Die Aussage von Cornelius Neidhart steht: „Die zuletzt verstorbenen älteren Menschen würden mit hoher Wahrscheinlichkeit noch leben, wenn wir sie rechtzeitig hätten impfen können. Sie waren impfwillig, doch es war nicht ausreichend Impfstoff da, oder die mobilen Impfteams haben andere Heime zuerst besucht.“
Der Allgemeinmediziner aus Allmannsdorf erfährt unmittelbar vor dem Gespräch mit dem SÜDKURIER von einem weiteren verstorbenen Corona-Patienten. „Mittlerweile habe ich seit Januar sieben Patienten in Altersheimen verloren. Und der nächste liegt im Sterben“, sagt er und spreizt seine linke Hand vor dem Kinn. „Ich schiebe so einen Hals. Diese Situation müssen wir anprangern.“

Es könne nicht sein, dass der Landkreis Konstanz mit 280.000 Einwohnern so viele Impfdosen bekomme wie der Landkreis Tuttlingen mit 140.00 oder der Landkreis Sigmaringen mit 130.000, sagt Neidhart.
„Wer ist für diese Misswirtschaft verantwortlich, die letzten Endes Menschenleben kostet?“ Er ist überzeugt davon, „dass wir weniger Tote zu verzeichnen hätten, wenn wir prozentual so viel Impfstoff erhalten hätten wie Sigmaringen oder Tuttlingen. Dafür muss jemand die Verantwortung übernehmen“.
Laut Marlene Pellhammer, Pressesprecherin des Landratsamtes, liegt die alleinige Verantwortung beim Sozialministerium. Nachfrage beim Ministerium für Soziales und Integration in Stuttgart. Pascal Murmann, der stellvertretende Pressesprecher, bestätigt: „Solange der Impfstoff noch so knapp ist, erhalten alle Kreisimpfzentren die gleiche Anzahl Dosen. Aktuell bekommen wir von Biontech nur so viel Impfstoff, dass wir jedem Kreisimpfzentrum einen Karton davon pro Woche zur Verfügung stellen können. Das sind 1170 Impfdosen. Einzelne Kartons dann noch weiter aufzuteilen, macht logistisch und von der Menge her keinen Sinn.“

Es sei von Anfang an klar gewesen, dass für die Impfungen nur eine begrenzte Menge von Kreisimpfzentren aufgebaut werden können, schreibt Pascal Murmann weiter. Der Landkreis Konstanz erhielt nur einen Standort – in Singen. Die weitaus größte Stadt, Konstanz, ging leer aus. Als klares und nachvollziehbares Kriterium ist laut der Pressestelle des Ministeriums festgelegt worden, dass die sechs größten Landkreise jeweils zwei Kreisimpfzentren bekommen, alle anderen eines.
Das bedeutet: Nicht nur der Landkreis Konstanz ist unterversorgt, wie die Pressestelle an Hand von zwei Beispielen beschreibt. „Auch die beiden Landkreise Rems-Murr und Böblingen, die größer sind als der Kreis Konstanz, gemessen an der Einwohnerzahl, haben jeweils ein Kreisimpfzentrum. Jedes Kreisimpfzentrum bekommt angesichts der kleinen Liefermengen aktuell die gleiche Liefermenge. Am Ende ist der Impfstoff überall zu knapp – ganz egal, auf wie viele Zentren dieser aufgeteilt wird.“

Besonders hart hat zuletzt es das Haus Salzberg der Spitalstiftung erwischt. Hier kam es Ende Februar/Anfang März zu einem Covid-Ausbruch. „Nach unserer Einschätzung hätte er in diesem Ausmaß verhindert werden können, wenn die Impfungen früher erfolgt wären“, schreibt Sprecherin Rebecca Koellner auf SÜDKURIER-Nachfrage. „Das Haus war bereits im Januar 2021 impffähig. Im Zusammenhang mit diesem Ausbruch sind zu unserem großen Bedauern zehn Bewohner an oder mit Covid verstorben.“

Was man nicht vergessen dürfe, seien die Menschen in der Pflege, die mit großem Einsatz und Mitgefühl alles gegeben hätten, um die Bewohner zu schützen. Rebecca Koellner: „Daraus folgt natürlich eine recht große Verbitterung bei ihnen. Die Anstrengungen und Bemühungen, die sie bis dahin erbracht haben, wurden durch das späte Impfen konterkariert. Insgesamt können wir nicht ausschließen, dass einige Bewohner noch leben könnten, wären die Impfungen in der Einrichtung früher erfolgt.“
Im Haus Salzberg befinden sich derzeit zwölf Mitarbeiter in Quarantäne. Im Haus Luisenheim sind aktuell zwölf Bewohner positiv auf das Virus getestet, zwölf Mitarbeiter müssen sich von den anderen absondern – 70 Prozent der Betroffenen haben sich mit der Mutation infiziert.
In der Häusern Talgarten und Urisberg ist das Virus bisher nicht in Erscheinung getreten. Neben den zehn verstorbenen Bewohner im Haus Salzberg starben drei Bewohner im Haus Luisenheim und einer im Haus Talgarten. Im Urisberg sind beide Impfungen abgeschlossen, die zweiten Impfungen in den Häusern Talgarten, Luisenheim und Salzberg stehen am 18. beziehungsweise am 23. März an.