Es ist fast schon ein epochaler Beschluss des Gemeinderats. Denn spätestens jetzt hat Konstanz einen Punkt ohne Wiederkehr erreicht: Das Vorhaben, am Hafner ein neues Stadtviertel für bis zu 10.000 Bewohner zu errichten, ist nun endgültig zum Erfolg verdammt.

Vieles spricht dafür, dass sich dieser Erfolg einstellt und Konstanz das größte Wachstum seit Jahrzehnten und vielleicht das letzte in diesem Jahrhundert gut gestalten kann. Die Chancen sind enorm, doch es liegt in der Natur der Sache, dass auch die Risiken erheblich sind.

Das könnte Sie auch interessieren

Konstanz ist eine attraktive Stadt – und wird es auch bleiben

Zunächst zu den Chancen. Konstanz ist eine hoch attraktive Stadt, die auch in Zukunft Menschen anziehen wird. Auch in unserem Land wird die Verstädterung weiter zunehmen, weil die kurzen Wege zwischen Wohnen, Arbeiten und Erholen und die Teilhabemöglichkeiten an einem vielgestaltigen Gemeinschaftsleben für viele Menschen attraktive Lebensentwürfe bleiben werden. Doch genau das ist in Konstanz vielen nicht vergönnt.

Bis in die Mittelschicht hinein können sich Familien das Leben hier nicht mehr leisten. Arbeitgeber berichten, dass großartige Fachkräfte nach einem Blick auf das Wohnungsangebot wieder absagen. Und ist es nicht schrecklich, wenn Menschen, die Konstanzerinnen und Konstanzer pflegen, für sie Brände löschen oder ihre Kinder erziehen, selbst nur irgendwo hinter Stockach daheim sein können?

Das könnte Sie auch interessieren

Diese Schieflage – wie auch den Mangel an Gewerbeflächen – kann das Hafner-Projekt lindern. Nun ließe sich einwenden, dass es angesichts der demografischen Entwicklung sehr spät kommt. Und viele, die Konstanz enttäuscht den Rücken gekehrt haben, werden das für sich so empfinden.

Dennoch ist es eine valide Annahme, zuletzt auch nochmals durch Fachleute des Instituts Empirica dargelegt, dass Konstanz wachsen wird. Und zwar nicht, weil die Stadt das wollte, sondern weil die Menschen das wollen, die hier heimisch werden möchten.

Großes Theater um fünf oder zehn Wohnungen: Mit Nachverdichtung schafft die Stadt es nicht

All das spricht für einen großen städtebaulichen Wurf. Zumal sich zeigt, dass die Nachverdichtung an ihre Grenzen kommt und Konstanz sein Problem nicht löst, wenn alle paar Monate mal ein Haus mit zwölf Wohnungen fertiggestellt wird, um das vorher jahrelang prozessiert wurde.

Hier bietet ein neuer Stadtteil genau jene Entlastung, die inzwischen auch Bundeskanzler Olaf Scholz erkannt hat, wenn er solche großen Projekte anregt. Wichtig ist es, dass die architektonischen und sozialen Fehler der 70er-Jahre, der vorigen großen Welle der Stadterweiterungen, nicht nochmals gemacht würden. Das scheint am Hafner gut bedacht.

Das könnte Sie auch interessieren

Doch sollte sich Konstanz auch der Risiken bewusst sein. Für eine Stadt mit knapp 90.000 Einwohnern ist es ein großes Vorhaben, binnen nur einer Generation um zehn Prozent zu wachsen. Am Hafner werden um 2040 vermutlich fast so viele Menschen leben wie heute in Litzelstetten, Dingelsdorf, Wallhausen und Dettingen zusammen.

Es geht auch um die Frage: Was braucht Konstanz in 50, 100 oder 150 Jahren?

Eine große Grundschule, eine große weiterführende Schule, fünf Kitas, mehrere Pflegeheime: Das alles gibt ein Gefühl für die Dimension dessen, was da entstehen soll. Und jede dieser Einrichtungen ist eine Wette auf die Zukunft: Die Schulen, die die Konstanzer Kinder heute besuchen, wurden vor 150, 100 oder 50 Jahren gebaut. Die Schulen, die wir heute bauen, sind müssen also auch für die die Gesellschaft von 2073, 2123 oder 2173 passen.

Die Zahlen zeigen auch, dass es um schwindelerregende Summen geht. Fast eine halbe Milliarde Euro ist allein der Beitrag der Stadt. Bauherren von Wohnungen, Gewerbebetrieben, Pflegeheimen werden – bei heutigen Baukosten! – nochmals grob geschätzt 1,5 Milliarden Euro in die Hand nehmen müssen.

Das könnte Sie auch interessieren

Dass sie dies tatsächlich tun, dem ist Konstanz auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Eine Stadt, die nach eigenen Angaben bis zu 230 Euro für einen Quadratmeter Ackerland bezahlt, um das später in Bauland zu veredeln, kann es sich kaum leisten, solche Werte in den Büchern schlummern zu lassen.

Was passiert, wenn gar keiner Grundstücke kaufen und Häuser bauen will?

Denn, und das ist derzeit wohl das größte Risiko, die ganze Rechnung am Hafner geht nur auf, wenn jemand auch tatsächlich bauen will und dafür der Stadt das Grundstück zu einem hohen Preis abkauft. Klappt das, kann sich der Hafner nach dem, was wir heute wissen, zu einem guten Teil selbst finanzieren.

Bleibt die Stadt auf ihren Grundstücken sitzen, hat sie zwar große Flächen, aber kein Geld mehr. Würde am Rand von Wollmatingen eine große Blase platzen, bleibe in der Stadt kein Stein mehr auf dem anderen. Über Debatten ums Theaterbudget oder einen Teilverkauf der Stadtwerke würde man wohl nur noch müde lächeln.

Das könnte Sie auch interessieren

Aus dem strahlenden Zukunftsprojekt wird ein risikobehaftetes Abenteuer

Als Konstanz die Hafner-Idee zu bearbeiten begann, war sie ein strahlendes Zukunftsprojekt, heute ist sie auch ein risikobehaftetes Abenteuer. Wer hat geahnt, dass das Bauen von Wohnungen irgendwann nicht mehr rentabel sein könnte? Dass Fachkräfte und Baumaterial dramatisch knapp werden könnten? Dass immer mehr Menschen das ganze Wohlstands- und Wachstumsmodell anzweifeln und die Mechanismen aus Angebot und Nachfrage an Regelungskraft verlieren könnten?

Auf viele der Herausforderungen ist der Hafner eine mutige und überzeugende Antwort. Im besten Fall wird es ein in allen Dimensionen – ökologisch, ökonomisch, sozial – nachhaltiges Stadtquartier, das Maßstäbe setzt und vielen Menschen geliebte Heimat wird. Im schlechtesten Fall hat Konstanz hoch gepokert und hoch verloren. Zumindest den Teil der Stellschrauben, an dem diese Stadt selbst drehen kann, sollten Politik, Verwaltung und eine kritische Öffentlichkeit gut im Blick haben. Es braucht Raum für Ideen, Fragen, Kritik und Debatte. Weil Konstanz am Hafner tatsächlich nur einen Versuch hat.

Das könnte Sie auch interessieren