Es ist ein Brief voller Sprengkraft – und ein Vorgang, der weit über ein attraktives Grundstück mit Seesicht in Konstanz-Litzelstetten hinausweist. Die Stadt Konstanz wird in dem Dokument in aller Form und Deutlichkeit angewiesen, eine Baugenehmigung für die städtische Wohnungsbaugesellschaft Wobak zurückzunehmen. Denn die Aufsichtsbehörde sieht wesentliche Rechtsgrundsätze verletzt. Im Ergebnis könnte es für die Wobak, aber auch für die Stadtwerke, die Spitalstiftung und andere stadt-nahe Akteure, künftig noch schwieriger werden, Neubauten zu errichten.

Das Schreiben, dessen Echtheit der SÜDKURIER geprüft hat, beleuchtet den wahren Grund, warum im Marienweg in Litzelstetten bis heute kein einziges der seit langem geplanten Mehrfamilienhäuser steht. Denn dass dort Wohnraum geschaffen werden soll, steht schon im Handlungsprogramm Wohnen aus dem Jahr 2014. Doch auf dem Areal haben fast zehn Jahre später noch nicht einmal Bauarbeiten begonnen, öffentlich war immer wieder von Auseinandersetzungen mit Anwohnern die Rede.

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SÜDKURIER-Recherchen zeigen nun, dass zwar in der Tat Anwohner gegen die Bebauung vorgegangen sind – für sie geht es unter anderem auch darum, den Seeblick nicht zu verlieren. Doch der Grund für die Verzögerung ist dem nun aufgetauchten Dokument zufolge vor allem, dass die Konstanzer Stadtverwaltung einen folgenschweren Verfahrensfehler gemacht hat und sich im Nachgang wenig kompromissbereit gezeigt hat. Daraufhin eskalierte ein bisher beispielloser Streit zwischen der Stadt Konstanz und dem Regierungspräsidium (RP) Freiburg.

Baubürgermeister Karl Langensteiner-Schönborn sieht die wahre Konfliktlinie allerdings woanders. Der Fall Marienweg zeige, wie immer mehr Bürokratie das Bauen mühsam, langsam und teuer mache, sagt er dem SÜDKURIER. Nach seiner Darstellung teilen Stadt und RP sogar die Einschätzung, dass einige Bestimmungen und Besonderheiten der Landesbauordnung fragwürdig seien. Zum Handeln aufgefordert seien deshalb eher Land und Bund.

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Wenn es Streit gibt, darf die Stadt sich nicht selbst eine Baugenehmigung erteilen

Die Rechtslage nach Paragraph 48 der Landesbauordnung ist in Kurzform so: Wenn die Stadt Konstanz etwas bauen will und es gegen dieses Vorhaben Einwendungen gibt – zum Beispiel von Nachbarn, aber auch Naturschutzverbänden oder anderen Akteuren -, darf sie sich nicht selbst eine Baugenehmigung erteilen. Stattdessen muss das Regierungspräsidium als nächsthöhere Instanz den Fall übernehmen. Das erfolgt, um „einer Besorgnis der Parteilichkeit entgegenzutreten“, wie ein Abteilungsdirektor des RP an das Konstanzer Rathaus schreibt.

Doch nun kommt ein Detail hinzu, das für die weitere Stadtentwicklung von Konstanz erhebliche Folgen haben dürfte. Das RP stuft inzwischen auch die Wobak als direkten Teil der Stadt Konstanz ein. Damit darf, zumindest nach Freiburger Rechtsauffassung, das Baurechts- und Denkmalamt in der Unteren Laube bereits dann keine Baugenehmigungen mehr an die Wobak erteilen, wenn es nur eine Einwendung gibt. Und genau das ist längst der Regelfall geworden. Wenn die Wobak baue, heißt es in einem Brief aus Freiburg, sei dies als „Vorhaben der Gemeinde“ einzustufen.

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Die Anweisung aus Freiburg, die Stadt Konstanz habe die Baugenehmigung für die Wobak in Litzelstetten zurückzunehmen, hat gerade wegen der Einstufung der Wobak Sprengkraft. Ähnlich dürften die Juristen im RP auch die städtische Spitalstiftung oder die in städtischem Besitz befindlichen Stadtwerke ansehen. Wenn ihnen allen de facto keine Baugenehmigungen mehr erteilt werden dürften, könnte sich das vom Parkhaus-Bau der Stadtwerke an der Schänzlebrücke über neue Pflegeheime der Spitalstiftung bis zu Wobak-Wohngebäuden am Döbele auf zahlreiche Projekte auswirken.

In all diesen Fällen könnte eintreten, was Freiburg zum Marienweg schreibt: Es habe „die Stadt Konstanz im vorliegenden Fall mithin als sachlich unzuständige Behörde gehandelt“. Zuständig sei ein diesem Fall einzig und allein das Regierungspräsidium. Was nicht weniger bedeutet, dass der Stadt Konstanz wesentlicher Einfluss verloren geht.

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Wie die Stadtverwaltung den Konflikt absichtlich eskalieren ließ

Pikant ist die Auseinandersetzung um den Marienweg aber noch aus einem ganz anderen Grund: Die Stadt Konstanz hat den Konflikt mit ihrer eigenen Aufsichtsbehörde, dem Regierungspräsidium Freiburg, absichtlich eskalieren lassen. Auch das geht aus den Unterlagen hervor, die dem SÜDKURIER vorliegen. Demnach hatte zunächst die Referatsleitung des RP zweimal an die Stadt geschrieben mit der Bitte, die strittige Baugenehmigung zurückzunehmen und den Vorgang den Freiburgern zur Entscheidung vorzulegen. Dies weist die Stadt im April 2023 zurück, auf der Arbeitsebene kommt man nicht weiter.

Daraufhin geht es in immer weitere Runden: Zuerst telefoniert am 9. Mai die Freiburger Referatsleitung mit Baubürgermeister Karl Langensteiner-Schönborn – wie schriftlich dokumentiert ist, im Bemühen um eine „vertrauensvolle Zusammenarbeit“. Acht Tage später ein neuerliches Telefonat, diesmal greift der Abteilungspräsident des RP selbst zum Telefonhörer und versucht, mit Langensteiner-Schönborn die Sache zu klären.

Nachdem sich der Streit zwischen Stadt und Regierungspräsidium auf Arbeitsebene nicht klären lässt, geht die Behörde auf ...
Nachdem sich der Streit zwischen Stadt und Regierungspräsidium auf Arbeitsebene nicht klären lässt, geht die Behörde auf Baubürgermeister Karl Langensteiner-Schönborn zu... | Bild: Scherrer, Aurelia | SK-Archiv

Schließlich kommt es zum Gespräch auf höchster Ebene: Die oberste Vertreterin des Landes in Südbaden, Regierungspräsidentin Bärbel Schäfer, spricht mit Oberbürgermeister Uli Burchardt. Auch dieses „Telefonat führte zu keinem Umdenken auf Seiten der Stadt Konstanz“, wie es in einem Schreiben vom 7. Juni wörtlich heißt. Am Ende bleibt nur die förmliche Anweisung aus Freiburg.

... dann schaltet sich sogar Regierungspräsidentin Bärbel Schäfer persönlich ein und versucht, den Konflikt auf oberster Ebene zu lösen...
... dann schaltet sich sogar Regierungspräsidentin Bärbel Schäfer persönlich ein und versucht, den Konflikt auf oberster Ebene zu lösen... | Bild: Timm Lechler | SK-Archiv
... und holt sich bei Oberbürgermeister Uli Burchardt ebenfalls eine Abfuhr. Das Ergebnis: Das Regierungspräsidium schickt eine ...
... und holt sich bei Oberbürgermeister Uli Burchardt ebenfalls eine Abfuhr. Das Ergebnis: Das Regierungspräsidium schickt eine Anweisung nach Konstanz, die Baugenehmigung an die Wobak zurückzunehmen. | Bild: Rau, Jörg-Peter | SK-Archiv

Am Marienweg ist indessen Ruhe, die Anwohner genießen weiter ihre Seesicht, die dringend benötigten Wohnungen entstehen erst mal nicht, und inzwischen hat die Wobak ihre Neubau-Vorhaben angesichts hoher Zinsen und explodierender Preise ohnehin erst einmal auf Eis gelegt. Die Stadt, so Baubürgermeister Langensteiner-Schönborn, hält an dem Vorhaben aber auch nach fast zehn Jahren scheinbarem Stillstand fest: „Wir bleiben dran“, sagt er und verweist darauf, dass nun bald die Erschließung beginnen soll.

Damit Konstanz neue Wohnungen bekomme, brauche es es vor allem weniger Bürokratie, so der Baubürgermeister. Er erwarte mit Blick auf immer häufigere Einwendungen, Einsprüche und Klagen gegen alle möglichen Projekte, dass die übergeordneten Stellen „das Bauen nicht noch schwerer machen, als es ohnehin schon ist“. Konflikte wie die im Marienweg „verzögern um Jahre, kosten Zeit und Geld“.

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Wie sie sich auflösen lassen? Für Langensteiner-Schönborn geht das nur mit einer anderen Rechtslage, die dem RP die Zuständigkeit entziehen würde. Bis dahin freilich muss die Stadt Konstanz weiter mit dem Regierungspräsidium zusammenarbeiten. Im Moment aber sieht es eher danach als, dass da der Haussegen ziemlich schief hängt.