Auf einem Tisch im Büro von Jürgen Klöckler liegt eine schmucklose Akte. Der Leiter des Stadtarchivs hat sie kürzlich im Rahmen eines Seminars an der Universität genutzt. In der Mappe befindet sich ein Ausschnitt der Konstanzer Geschichte: Es sind Anfragen an den ehemaligen Konstanzer Oberbürgermeister Franz Knapp darin gesammelt, in denen um einen sogenannten Persilschein gebeten wird.
Knapp sollte nach Ende des Zweiten Weltkrieges also Menschen in ihren Entnazifizierungsverfahren unterstützen – und habe meist sehr wohlwollende Stellungnahmen verfasst, sagt Klöckler. Diese befinden sich ebenfalls in der Mappe.

Viele solcher Zeitdokumente lagern in den Stadtarchiven. Ein reicher Wissensschatz, wie man an Jürgen Klöcklers Arbeit belegen kann: 2019 zeichnete er in einem Aufsatz die NS-Verstrickungen von Fasnachts-Ikone Willi Hermann nach, woraufhin dessen Lieder aus dem Programm der SWR-Fernsehfasnacht gestrichen wurden. 2021 arbeitete er die als „Gammler-Mord“ bekanntgewordene Tötung des Lehrlings Martin Katschker im Jahr 1970 auf.
Das Archiv läuft voll!
Das Stadtarchiv Konstanz hat laut Klöckler allerdings ein Problem. In drei bis fünf Jahren gehen dem Gebäude am Benediktinerplatz die Räumlichkeiten aus. „Das Stadtarchiv läuft voll“, sagte der Archivar kürzlich im Kulturausschuss. In den vergangenen Jahren habe man zwar einige Magazine erneuert und so weiteren Platz geschaffen. Dennoch steht er nun im Keller des Stadtarchivs und zeigt auf wenige Regalreihen: „Hier sind unsere letzten Platzreserven.“

Für Jürgen Klöckler wäre die optimale Lösung des Platzproblems ein etwa 400 Quadratmeter großer unterirdischer Neubau zwischen Stadtarchiv und der Wobak, der aus dem Untergeschoss des Stadtarchivs erreichbar sein soll. Damit sei das Platzproblem mindestens für die nächsten 30 Jahre gelöst, sagt Klöckler. Ein anderer Bau, etwa am Depot des Rosgartenmuseums, wäre zwar „nett und gut“, aber unpraktisch. Für die Archivare sollten die Dokumente möglichst unkompliziert zu erreichen sein.
Jürgen Klöckler verweist bei seinem Appell auf die Verpflichtung des Stadtarchivs, gewisse schriftliche Dokumente anzunehmen: „Wozu wir gesetzlich verpflichtet sind, ist die Dokumentation und Übernahme der Verwaltungsakten, damit Verwaltungshandeln nachvollziehbar bleibt.“ Im Kulturausschuss fragte Peter Müller-Neff von der Freien Grünen Liste, ob etwa die Protokolle der Ausschusssitzungen im Stadtarchiv aufbewahrt werden müssten. Und tatsächlich stehen im Stadtarchiv Regale voller dicker Bände mit den Protokollen der Ratssitzungen mehrerer hundert Jahre.

Das Problem wächst
Werden es langfristig weniger Akten, die in das Archiv aufgenommen werden müssen? „Die nächsten zehn Jahre sicherlich nicht“, sagt Klöckler. Viele der Dokumente, die derzeit noch in den Ämtern gelagert werden, wandern langfristig in den Bestand des Stadtarchivs ein. Aufgabe der Einrichtung sei es, „die Stadtgeschichte in ihrer Gänze zu dokumentieren.“

Dazu gehöre auch die Durchsicht und eventuelle Aufnahme der Nachlässe von Politikern, Künstlern oder Wissenschaftlern, die in Konstanz gewirkt haben. Als 2020 das Unternehmen Ernst Straub Insolvenz anmeldete, nahmen Klöckler und seine Kollegen Kontakt mit der Firma auf. Dokumente aus dem Firmenarchiv, die als relevant erachtet wurden, bilden heute einen eigenen Bestand. Sie reichen bis in die 1860er Jahre zurück, erzählt Klöckler.
Digitalisierung sei kurzfristig nicht die Lösung. Die Idee, einfach alle Dokumente zu scannen und die Originale anschließend zu entsorgen, habe er schon oft gehört. Das Landesarchivgesetz verpflichte allerdings dazu, die Originale aufzubewahren, was Klöckler auch gutheißt. Es ginge schließlich um „authentische Informationen“. Digitale Dokumente seien leichter zu manipulieren, insofern wäre es zu begrüßen, dass die Originale physisch vorliegen.
Zumal die Digitalisierung der vielen Akten eine mühsame Handarbeit sei. „Das ist die andere Seite der Digitalisierung: Irgendwer muss es machen.“ Daher ist bislang nur ein Bruchteil der Dokumente im Stadtarchiv digital verfügbar. Derzeit ist der mögliche Neubau noch Zukunftsmusik: Er könnte frühestens im Rahmen des nächsten Doppelhaushalts 2025/26 verhandelt werden.