Ein 40-Jähriger soll vor drei Jahren wegen einer Verspätung derart ausgerastet sein, dass er einen anderen Mann so schwer verletzte, dass dieser seit der Gewalttat ein Pflegefall ist. Vor dem Konstanzer Landgericht hat nun der Prozess begonnen. Es geht im Gerichtssaal um Aggression, verletzte Gefühle und Sucht. Vor allem aber um ein heute dreijähriges Kind.

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Die Tür zum Gerichtssaal öffnet sich, der Angeklagte wird hereingeführt. Während er zu seinem Platz läuft, schleift seine Fußfessel hörbar über den Boden. Er ist äußerlich eine unscheinbare Gestalt: Nicht allzu groß, hager, kantiges Gesicht mit Kinnbart. Über weite Strecken der ersten beiden Verhandlungstage am Dienstag und Mittwoch dieser Woche sitzt er mit versteinerter Miene im Gericht.

Knapp 20 Einträge in der Akte des Mannes.

Doch die Fassade täuscht: Der Mann wird von vielen Zeugen als impulsiv und aggressiv beschrieben. Er hat ein langes Sündenregister mit knapp 20 Einträgen. Diebstahl, Hausfriedensbruch, unerlaubter Erwerb von Betäubungsmitteln, versuchte räuberische Erpressung mit Körperverletzung, versuchter besonders schwerer Raub. Der 40-Jährige saß in verschiedenen Gefängnissen, auch aktuell verbüßt er eine Haftstrafe. Nun also wird ihm schwere Körperverletzung zur Last gelegt.

Der Vorsitzende Richter Arno Hornstein erläutert, was an jenem 8. September 2018 in der Brandenburger Straße geschehen sein soll: Der heutige Angeklagte stritt sich mit seiner damaligen Freundin auf einem Parkplatz. Ihr Vater kam dazu und wollte seine Tochter wegziehen. Das ließ sich der Wütende nicht gefallen, es kam zum Streit zwischen den beiden Männern.

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Ein Wort gab das andere, bis der Jüngere seinem Kontrahenten unvermittelt in den Bauch trat. Das damals 66-jährige Opfer fiel sofort ungebremst nach hinten und schlug mit dem Kopf auf dem Asphalt auf. Dort blieb der Mann reglos liegen. Als die Frau ihrem Vater helfen wollte, zog ihr Freund sie mehrfach weg. Er wollte lieber flüchten, denn damals wurde er wegen eines anderen Delikts polizeilich gesucht.

Opfer lebt heute im Heim. Pflegestufe 5.

Der 40-Jährige hört sich alles an, dann bestätigt er den Vorfall. „Ich war baff, dass er sofort umfiel, das hatte ich nicht erwartet.“ Schließlich sei der andere von kräftiger Statur gewesen. Er wog geschätzt 100 Kilogramm, verteilt auf 1,60 Meter Körpergröße. „Ich wollte das so nicht“, sagt der Angeklagte. „Aber ich kann leider nichts daran ändern.“

Ändern kann er auch nichts mehr daran, dass sein Opfer seitdem Pflegestufe 5 bekommt und im Heim lebt. Es kann nach Aussagen seiner Angehörigen sowie von Ärzten weder gehen noch sprechen, wird hauptsächlich über eine Magensonde ernährt, trägt Windeln und erkennt seine Kinder nur in guten Momenten.

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Eine Notoperation in Kreuzlingen rettete ihm das Leben, es folgte eine Rehabilitation in den Kliniken Schmieder Allensbach. Doch der Zustand ist bislang unverändert. „Ich erkundige mich regelmäßig nach seinem Befinden“, sagt der Mann, der dafür verantwortlich sein soll. „Mir geht es damit nicht gut, ich sehe ihn jeden Tag vor mir stehen.“

Lage eskalierte wegen einer Verspätung.

Worum aber hatte sich der Streit gedreht? Im Kern ging es um die Frage, wie seine damalige Partnerin möglichst schnell nach Trossingen zurückkehren könnte. Dort lebte sie damals mit ihrem sechs Monate alten Sohn bei der Familie ihres Cousins, die das Kind in Obhut genommen hatte.

Denn das Jugendamt schaltete schon während der Schwangerschaft eine Familienhilfe ein und entschied, dass das Kind nach seiner Geburt nicht bei der Frau und dem Angeklagten bleiben könne. Beide hatten eine Drogenvergangenheit, außerdem keine geeignete Wohnung.

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Die Frau war an jenem Tag im September nach Konstanz gefahren, um den Angeklagten zu sehen. Doch dann überkam sie Migräne, ihre Rückkehr verspätete sich, und die Familie ihres Cousins machte Druck. Schließlich waren Auflagen des Jugendamts zu erfüllen. Sie wollte mit ihrem Vater nach Trossingen zurückkehren und legte sich auf die Rückbank seines Autos.

Der 66-Jährige musste nochmal in die Wohnung, um Geld für Benzin zu holen. Als der Angeklagte erfuhr, dass sie immer noch nicht auf dem Weg nach Trossingen war, hakte etwas bei ihm aus. Er zog sie aus dem Auto, trat die Tür zu und zerstach alle vier Reifen. Als der 66-Jährige zurückkehrte, warf er ihm vor, seine Tochter nicht zu unterstützen. Es kam zum folgenschweren Tritt.

Bier rund um die Uhr. Dazu Schnäpse.

In der Hauptverhandlung wird immer wieder deutlich, wie wenig es oft brauchte, um den Angeklagten ausrasten zu lassen. So berichtet eine leitende Mitarbeiterin des Konstanzer Sozial- und Jugendamts: „In all meinen Dienstjahren zuvor habe ich es noch nie erlebt, dass bei jedem Treffen mit einer Person Polizei und Security eingesetzt werden mussten.“ Der Mann habe Drohungen gegenüber den Mitarbeitern ausgesprochen. „Und nach jedem Gespräch mit ihm roch mein Büro nach Alkohol“, sagt sie.

„Bier hatte ich rund um die Uhr, dazu oft Schnäpse und Likör. Ich habe getrunken, so lange ich laufen konnte“, so der Angeklagte. Eine zentrale Frage in der Verhandlung ist daher, in welchem Maß er zur Tatzeit betrunken (und steuerungsfähig) war. Für ihn selbst ist dies gar nicht entscheidend. Er will die Tat nicht mit dem Alkohol entschuldigen. Im Gegenteil. „Ich möchte eine professionelle Therapie machen, um für meinen Sohn da zu sein, er ist mein Ein und Alles“, sagt der 40-Jährige.

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Die zuständige Familienhelferin sagt als Zeugin aus: „Seine Wut richtet sich gegen alle, die ihn daran hindern, sein Kind zu sehen.“ Und der Angeklagte berichtet: Als seine Freundin schwanger wurde, sei er auf Wolke 7 gewesen. Er habe seinen Alkoholkonsum reduziert und sich Arbeit gesucht. „Aber als ich erfahren habe, dass ich das Kind nicht haben darf, habe ich schlimmer getrunken als vorher.“

Das Urteil in dem Prozess wird am 27. Mai gesprochen.