Frau Pijanka, wie sehen Sie das Verhältnis von Musik und Politik?
Musik ist wie jede andere Form der Kultur immer politisch, weil sie Teil des gesellschaftlichen Lebens ist. Man muss die Beziehung aber auch nicht übermäßig strapazieren, denn natürlich lässt sich ein Konzert genauso gut einfach nur genießen. Ich denke allerdings, dass auch das Freizeitverhalten letztlich eine politische Dimension hat.
Es gab Zeiten, da ging es bei Musik um Leben und Tod. Stalin beispielsweise besuchte die Konzerte von Dmitri Dmitrijewitsch Schostakowitsch und der Komponist konnte von Glück reden, dass er das überlebte. Heutzutage sieht man die Mächtigen der Welt selten in den Konzertsälen, sie gehen lieber in die Stadien und schauen Fußball.
Wie wir jetzt deutlich sehen konnten, ist auch Fußball politisch. Und natürlich würde ich mir mehr politisch Verantwortliche im Konzert, in der Oper oder im Theater wünschen. Schostakowitsch hingegen hätte auf die Aufmerksamkeit Stalins sicher sehr gut verzichten können.
Beim Vergleich von Sport und Kultur schneidet Letztere schlecht ab. Beispiel Corona: Für die Kicker gab‘s Ausnahmen, Konzerte fanden allenfalls ohne Publikum statt.
Also da möchte ich nicht polarisieren. Es bringt wenig, den Sport gegen die Kultur auszuspielen, und entspricht auch nicht dem Verhältnis, welches Kultur und Sport zueinander pflegen. Was mich eher stört, ist in diesem Fall die Politik. Es hat unterschiedliche Kriterien für Veranstaltungen gegeben, was mir bis heute nicht so richtig einleuchtet...
...und doch war Bundesliga möglich. Haben die Kulturfunktionäre im Vergleich zu den Lobbyisten des Fußballs versagt?
Da ist etwas dran. In der Kultur herrscht eine Tendenz zur Vereinzelung, jeder agiert da gern in seinem eigenen Kosmos. Alles in allem war und ist die Kultur in der Pandemie oft zu wenig sichtbar und weist auf ein tieferliegendes gesellschaftliches Problem. Die Frage ist generell, welchen Stellenwert die Kultur einnimmt, welche Bedeutung beispielsweise der Musikunterricht in der Schule hat oder ob sich die Menschen überhaupt noch Zeit fürs Lesen nehmen.
Zurück zur Musik. Ein paar Hochburgen immerhin gibt es. Bayreuth ist so etwas wie das Bayern München der Hochkultur – da wirft sich sogar die Politik in Schale.
Das gehört eher zur Event-Kultur, was ganz in Ordnung ist – auch wenn Bayreuth durchaus für eine Zweiklassengesellschaft im Kulturleben steht. Aber man kann dort natürlich tolle Künstler erleben und gute Konzepte. Die besondere Stärke der deutschen Kulturlandschaft liegt aber im engen Netz des Kulturlebens bis ins Kommunale. Und das sehe ich in Gefahr.

Auch in Konstanz?
In Konstanz derzeit nicht, hier ist die Unterstützung bislang sehr groß. So wurden wir beispielsweise sehr von den Ämtern der Stadt unterstützt, wenn es um Veranstaltungen trotz Pandemie ging. Das war nicht in allen Kommunen der Fall. Ich komme aber immer mehr zu der Einschätzung, dass wir Kulturverantwortlichen zu zurückhaltend sind. Das wäre anders, wenn es ein Bewusstsein dafür gäbe, dass Kultur für den Zusammenhalt der Gesellschaft und für Interaktion steht, außerdem etwas Sinnliches und weniger etwas Akademisches ist. Und was speziell die Musik anbelangt, so ist das etwas, zu dem man im ersten Schritt ganz ohne Wissen einen Zugang bekommen kann. Damit ist Musik etwas Ur-Demokratisches und Befreiendes.
Lassen Sie uns beim Sinnlichen und der Demokratie bleiben. Welche Musik passt für Sie zur Bundestagswahl?
Auf jeden Fall kein Jubelwerk. Eher etwas Verhaltenes, das sich zwischen Glück und Abgrund bewegt. Gustav Mahler vielleicht oder etwas von Franz Schubert.
Was fällt Ihnen zur Ära Merkel ein?
Also, da tue ich mich schwer. Auf keinen Fall etwas Bombastisches, auch hier eher etwas Verhaltenes, Rationales. Am ehesten kann ich mir die klar strukturierte Musik eines Johann Sebastian Bach vorstellen.
Und was hören Sie bei der AFD?
Ehrlich gesagt möchte ich keinem Musikstück zumuten, der AfD zugeordnet zu werden. Aber wenn ich eine Empfehlung für ein Werk mit prophetischem Blick für drohende Katastrophen geben sollte: Mahler, 6. Sinfonie...
Frau Pijanka, vielen Dank für das Gespräch.