt im Landgericht Konstanz. Ein 35-jähriger Mann soll in Hohenfels-Liggersdorf einen 46-Jährigen getötet und dessen zwei Söhne schwer verletzt haben. Hier nimmt in der Mitte gerade der vorsitzende Richter Arno Hornstein im Schwurgerichtssaal Platz. | Bild: Hanser, Oliver

Die Mutter holt Luft. Ist den Tränen wieder nahe. Die Worte „Träume“, „Visionen“ und „Lebenspläne“ fallen ihr ein. Sie klingen so leicht. Als ob da etwas sei, dass die Familie trage – doch genau das seien sie nicht mehr. Es sind jetzt harte, traurige Worte. „Mein Sohn wurde allem beraubt. Und ich weiß nicht, wie sich das anfühlen muss – so angegriffen zu werden. Und mit dem Tod des Vaters auch noch seine ganzen Träume zu verlieren“, sagt sie dem Richter.

Betrieb stillgelegt

Sie meint den 13-Jährigen, der eine enge Bindung zum Vater hatte. Und dessen größter Wunsch es gewesen sei, den familiären Betrieb zu übernehmen. „Er sah sich immer mit dem Papa an den Maschinen schraubend.“

Doch den Betrieb gibt es nicht mehr. Schon am Verhandlungstag zuvor spricht die Schwester des Getöteten von der aufgelösten Firma. „Uns blieb nichts anderes übrig, als sie stillzulegen.“ Auch die Mutter der beiden Söhne sagt: „Die Mitarbeiter haben wir Ende März entlassen müssen.“ Die Firma existiere nur noch in ihren Gedanken. Ihren Erinnerungen.

Quälende Frage nach dem Motiv

Und nicht nur ihre Söhne – das ganze Umfeld des Getöteten, habe mit dem Geschehen zu kämpfen. So erzählt die Schwester seiner Lebensgefährtin, wie es dieser seit der Tat ergeht. „Sie hockt bei uns auf dem Sofa. Sie hat nichts mehr. Sie hat extreme Panikzustände.“ Eigentlich hätten die beiden im Sommer heiraten wollen.

Auf ihre Art seien sie alle Getriebene – getrieben von dem Gedanken, begreifen zu wollen. Die Tat verstehen zu wollen.

Prozessauftakt im Landgericht Konstanz. Ein 35-jähriger Mann soll in Hohenfels-Liggersdorf einen 46-Jährigen getötet und dessen zwei ...
Prozessauftakt im Landgericht Konstanz. Ein 35-jähriger Mann soll in Hohenfels-Liggersdorf einen 46-Jährigen getötet und dessen zwei Söhne schwer verletzt haben. | Bild: Hanser, Oliver

„Wenn etwas gewesen wäre“, sagt die Tante der Jungen, „hätte man das mit dem Vater klären können. Aber man geht doch nicht auf Kinder los, die damit nichts zu tun haben. Die wehrlos sind. Das geht mir nicht in den Kopf.“ Auch Richter Arno Hornstein quält die Frage nach dem Motiv des Täters. „Es ist sein gutes Recht zu schweigen, aber das macht es uns nicht leicht.“ Er fragt deshalb fast jeden Zeugen, wie sie den Angeklagten erlebt haben.

Getöteter hat alles videoüberwacht

Freundlich, sagt die Mutter. Kinderlieb. Ihre Söhne habe er von klein auf, den jüngsten sogar von Geburt an gekannt. Und trotzdem sei er ihr suspekt gewesen. Und trotzdem standen Diebstahl-Vorwürfe im Raum. „Es gab Vorfälle, dass immer wieder Sachen fehlten, dass in der Firma eingebrochen wurde“, erzählt die Schwester des Getöteten. „Mein Bruder konnte es nicht beweisen. Aber er hat alles videoüberwacht. Aus seinem Haus eine Festung gemacht.“

Auch die Lebensgefährtin erzählt Ähnliches: „Mein Mann hat extra Kameras installiert, um zu filmen, wie der Angeklagte Diesel abschlaucht.“ Das sei auch der Kündigungsgrund gewesen – doch genau da unterscheiden sich die vielen Zeugenaussagen. Während die einen von einer Kündigung sprechen, wollen die anderen davon nichts gewusst haben.

Der Angeklagte selbst sagte am ersten Verhandlungstag, er habe gekündigt, weil er ein anderes Jobangebot hatte.