Welche Wirtschaft? Die einzige Wirtschaft in Konstanz serviert Bier, Weißweinschorle und gutes Essen. Zugegeben, das ist eine etwas böse Zuspitzung über die Verhältnisse in der größten Stadt am Bodensee. Und es ist auch nur ein Teil der Wahrheit, dass Konstanz finanziell am Tropf des Einzelhandels und Gastgewerbes hänge.
Handel bringt der Stadt mehr Gewerbesteuer ein als die Industrie
Wenngleich die örtliche Wirtschaftsförderung vor einem Jahr vermerkte: Der Handel bringt der Stadt erstmals mehr Gewerbesteuereinnahmen ein als die Industrie. 8,6 Millionen gegenüber acht Millionen Euro waren es. Nur sechs Jahre zuvor betrug das Verhältnis 4,7 zu 10,3 Millionen Euro, wohlgemerkt mit umgekehrter Gewichtung, einem wesentlich stärkeren Industriesektor also.
Für die Jahre 2019 und 2020 hat die Stadt mit 43 beziehungsweise 44,5 Millionen Euro Einnahmen aus der Gewerbesteuer geplant. Sollte es auch nach Ablauf der Haushaltsjahre dabei bleiben, ist festzustellen: Das war schon einmal deutlich mehr, durch Nachzahlungen 2014 und 2015 zum Beispiel jeweils mehr als 59 Millionen Euro. Aber auch schon weniger, zuletzt 2016 (39,4 Millionen Euro).

Wohin steuert Konstanz, nachdem ihr die großen Arbeitgeber des produzierenden Gewerbes – und damit auch Quellen für überraschende Nachzahlungen – nach und nach abhandengekommen sind?
Der Traum vom bedeutenden Standort für die deutsche Kreativszene
„In Richtung bedeutendster Standort für die Kreativszene in Deutschland„, sagt Franz Sauerstein. Ein Satz, der nach dem Dreh am ganz großen Rad klingt. Vielleicht muss man ihn sagen, wenn man wie Sauerstein im Alter von 26 Jahren bereits zwei Unternehmen gegründet hat und aktuell mit der Coaching-Agentur für junge Unternehmer, der Firma Gründerschiff, genau diese Kreativbranche im Blick hat.

Sauerstein gibt zu: „Natürlich steckt da auch ein wenig Träumerei dahinter, andererseits explodierte der Bereich in Konstanz in den vergangenen Jahren.“ Sein Flächenanteil sei prozentual in Konstanz schon vor Jahren nahe dem der vermeintlichen Kreativen-Hauptstadt Berlin gewesen. „Und mich würde nicht wundern, wenn wir inzwischen darüber liegen“, sagt Sauerstein.
Dort an Ideen tüfteln lassen, wo Menschen gerne leben möchten – ein Vorteil für Konstanz?
Für das produzierende Gewerbe war die Randlage ein Grund, warum es sich nach und nach aus Konstanz zurückzog: Zu aufwendig und zu teuer ist die Logistik. Junge Kreative zieht die Lage an einem der letzten Zipfel von Deutschland mit dem Bodensee vor der Haustür und den Bergen in Blickweite dagegen an.
Als Zielgruppe bringt der 26-jährige Jungunternehmer den Mittelstand der Region ins Gespräch, Firmen mit bis zu maximal 2000 Mitarbeitern. „Es gibt die Tendenz, dass diese Unternehmen ihre innovativen Bereiche ausgliedern“, erklärt Sauerstein. Dass sie also nicht an ihrem logistisch gut erreichbaren Firmensitz über neue Geschäfts- oder Produktideen nachdenken lassen, sondern dort, wo ihre Mitarbeiter gerne leben wollen.
Auch der Wirtschaftsförderer der Stadt will auf die rauchenden Köpfe setzen
Nun dürfte Franz Sauerstein kraft eigenem Arbeitgeber ein großes Interesse daran gelegen sein, Konstanz als starken Standort für innovative Jungunternehmer zu präsentieren. Seine Worte könnten, etwas weniger euphorisch hervorgebracht, aber ebenso von Friedhelm Schaal stammen. Der Wirtschaftsförderer der Stadt hat mehrfach betont, dass er vor seinem näher rückenden Ruhestand Konstanz von der Stadt der rauchenden Schornsteine zur Stadt der rauchenden Köpfe machen will.
Flankiert vom stets gut aufgestellten Handwerk, das nicht zuletzt von den allerorts entstehenden Wohngebäuden auch in Zukunft nicht über leere Auftragsbücher klagen wird.
Die Grundvoraussetzung für den Wissenschaftsstandort Konstanz ist gegeben: An den Hochschulen studieren mehr als 16.000 Menschen. Dass sie auch nach ihrem Abschluss in Konstanz bleiben, ist eine Herausforderung, an der die Stadt lange verzweifelte.
Viele Hoffnungen ruhen auf dem neuen Innovationsareal an der Bücklestraße
Kaum hatten sie ihr Zeugnis abgeholt, ging es in die weite Welt. Anders werden soll das ausgerechnet dort, wo über viele Jahre hinweg eines jener großen deutschen Industrieunternehmen, denen in Konstanz mitunter nachgetrauert wird, hunderte Mitarbeiter beschäftigt hatte: dem früheren Siemens-Areal an der Bücklestraße.
Dort sollen in den kommenden Jahren nicht nur um die 600 Wohnungen entstehen, sondern auch ein neues Zentrum für die Gründerszene. Im Februar gewann die Stadt für das Konzept dieses Konstanzer Innovationsareals (KINA) einen Wettbewerb des Landeswirtschaftsministeriums.
Seither weist am Eingang zum Bürgerbüro eine kleine Plakette Konstanz als gründungsfreundliche Kommune aus. Wichtiger dürften aber die mit der Auszeichnung verbundenen 100.000 Euro an Fördergeldern sein, mit denen die an der Entwicklung des KINA beteiligten Akteure der Konstanzer Gründerszene rechnen kann.

Unter anderem soll das Technologiezentrum Konstanz hier eine neue 4000 Quadratmeter große Heimat finden, nachdem die 1985 entstandenen Räume in einem Hochhaus in der Blarerstraße längst nicht mehr auf dem aktuellen Stand der Technik und darüber hinaus ständig voll sind. Der Umzug soll noch in diesem Jahr beginnen.
Im Konstanzer Gastgewerbe arbeiten knapp 5000 Personen
Nicht nur die Gründerszene profitiert vom Standortfaktor Lebensqualität. Ohne sie hätte einer der größten Konstanzer Arbeitgeber ein großes Problem: das Gastgewerbe. So arbeiteten im zuletzt erfassten Jahr 2017 in diesem Bereich knapp 5000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte. Die Zahl der jährlichen Übernachtungen in der Stadt wächst Jahr für Jahr, zuletzt um 3,5 Prozent.
Inzwischen wird in den Konstanzer Hotels, Pensionen und anderen Gastbetrieben mehr als 920.000 Mal im Jahr übernachtet. Wenn Start-ups und junge Gründer künftige Triebfedern der hiesigen Wirtschaft werden sollen, so ist festzustellen: der Tourismus ist es bereits heute. Mehr als 330 Millionen Euro werden durch ihn in Konstanz jährlich umgesetzt.
Klimaschutz und ein starker Tourismus: Beides hängt zusammen
„Für uns ist der Erhalt der Umwelt ein maßgebliches Bedürfnis“, sagt deshalb Manfred Hölzl, Wirt des Konstanzer Konzils und Chef von knapp 100 Mitarbeitern. Als CDU-Stadtrat habe er deshalb Anfang Mai auch „aus voller Überzeugung“ den Klimanotstand mit ausgerufen.
Mit weit geöffneten Augen lobt Hölzl die meist jugendlichen Fridays-for-Future-Aktivisten, die sich mit „ihrer spontanen Überrumpelungstaktik gegen das Ignorieren der Klimaproblematik durchgesetzt haben“. Hoteliers und Gastronomen wie er benötigten nun einerseits konkrete Vorgaben durch die Stadt, wie ihre Branche mit dem Thema umzugehen habe. „Außerdem müssen wir wissen, wie wir in der Kommunikation nach außen damit umgehen“, sagt Manfred Hölzl.
Bei Hitze fehlt es den Gastronomen zum Beispiel an Kartoffeln
Tino Schumann, Chef des Café-Restaurants Hörnle und Vorsitzender des Konstanzer Wirtekreises ergänzt: „Ganz streng betrachtet dürfte durch den Klimanotstand kein einziger Tourist mehr nach Konstanz fahren.“ Nicht jedem sei klar, dass dies niemand wolle. Schumann empfindet den Begriff des Notstands zwar als „speziell, aber er sorgt für Aufmerksamkeit“.
Auch der Hörnle-Wirt bekennt: „Niemand will ein endloses Wachstum auf Kosten des Klimas.“ Schon jetzt wirke sich dauerhafte Hitze negativ aus. Wirtschaftlich in erster Linie durch steigende Rohstoffpreise. Als Beispiel nennt Konzil-Wirt Hölzl die Kartoffelernte 2018. „Kurz vor Weihnachten sah es mit der Ware aus der Region, auf die wir sonst immer zurückgreifen, sehr schlecht aus.“
Wie lange blüht der Handel noch?
Weniger gut als es in den täglichen Unterhaltungen verbreitet werde, gehe es auch dem Handel. Das jedenfalls deuten Peter Kolb, Chef des Sportfachgeschäfts Gruner, und Christian Ulmer vom gleichnamigen Modeunternehmen an. Das Grummeln über das insbesondere an Samstagen überfüllte Stadtzentrum und eine Bevorzugung Schweizer Kunden bezeichnet Kolb als „Stammtischparolen ohne Faktenwissen. Der Schweizer Kunde ist uns so wichtig wie der aus Konstanz„.

Als Anfang des Jahres bekannt wurde, dass die Zahl der gestempelten Ausfuhrscheine 2018 erstmals seit Jahren rückläufig war, schockte das die beiden Händler, die Teil des Vereins Treffpunkt Konstanz sind, nicht. Es verstärke lediglich den Eindruck sinkender Umsätze beim dem täglichen Geschäft in die Kassen. Als Gründe gelten die Überwindung des sogenannten Franken-Schocks, der für Konstanzer Händler ein Grund zur Freude war, und der vor dem Ortsschild nicht Halt machende Boom des Onlinehandels.
Beides sorgt dafür, dass Christian Ulmer sagt: „Es ist möglich, dass ich in meinem Leben noch einen anderen Beruf ausübe, als unsere Modegeschäfte zu führen.“ Nahe am Rentenalter ist Ulmer nicht, doch seine Aussage zeigt: Die Konstanzer Wirtschaft bleibt in Bewegung, auch aktuelle Heilsbringer scheinen nicht gegen jede Entwicklung resistent.
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