Es sollte eine normale Nacht unter Freunden werden – das dachte sich der Angeklagte an jenem Abend im September 2018. Es sollte eine ganz normale Nacht am Tischkicker werden, dachten sich vier Freunde, die am selben Abend in der Rockbar in der Konstanzer Altstadt auftauchen.
Beide Seiten sollten sich täuschen. Als sie aufeinandertreffen, ist es mit der Normalität vorbei. Soweit sind sich beide Parteien einig. In den meisten anderen Punkten differieren die Erzählungen, die nun vor dem Amtsgericht ausgebreitet werden. Es ist eine Nacht, in der ein Glas Bier, Beleidigung, schließlich Gewalt und das Lied „Schrei nach Liebe“ eine Rolle spielen werden.
Dem Angeklagten wird Körperverletzung in Tateinheit mit Nötigung sowie Sachbeschädigung vorgeworfen. Die Sachbeschädigung räumt er ein – er habe die Jacke eines Geschädigten angezündet und zum Teil verbrannt. Doch zu Prozessbeginn ist nicht einmal klar, ob und wen aus der „gegnerischen Gruppe“, wie die Amtsrichterin es formuliert, er geschlagen hat. Ein zweiter Angeklagter ist als Mittäter angeklagt – so genau weiß zu Beginn allerdings niemand, ob er ebenfalls zugeschlagen hat oder nicht.
An der Bar nimmt das Unheil seinen Lauf
„Wir saßen an der Bar, allerdings weit entfernt von der anderen Gruppe“, erinnert sich einer der vier Freunde, die alle als Zeugen geladen sind. Plötzlich sei einer der Männer aus der Gruppe hinter ihm und seinem Freund tamilischer Abstammung gestanden. „Was wir hier tun, fragte er“, berichtet der 25-Jährige, ein schlanker Mann, dem das Geschehen dieser Nacht ganz offensichtlich sehr präsent ist.
„Dann wandte er sich direkt an meinen Freund und fragte ihn, was er hier zu suchen habe und, dass man Leute wie ihn hier nicht brauche.“ Außerdem habe der Angeklagte seinen Freund gegen den Hals geschlagen, dessen Bierglas genommen und es hinter der Theke ausgeleert.
Perplex wie sie sind, reagieren die Freunde erst einmal nicht. Von der Bedienung seien sie aufgefordert worden, die Bar zu verlassen. „Das sahen wir nicht ein, wir hatten ja nichts Falsches getan.“ Schließlich verlassen sie die Bar doch, die Stimmung ist ohnehin dahin. Den Frieden befördert das nicht, auf der Straße setzt sich der Konflikt fort.
Nun richtet sich die Wut des Angeklagten gegen ein anderes Mitglied der Vierer-Gruppe. Er habe gegen seinen Freund N., Student, 25 Jahre alt, ausgeteilt. Allerdings, so räumt der junge Mann ein, habe dieser den Angeklagten verbal auch ordentlich provoziert. Der Hauptgrund für den Zorn: Der Angeklagte sieht seine Frau auf dem Boden liegen, sie habe sich bei dem Sturz eine Verletzung zugezogen. Schließlich flüchtet sein Freund N., der Angeklagte rennt ihm hinterher, es folgt eine Verfolgungsjagd bis zum Stephansplatz.
„Als der Angeklagte zurückkam, hat er mir auch noch einen Schlag verpasst“, dies empört den Zeugen besonders. Schließlich habe er sich von allen am stärksten im Hintergrund gehalten. Seinen Freund habe es schlimmer erwischt: Der Angeklagte habe ihm die Brille aus dem Gesicht geschlagen, die Jacke weggenommen und angezündet. Zudem mehrfach zugeschlagen.

Angeklagter erzählt eine andere Version
Die Version des Angeklagten lautet völlig anders. Übereinstimmend mit dem Zeugen räumt der 46-Jährige ein, dass er das Bier des dunkelhäutigen Barbesuchers ausgekippt habe. Der Grund? Die vierköpfige Gruppe junger Männer habe von Beginn an Ärger gemacht. Sie hätten auf seine Frau und deren Freundin gedeutet und sie als „Nazi-Braut“ oder ähnlich bezeichnet.
Der Angeklagte, der sich und seine Freunde in Bikerkreisen verortet, führt dies auf den Aufdruck eines schwarzen Kreuzes auf dem T-Shirt seiner Frau zurück, ein bei Bikern verbreitetes Symbol. Beleidigt habe er den dunkelhäutigen Mann an der Theke jedoch nicht. „Es wäre mir neu, dass ich etwas gegen Schwarze habe.“ Als die Gruppe nicht bereit gewesen sei zu gehen, verließ er selbst die Bar.
Dass er seine Frau auf der Straße liegen sieht, macht ihn wütend, auch das gibt er zu. Er nimmt an, dass sie zu Boden gestoßen wurde. Er habe aber nicht zugeschlagen, sondern einem aus der Vierergruppe die Jacke weggerissen. Und später angezündet.
Richterin folgt den Zeugenaussagen
Für Amtsrichterin Peltz ist, nachdem sie zehn Zeugen zum Geschehen dieser Nacht gehört hat, klar: Die Version des Angeklagten kann nicht stimmen. Zu sehr folgen die Aussagen der vier Freunde einer groben Linie, ohne sich dabei aber komplett zu decken. Zu sehr wirken die vier jungen Männer authentisch, sparen zuweilen auch nicht mit Selbstkritik. Dass der auf der Straße mehrfach vom Angeklagten geschlagene 25-Jährige selbst mit Beleidigungen nicht gespart habe und sich körperlich wehrte, räumen alle vier Freunde ein.
Und schon in der Bar muss es geknistert haben. „Irgendwann lief ‚Schrei nach Liebe‘“, erwähnt der Dritte des Quartetts eher beiläufig. Daran erinnere er sich, erst nach dem Lied hätten sie die Bar verlassen. Der Anwalt der Gegenseite hakt nach. Ob sie mitgesungen hätten? Ja. Worum es in dem Lied gehe? „Um einen Neo-Nazi.“ Nicht auszuschließen, dass ein Blick, eine Geste in Richtung des Angeklagten ging und diesen provozierte.
Für den jungen Mann mit tamilischen Wurzeln steht fest: Es war weniger der Schlag, dem er halb ausweichen kann, der ihn verletzt hat. Sondern die Erkenntnis, dass jemand ihn wegen seiner Hautfarbe angegriffen hat. „So etwas ist mir noch nie passiert: Dass eine ältere Person mich angreift.“
Das Urteil ist schnell gesprochen: 4800 Euro hat der Angeklagte zu zahlen, in 120 Tagessätzen zu 40 Euro – einen höheren Satz mutet die Richterin ihm nicht zu, da er Schulden hat. Sein Kumpel wird freigesprochen, ihm kann keine Tat und kein Schlag zugeordnet werden. Die Nacht in der Rockbar, sie wird den Männern, die an diesem Tag vor Gericht aussagten, in Erinnerung bleiben. Es hätte einfach ein netter Abend werden sollen.