Tatort- und -zeit: Der Obermarkt in Konstanz, Schmotziger Dunschtig, 8. Februar, 13 Uhr. Die Anklage lautet: „Vorsätzliche Niederstreckung immaterieller Kulturgüter aus selbstherrlichen Motiven“. Auf der Anklagebank der Scharfrichter vom Jakobiner-Tribunal: Regina G.-M., ihrerseits ehemalige Münsterkindergarten-Leiterin und Erzfasnachterin. Als mögliche Höchststrafe für ihr mutmaßliches Verbrechen steht die gut geschärfte Guillotine auf dem Schafott im Raum.
Die Prozessbeteiligten: Die Anklage ist vertreten durch die Jakobiner, allen voran Richter Ekkehard Greis, Vizepräsident Axel Ibach und Präsident Harry Wölfle. Letzterer agiert beim Tribunal als Henker, Simon Schafheitle ist der Kläger. Beide wollen den Kopf der mutmaßlichen Täterin nach dem diesjährigen Motto, „allen wohl und nur einem weh“, rollen sehen. Die Verteidigung der Angeklagten Regina Graf-Martin übernimmt Pflichtverteidigerin Claudia Zähringer. Weiterhin werden von beiden Seiten eine Reihe an großen – aber auch kleinen – Zeugen mobilisiert, um jeweils in ihrem Sinne auszusagen.
Anklage: „Runter mit der Rübe“
Bereits zu Beginn wird klar: Graf-Martin an diesem Tag zu verurteilen, das wird schwer. Denn das Publikum hat sie hinter sich, immer wieder wird „Freiheit für Regina, Freiheit für die Gräfin“ aus den Reihen skandiert. Einige haben Plakate mitgebracht, auf dem sie Milde für die Angeklagte fordern. Da helfen auch die Sprechchöre der Jakobiner („Runter mit der Rübe“) nur wenig.
Angeklagt ist die Erzfasnachterin laut Richter Ekkehard Greis der „vorsätzlichen Niederstreckung immaterieller Kulturgüter aus selbstherrlichen Motiven“. Einfacher gesagt: „Sie ist in Rente gegangen“, so Greis, der umgehend dem Chefankläger Simon Schafheitle das Wort erteilt. Der macht gleich klar, was er fordert: Alle „warten lüstern, dem Volk sei es gegönnt, dass die Guillotine deinen Kopf vom Körper trennt.“ Und weiter: „Das Fallbeil runter, aber flott, Regina ‚gestatten‘ Graf-Martin, Königin der Sitte, springst du gleich über die Klippe.“
40 Jahre hat sie sich für die Fasnacht engagiert
Die Verdienste um die Fasnacht rechnet er ihr freilich strafmildernd an, schließlich habe sie sich 40 Jahre um das Wohl der Narretei verdient gemacht. Das macht er mit Vergleichen klar: Es gab sieben Präsidenten in Amerika, seit sie Chefin war. Oder etwa, dass vor 40 Jahren der Teletext erfunden wurde. Kaum jemanden in der Stadt unter 40 Jahren gebe es, bei dem Graf-Martin nicht sagen könne: „Jap, der war auch bei mir Kindergarten.“
Schnell kehrt er allerdings dazu zurück, ihren Kopf zu fordern. So heißt‘s: „Die Fasnet wird dir nichtiger, weil die Rente ist dir wichtiger.“ Oder: „Mensch, werd mal wach, Konstanz geht jetzt nur noch runter den Bach.“ Sorgen macht er sich um die Stadt selbst, aber auch um die Kinder: „Was wird denn bloß aus denen Goofen, wer spricht mit ihnen jetzt die Strophen.“ Am Ende plädiert er als Kläger auf die Höchststrafe („Gnade dir Gott und Ho Narro!“).
Verteidigung: „Ära wem Ära gebührt“
Eine glänzend aufgelegte Claudia Zähringer macht gleich klar, was sie vom Kläger und der Anklage hält. Auch Schafheitle selbst sei doch bei Graf-Martin „am Rockzipfel ghängt‘, so wie jeder in dieser Stadt“. Schon früh habe die Angeklagte den Konstanzer Kindern klargemacht, was zählt: „Wenn pinkle‘ musch, gesch aufs Klo und an de Fasnet, da sagsch ‚Ho Narro‘.“ Was Graf-Martins Abschied angeht, ist klar: „Jeder war zutiefst gerührt, Ära wem Ära gebührt.“ Nun sei sie eben Botschafterin für die Konstanzer Fasnacht auf der ganzen Welt („In Tansania wissen alle Affen, in Wollmatingen, da gibt‘s Giraffen“). In der Folge sei ein Freispruch das einzig mögliche Urteil.
Als Regina Graf-Martin das letzte Wort ergreift, wird deutlich: So leicht gibt sie sich nicht geschlagen („Was fällt euch denn ei‘, ihr könnt ja itt ganz sauber sei“). Zum Kläger gewandt, dem sie selbst schon so manchen Fasnachtsbrauch beigebracht habe, sagt sie nur: „Was traust du dich denn, mich anzuklagen, ich kenn dich schon im Kinderwagen.“ Mit scharfer Zunge urteilt sie über die Verantwortlichen des Tribunals: „Altstadtmaulganoven, die mich arme Frau verkohlen“, denen sollte man mal „stramm den Po versohlen“. Aus dem Publikum kommen immer wieder wohlwollende Rufe und am Ende stimmt die Angeklagte an: “Holladi, Holladiao, ich bin in Rente, des isch einfach so“ – und der ganze gut gefüllte Obermarkt singt mit.
Nach dem Auftritt einiger Zeugen, darunter Norbert Heizmann alias Büble „Norbertle“ mitsamt Propellerhut, beratschlagt sich das Tribunal und kommt zum einzig möglichen Urteil. Richter Ekkehard Greis verkündet: „Regina Graf-Martin bleibt von der Guillotine verschont.“ Es gibt also einen Freispruch – allerdings mit Bewährungsauflagen. So muss die Erzfasnachterin an der kommenden Fasnacht mit zehn Kindern zehn verschiedene Narrensprüche vor den Jakobinern aufsagen. Wer am Schmotzigen auf dem Obermarkt dabei ist, der ist wohl sicher: Für eine Regina Graf-Martin ist das gewiss keine Herausforderung.