Zu Ostern waren sie wieder voll, die Kirchen. Tausende Gläubige haben sich berühren lassen von der Botschaft der Auferstehung. Ab Sonntag feiern wieder viele katholische Familien Erstkommunion, freuen sich über den Weg ihrer Kinder in die kirchliche Gemeinschaft.
Doch all das kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich auch Konstanz, die alte Bischofs- und Konzilstadt, zum säkularen, kirchen- und glaubensfernen Gemeinwesen wandelt. Was bedeutet das für die Menschen, die hier leben – ob sie gläubig sind oder nicht, katholisch, evangelisch, einer anderen oder gar keiner Religion angehören?
Von zwei Drittel auf weniger als die Hälfte – in nur 20 Jahren
2003 waren noch 42 Prozent der Konstanzer katholisch, 25 Prozent evangelisch. 20 Jahre später sind es nach Zahlen der Stadtverwaltung noch 29 Prozent Katholiken und 18 Prozent Protestanten. Mehr als 53 Prozent gehören keiner der beiden großen christlichen Konfessionen an.
In einer wachsenden Stadt haben die beiden Kirchen über 10.000 Mitglieder und Kirchensteuerzahler verloren. Das sind Realitäten, die für viele Menschen nur schwer zu ertragen sind. Davor sollten alle Respekt haben, gerade diejenigen, die den Kirchen und dem christlichen Glauben kritisch gegenüberstehen: Dieser Veränderungsprozess bereitet Schmerzen, da ist Empathie nicht fehl am Platz.
Nicht überall ist sie zu erkennen. Das Aufbegehren gegen das Tanzverbot an Karfreitag kann man als legitime Forderung nach persönlichem Vergnügen verstehen – oder als Provokation. Wenn man an fast allen anderen Tagen im Jahr in die Disco gehen könnte, wäre es dann nicht vielleicht angemessen, auch einmal darauf zu verzichten und so Andersdenkenden Respekt erweisen? Oder braucht es genau dieses jähe Ankommen in einer neuen Wirklichkeit? Ist es an der Zeit, die noch immer erhebliche Macht der Kirchen zu hinterfragen – oder brauchen sie in Wirklichkeit mehr Unterstützung denn je?
Tatsache ist: Ohne Kirchen wäre Konstanz ärmer. Was würde aus den gebauten Glaubenszeugnissen aus mehr als 1000 Jahren, wenn niemand mehr zur gemeinsamen Feier des Gottesdienstes oder zum persönlichen Gebet dort hinkäme? Sie würden inhaltsleere Hüllen, die im besten Fall einer kulturellen Nutzung dienten, im schlechtesten dem Verfall preisgegeben würden. Die ungewisse Zukunft der Lutherkirche wirft nur ein erstes Schlaglicht auf die Fragen, mit denen sich die Stadtgesellschaft auseinandersetzen muss.
Kinder, Alte, Arme, Einsame: Überall engagieren sich die Kirchen
Doch die kirchliche Architektur ist breiter. In der Kinderbetreuung, in der Fürsorge für die Armen und Einsamen (und das ist mehr als eine warme Mahlzeit), in der Pflege der Alten und Kranken spielen die Kirchen nach wie vor eine große Rolle. Nun könnte man einwenden, dass diese Aufgaben sowieso schon längst nicht oder kaum mehr von kirchlichem Geld finanziert werden. Doch ohne die Strukturen dahinter lässt sich das System kaum aufrechterhalten. Die Lücke, die sich hier auftut, kommunal oder mit anderen Trägern zu füllen, wird schwierig.
Kirche, das sind nicht nur Gebäude aus Stein – Kirche ist eine Gemeinschaft. Ein Miteinander von Menschen, die sich für Ziele jenseits des materiellen Fortkommens, jenseits gängiger Erfolgsfaktoren einsetzen. Die sich selbst nicht so wichtig nehmen, weil sie sich als Teil eines größeren Ganzen sehen. Solche Haltungen gibt es auch jenseits der Kirchengemeinden, und in den Kirchen prägen nicht allein Nächstenliebe und Demut das Handeln. Aber mit dem Christentum ist auch eine, wenn man so will, Ideologie der Selbstlosigkeit auf dem Rückzug.
Was vor allem in der katholischen Kirche passiert, ist für viele unverständlich
Dass die Gemeinschaften kleiner werden, ist dabei nicht denen anzulasten, die ihr Recht auf Religionsfreiheit – das auch ein Recht auf Freiheit von Religion ist – ausüben. Insbesondere die katholische Kirche hat sich selbst ein Stückweit um ihre Glaubwürdigkeit gebracht.
Dabei geht es nicht nur um den Kindesmissbrauch. Auch in Konstanz wurde Menschen, die sich das Leben genommen haben, eine christliche Bestattung versagt. Auch in Konstanz sind Mitarbeitende kirchlicher Einrichtungen unfair behandelt worden. Auch in Konstanz sind Seelsorger daran gescheitert, dass sie den strengen Moralvorstellungen ihrer Organisation nicht gerecht werden konnten.
Von den verbliebenen Gläubigen wird wieder mehr verlangt
Im SÜDKURIER-Interview zu Karfreitag haben die beiden katholischen Pfarrer Thomas Mitzkus und Marcus Maria Gut deutlich gemacht, was eine schrumpfende Kirche für diejenigen bedeutet, die noch dabei sind: Von ihnen wird mehr Engagement verlangt, die Pfarrgemeinde als Rundum-Sorglos-Anbieter wird es nicht mehr geben. Der Weg in den Gottesdienst wird länger, der Zugang zu Seelsorge schwieriger.
Nicht zuletzt kommt es für die Gläubigen wieder mehr auf das an, was so sehr aus der Zeit gefallen scheint: das Bekenntnis. Führt es die Christen in einem lebendigen, attraktiven Gemeindeleben wieder näher zusammen? Oder entsteht eine Wagenburg-Mentalität, in der die Offenheit gegenüber Kirchenfremden unter die Räder kommt? Der Grat zwischen beidem ist schmal.
Quo vadis? Das soll der Apostel Petrus Christus gefragt haben, wohin gehst Du? Längst ist die Phrase, wie so viel Christliches, in unsere Alltagssprache übergegangen. Quo vadis, alte Bischofsstadt Konstanz? Kurz nach Ostern 2025 lautet die Antwort: Konstanz ist auf dem Weg in eine Welt, in der die christliche Religion ein Minderheitenprogramm ist. Aber auch in eine Welt, in der viele der dort verankerten Werte unvermindert geschätzt und gelebt werden.
Denn die Fliehkräfte in der Gesellschaft – von denen längst nicht nur die Kirchen betroffen sind – sind nur das Eine. Der Wunsch nach Zusammenhalt, Solidarität und Zukunftsperspektiven sind das Andere. Dabei könnten die christlichen Kirchen eine wichtige Rolle spielen. Ob sie es aber tatsächlich wollen, können und werden, ist auf lange Sicht auch für Konstanz noch nicht entschieden.