Ein wenig verkehrte Welt ist es schon: Während noch bis Mitte des Jahres gefühlt alle Impfwilligen einem Termin hinterherjagten und stundenlang in Telefon-Hotlines festhingen, kann man sich heute ganz ohne Anmeldung den Piks geben lassen. Ob beim Einkaufen im Cano in Singen oder in Konstanz an der Strandbar vor der Hochschule – das Impfmobil des Landkreises, ein Kastenwagen des Deutschen Roten Kreuzes, ist fast täglich im Einsatz und wirbt um den Piks.
Wer „ja“ sagt, hat die freie Auswahl an Impfstoffen und bekommt noch ein kleines Geschenk dazu. Am Montag machte das Mobil Station am Tafelladen auf dem Gottmannplatz in Konstanz.

Wer berechtigt ist, im Tafelladen einzukaufen, erhielt im Anschluss an die Impfung einen Zehn-Euro-Gutschein. Wer sind die Menschen, die sich jetzt noch impfen lassen – Monate nachdem die Priorisierung nach Alter fiel? Was treibt sie an? Und welche Rolle spielen die kleinen Geschenke, die sie dazu bekommen?
Eine Frage der Abwägung
Einer, der sich das Vakzin geben ließ, war Delshad Belko. Der 23-Jährige arbeitet neben dem Tafelladen in der Pizzeria und kam in der Mittagspause mit blauer Schürze vorbei. „Am Ende müssen wir alle irgendwann geimpft werden“, sagte er mit einem Schulterzucken.
Warum er sich gegen Covid-19 immunisieren lässt? „Naja“, er lächelt, „man kommt jetzt nicht mehr überall rein, wenn man nicht geimpft ist. Deshalb musste ich es früher oder später machen.“ Wer etwa in Clubs, ins Fitnessstudio oder Kino will, muss geimpft, genesen oder getestet sein. Und Tests gibt es bald nicht mehr kostenlos.
„Die Stimmung hat sich geändert“
Davon, dass Belko ein Überzeugungstäter ist, kann also keine Rede sein. Vielmehr ist seine Bereitschaft für den Piks das Ergebnis eines Abwägungsprozesses: Was wiegt schwerer, was ist weniger bequem? Der Piks und eventuelle Nebenwirkungen – oder die Aussicht, für jeden Kino- oder Fitnessstudiobesuch einen unangenehmen Test machen zu müssen, der auch noch ins Geld geht? Und damit steht Delshad Belko für viele derer, die in diesen Tagen das Angebot des Landkreises zum Impfen ohne Termin nutzen.
„Die Stimmung hat sich geändert. Zuvor haben sich die Menschen, die zum Impfen kamen, sehr gefreut und waren erleichtert“, sagte Jens Bittermann, Leiter des Kreisimpfzentrums und persönlicher Referent des Landrats, am Montag. Für Impf-Spätzünder sei es eher ein notwendiges Übel. „Jeder Stich zählt“, sagte Daniela Kaiser, Sanitäterin vom Deutschen Roten Kreuz, die mit Krankenschwester Jutta Haas die Vakzine vorbereitet.

„Insgesamt erreichen wir viel mehr jüngere Leute, ins Impfzentrum kamen eher die Senioren“, sagte Krankenschwester Hala Hijazi, die vor dem Tafelladen die Spritzen setzte. „Andere hatten sich von den negativen Gerüchten rund um die Impfstoffe verunsichern lassen. Und nun gemerkt: Das stimmt doch nicht“, sagte sie auf die Frage, mit welchen Motiven die Spätzünder kämen.
Stefanie Matzner, Koordinatorin der mobilen Impfzentren, ergänzte: „Manchen ist das Impfzentrum einfach zu groß und einschüchternd, andere haben eine Sprachbarriere. Wir gehen in die Quartiere, da ist es heimeliger.“
Vergangenes Jahr noch leitete Stefanie Matzner in Stuttgart eine Eventagentur. Wegen des neuen Jobs kam sie zurück in ihre Heimatstadt. „Ich wollte helfen.“
Kleine Geschenke kein Anreiz
Und noch etwas ist Krankenschwester Hala Hijazi aufgefallen: „Die Jüngeren fragen vermehrt nach dem Impfstoff von Johnson und Johnson, weil der nur eine Impfung erfordert, keine zwei.“ Sie und der Rest des Teams versuchten solche Fälle davon zu überzeugen, die Kombination Moderna und Biontech zu wählen. „Die immunisiert am besten gegen die Delta-Variante“, so Hijazi.
Die Inzidenzen steigen wieder an, das bereitet nicht nur ihr Sorgen. „Je mehr geimpft sind, desto besser kommen wir durch die Pandemie“, sagte sie. Eine Stunde vor Ende der Impfaktion am Tafelladen hatten sich 25 Personen den Piks geben lassen. Eine gute Quote, fanden alle. Am Tag zuvor vor der Insel Mainau waren es 38 Personen, die sich den Stoff verabreichen ließen.

Den 10-Euro-Gutschein für den Tafelladen hätten allerdings nur Anfangs einige Berechtigte genutzt. „Niemand lässt sich wegen der kleinen Geschenke impfen“, war Jens Bittermann überzeugt, „das bieten auch nicht wir an, sondern in diesem Fall die Tafel.“ Er finde es aber gut, wenn dadurch das Impferlebnis positiver wahrgenommen werde.