Der Vater hat seine beiden Söhne im Griff. Als der ältere auf unschuldig macht und Richterin Peltz ihm die Folgen seines offensichtlichen Lügens vor Augen führt, bittet der Vater um eine fünfminütige Pause. Vor der Tür des Saales 107 am Amtsgericht Konstanz nimmt er den Jungen ins Gebet. Wenig später räumt dieser sein Vergehen ein.
Ja, er sei ohne Führerschein und mit geklautem Kennzeichen mit dem Auto gefahren. Es tue ihm Leid. Doch wie glaubwürdig ist die angebliche Reue? Auf dem Foto der Verkehrskontrolle ist der Junge klar zu erkennen und dennoch leugnet er anfänglich das Vergehen, bei dem er mit fast 60 Kilometern pro Stunde bei Regen und entsprechend schlechten Sichtverhältnissen durch eine Tempo-30-Zone rast.
Nachdem der Vater ihn auf dem Flur offensichtlich zur Vernunft gebracht hat, will die Richterin von dem Sohn wissen, wie er denn überhaupt das Autofahren gelernt habe. Auf der Video-Plattform YouTube gebe es online „da so was“, antwortet der Junge, den Rest hätten ihm ein „paar Kollegen“ erklärt. Wenn das so einfach ist, dann könne man sich den Führerschein ja glattweg sparen, meint die Richterin. Ihr Sarkasmus geht dem Angeklagten nicht auf, er bestätigt ihre Einschätzung.
Auf offener Straße eskaliert die Lage plötzlich
Es ist nur eine Episode in einem Prozess, in dem es um Schlimmeres geht. Der Vater und seine beiden minderjährigen Söhne haben sich der gefährlichen Körperverletzung schuldig gemacht. Im September 2021 schlug das Trio in Wollmatingen auf einen heute 30-jährigen Mann und ein inzwischen 15-jähriges Mädchen ein – beide trugen erhebliche körperliche und psychische Schäden davon.
Der Vorfall hatte für die beiden ferner gravierende soziale beziehungsweise wirtschaftliche Folgen: Die junge Frau wechselte die Schule, der Mann wurde zeitweilig arbeitsunfähig, verlor seinen Job und hatte dadurch einen Verdienstausfall von rund sieben Monaten zu überbrücken.
Als Ursache der Schlägerei kann Mobbing angenommen werden. Nach Angaben der beiden Opfer hatte der ältere der beiden Söhne das Mädchen in der Schule regelmäßig beleidigt und belästigt, was zur Intervention des 30-Jährigen führte. Schon bei einer früheren verbalen Auseinandersetzung ging es handgreiflich zu, allerdings kam es zu keiner gerichtlichen Aufarbeitung.
Das ließ sich nach den Geschehnissen am 20. September 2021 nicht mehr vermeiden. Während einer Autofahrt war von dem Täter-Trio das Mädchen entdeckt worden, das von dem 30-Jährigen abgeholt werden sollte. Die zufällige Begegnung wollte der Vater nach seiner Darstellung zu einem klärenden Gespräch nutzen, wozu sich das spätere Opfer bereit erklärte und aus dem Auto stieg. Wenig später flogen die Fäuste, das Mädchen wollte ihrem Beschützer helfen und handelte sich dadurch ihrerseits Verletzungen ein.
Zeugin filmt, wie auf den Mann eingetreten wird
Bei der entscheidenden Frage, wer mit der Schlägerei angefangen hat, gingen die Angaben auseinander. Für die Richterin und den Staatsanwalt gibt es jedoch keine Zweifel, dass sie von dem 37-jährigen Vater angezettelt wurde. Dafür sprechen die Verletzungen der Opfer, zumal beim 30-Jährigen: Er erlitt nach ärztlichen Gutachten eine Gehirnerschütterung, diverse Prellungen und Abbrüche an den Schneidezähnen.
Ein von einer Passantin gemachtes Video zeigt außerdem, wie die Täter auf die am Boden liegenden Opfer mit Füßen eintreten. Der Zeugin der Schlägerei sowie anderen Passanten ist es übrigens zu verdanken, dass die beiden Opfer nicht noch mehr zu Schaden kamen. Durch Zurufe und Aufforderungen bewirkten sie, dass die Täter das Weite suchten.
Während des Prozesses nicht zu klären war dabei, ob nicht noch ein dritter Sohn sowie ein fünfter Mann auf Täterseite mit in die Schlägerei verwickelt waren. Die Schutzbehauptungen und Beschwichtigungen des Vaters, wonach das Ganze nicht so schlimm gewesen sei und eher aus Versehen außer Kontrolle geraten sei, wogen für Richterin und Staatsanwalt nichts im Vergleich zu den Aussagen von Opfern und Zeugen sowie der Fakten.
Nicht sonderlich gut kamen ferner Ablenkungsversuche des angeklagten Vaters an, wie etwa die Frage nach der Art des Verhältnisses zwischen den beiden Opfern. Der 30-Jährige bezeichnete sich daraufhin als besten Freund des Mädchens, der ihr wegen des Mobbings und der Anmache helfen wollte – alles andere spiele seiner Meinung nach bei der gerichtlichen Aufarbeitung der Schlägerei keine Rolle.
Richterin: „Was ist in Ihrer Familie schon normal?“
Die Einordnung solcher Nebenaspekte verliehen am Ende der Urteilsbegründung mehr Gewicht als den Strafen. Die Richterin schloss sich zwar der Auffassung der Jugendgerichtshilfe an, wonach sich die beiden Jugendlichen durch die starken familiären Bande in einem prinzipiell stabilen Umfeld befinden. „Aber was ist in Ihrer Familie schon normal?“, sprach sie den Vater direkt an.
Alle miteinander seien bereits straffällig geworden, und der jetzige Prozess verdeutliche, wie die familiären Beziehungen ins Negative umschlagen könnten. Statt sich aufs Verharmlosen zu verlegen, sollte er eher auf seine Söhne in einem Sinne einwirken, dass sie nicht gänzlich auf die schiefe Bahn geraten.
Zugleich hegt die Richterin Zweifel daran, dass der Vater für sich selbst den Ernst der Lage begriffen hat. Als Unternehmer und Hauptversorger der Familie trage er eine hohe Verantwortung, die Versäumnisse in der Erziehung aber seien offensichtlich. Als Beispiel nannte die Richterin die Reaktion auf einen Diebstahl der Kinder, den der Vater anstelle einer Maßregelung zum Anlass einer Bedrohung eines Kaufhaus-Detektivs nahm.
Beide Söhne sitzen zeitweise grinsend im Gerichtssaal
Dass die Familie in diesem Fall alles ist, dem Rest der Gesellschaft samt ihren Institutionen aber wenig Respekt entgegen gebracht wird, ließ sich während der Verhandlung durchgängig beobachten. Der jüngere Sohn war zu keiner Aussage bereit und schien sich überhaupt wenig für das Verfahren zu interessieren.
Beide Söhne zeigten sich außerdem bei etlichen Vorhaltungen eher belustigt und offenbarten grinsend ein stilles Einvernehmen über den gerichtlichen Anlass ihres sträflichen Verhaltens. Einzig den gelegentlichen Zurechtweisungen des Vater folgten sie aufs Wort. Ob das aber immer gut ist? Am 20. September 2021 jedenfalls wären sie seinem Vorbild besser nicht gefolgt.