225 Jahre. Ein kaum vorstellbarer Zeitraum. Seinerzeit gehörte Konstanz noch zu Vorderösterreich (bis 1806) und Kutschen fuhren über die Rheinbrücke durch den Bogen des Rheintorturms in die kleine Stadt. Hier waren auch die Auswirkungen der französischen Revolution (1789 bis 1799) spürbar.
Theo Zwicker, mittlerweile verstorbener Vater des heutigen Inhabers Ottmar Zwicker, hatte in einem SÜDKURIER-Interview im Jahr 2012 bereits auf die Firmen- und Familiengeschichte zurückgeblickt, zumal er selbst eingehend zu der Historie recherchiert hatte.

Was hat Konstanz mit der Revolution am Hut?
Süddeutschland und damit auch Konstanz wurden zur Fluchtburg wohlhabender Franzosen, die mit wehenden Fahnen Frankreich den Rücken kehrten; darunter auch die Hutfabrikanten Costé Jourdan und Dominique Cyrot. Sie legten 1797 mit Eröffnung ihrer Hutmanufaktur im Konstanzer Stadtteil Stadelhofen neben der Kirche St. Jodok den Grundstein dieser erstaunlichen Firmengeschichte.
Die französische Regierung spürte aber alsbald die Nebenwirkungen in Frankreich, da die fähigsten und vermögendsten Leute das Land verlassen hatten und bat die Emigranten zurückzukommen. Diesem Ruf folgten auch die Familien Cyrot und Courajod.
Die Hutmanufaktur übernahm einer der Mitarbeiter, Michael Karl Schedler, im Jahr 1811 und verlegte sie in das Haus Nummer 747 (Ecke Münzgasse/Hohenhausgasse, heutiges Radieschen). Aus gesundheitlichen Gründen übergab Schedler das Geschäft seinem Sohn Karl Michael, der 1864 das Haus zum Bären an der Marktstätte kaufte und die Hutmanufaktur dorthin verlegte.

1872 kommen die Zwickers aus Hanau ins Spiel
Karl Michael Schedler wurde krank und konnte die Firma nicht weiterführen. Einen Nachkommen gab es nicht. Der aus Hanau stammende Gustav Adolf Zwicker und sein Kompagnon Karl Schubart erwarben 1872 die Hutmanufaktur auf der Konstanzer Marktstätte.
Das Geschäft florierte, denn in jener Zeit war Hut in Mode. So kommen die beiden auf die Idee, das florierende Geschäft zu erweitern und selbst Hüte im großen Stil herzustellen. Die beiden Männer erbauten ihre eigene Hutfabrik auf dem Wallgut, wobei Schubart aus bislang unbekannten Gründen irgendwann aus dem Geschäft ausstieg.

Mit 80 Arbeitern zählte die Hutfabrik seinerzeit zu den größten Betrieben der Stadt, was Gustav insgesamt allerdings zu viel wurde. Sein Bruder Theodor Zwicker kaufte 1875 das Haus an der Marktstätte 16 samt Hutmanufaktur, während Gustav sich weiterhin auf die Hutfabrik konzentrierte.
Während das Geschäft an der Marktstätte boomte – 1881 erhielt Theodor Zwicker sogar das großherzoglich badische Hofprädikat und wurde so zum Hoflieferanten des badischen Hofes – stand die Fabrik unter keinem guten Stern.

Gustav Zwicker hatte sich etwas verkalkuliert. Als 1885 dann auch noch das Kesselhaus der Fabrik brannte, stand der Gründer vor dem Ruin. Gustav Zwicker verkaufte seinen Besitz und wanderte mit seiner Familie zu seinem Bruder Justus ins russische Charkow aus.
Vom kinderlosen Paar zum Familienunternehmen
Die Hutmanufaktur an der Marktstätte von Theodor Zwicker lief dagegen hervorragend. Aber er hatte keine Kinder. Er schrieb an seinen Bruder Gustav, ob er ihm nicht einen Sohn abgeben könne. 1899 wurde Adolf Zwicker mit einem Zettel um den Hals nach Konstanz entsandt und dort an Kindesstatt von seinem Onkel angenommen.
Der sprachbegabte junge Adolf, der fließend russisch sprach, machte eine Lehre, wurde von seinem Onkel nach London und Paris geschickt, wo er nebenbei auch noch Englisch und Französisch lernte. Schließlich übernahm er 1901 die Hutmanufaktur, wie Theo Zwicker im Jahr 2012 dem SÜDKURIER erzählte.
Adolf erwies sich als tüchtiger Geschäftsmann und erzielte gute Umsätze. 1903 wird Adolfs Sohn Theodor, geboren, den der frisch gebackene Vater nach seinem Onkel und Ziehvater benennt. Zum Beginn der großen Inflation riet Adolf Zwicker seinem Sohn Theodor, das Land zu verlassen und in Amerika sein Glück zu versuchen. Adolf und seine Frau starben sehr früh und Theodor kam eigentlich zurück nach Konstanz, um die Firma aufzulösen.
Dann rettet aber die Liebe das Traditionsgeschäft...
Aber nur eigentlich, wie der heutige Inhaber Ottmar Zwicker anmerkt, denn er weiß dies aus persönlichen Erzählungen seiner Großeltern zu berichten. Theodor Zwicker verliebte sich in die Konstanzerin Hildegard, Tochter von Theodors vormaligem Physiklehrer Heck.
„Sie sagte zu meinem Großvater: Ich heirate dich schon, aber ich gehe nicht mit nach Amerika.“ Ottmar Zwicker fährt fort: „In Gedanken hatte mein Großvater die Firma schon liquidiert. Der Liebe wegen ist er geblieben.“ So war der Firmenfortbestand eigentlich Hildegard Zwicker zu verdanken.
„Mein Großvater ist 1944 gefallen“, so Ottmar Zwicker. Seine Großmutter hat das Geschäft allerdings nicht verkauft, sondern führte es weiter, bis einer der Söhne es übernehmen konnte. Sie war weitsichtig und vor allem couragiert.
„Sie war eine willensstarke Frau, die es bewahren wollte“, so Ottmar Zwicker. Mit dem Einmarsch der Franzosen und von 1945 bis 1948 wurde das Zwickersche Geschäft an der Marktstätte zur „Librairie francaise“.
Der dritte Theodor Zwicker übernimmt das Geschäft
Dann ging es irgendwann um das Thema der Nachfolge und Hildegard Zwicker hat Sohn Theodor auserkoren, der im Jahr 2012 das Vorgehen wie folgt schilderte: „Ich habe am heutigen Humboldt 1955 Abitur gemacht; Mathe und Physik waren meine Steckenpferde. Meine Mutter sagte zu mir: Du gehörst ins Geschäft! Das ging schneller als ich denken konnte.“ Das war die Überrumpelungstaktik seiner Frau Mama.
Beim Ersten Herrenausstatter in Hamburg hat Theo Zwicker dann gelernt, denn Hüte kamen zunehmend aus der Mode. Er arbeitete bei verschiedenen renommierten Unternehmen, trat 1959 als Theodor in das Familienunternehmen ein, das er 1964 komplett übernahm, und stellte das Sortiment sukzessive auf Herrenartikel um.

Die Sortimentsumstellung war unverzichtbar, um das Unternehmen in die Zukunft zu retten. Die Ausrichtung zum Herrenausstatter erwies sich als richtige Entscheidung. Lediglich die Eröffnung des Kaufhauses Hertie im Jahr 1963 hatte einen kurzzeitigen Umsatzeinbruch zur Folge.
Theo Zwicker, an seiner Seite Ehefrau Eleonore, investierte immer wieder in die Sanierung, Renovierung der Räumlichkeiten und natürlich in die Erweiterung des Fachgeschäfts. Den größten Umbau stemmten sie 1972.
Sein Sohn Ottmar und dessen Frau Anneruth leiten mittlerweile seit 1995 das Familienunternehmen. Im Jahr 2012 haben sie eine Filiale in der Rosgartenstraße (vormalig Holzherr) eröffnet und das Fachgeschäft an der Marktstätte im Jahr 2014 grundlegend saniert.
„Heute findet man außer einem alten Zylinder keinen Hut mehr bei uns“, sagt Ottmar Zwicker. Dafür hat das Fachgeschäft längt auch einen Online-Shop, denn Handel ist Wandel.
Was aber macht ein Familienunternehmen aus? „Wir sind Konstanz und berechenbar, Steht Zwicker dran, ist Zwicker drin, denn wir sind kein anonymes Unternehmen, sondern bürgen mit unserem Namen“, sagt Ottmar Zwicker ganz selbstverständlich, aber auch in großer Bescheidenheit, denn dass das Unternehmen heute noch besteht, „ist die Leistung der vorherigen Generationen“, so Ottmar Zwicker.