Der Fall Thüga-Einstieg bei den Stadtwerken wirft Fragen auf: Kippt Oberbürgermeister Uli Burchardt eine wichtige Abstimmung, nur weil ihm das erwartete Ergebnis nicht passt? Oder wendet er Schaden von Stadt und Stadtwerken ab, indem er einen Beschluss verhindert, der viele Wege verbaut hätte? Und wie konnte es überhaupt zu diesem ungewöhnlichen Schritt kommen? In den Tagen nach einer denkwürdigen Gemeinderatssitzung ist klar: Es ist kompliziert.

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Kein Wunder, denn es geht um viel. Die Versorgung mit lebenswichtigen Gütern und Dienstleistungen wie Energie, Wasser und Telekommunikation ist kein unter die Straße verbuddeltes Randthema, sondern trifft den Kern des Gemeinwesens. Die mutige Gestaltung der Energiewende ist entscheidend für die Zukunftsperspektiven vieler Generationen.

Und die Stadtwerke sind nicht nur selbst ein großes Unternehmen mit vielen Arbeitsplätzen, sondern auch ein Faktor für den ganzen Wirtschaftsstandort Konstanz. All das vollzieht sich in einem Spannungsfeld aus Gesellschaft, Markt und Politik. Das gibt es gute Gründe, Zukunftsfragen umsichtig und transparent anzugehen.

Die Stadtwerke stehen unter Druck – aus vielen Gründen

Da sind zunächst einmal die Stadtwerke selbst. Dem Unternehmen geht es nicht gut. Und es gibt verschiedene Ansichten darüber, welche Rolle dabei die – von interessierter Seite als so wichtig erachtete – politische Kontrolle dabei spielt.

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Ist das Unternehmen trotzdem oder deshalb zum Einstiegs- oder gar Übernahmekandidaten geworden? Welche Rolle spielt die Geschäftsführung, welche der Aufsichtsrat? Warum türmen sich im Tourismus-Boom-Jahr 2022 die Schulden weiter auf, während andere Stadtwerke im Geld schwimmen? Der Verweis, die Politik habe beschlossen, dass mit Konstanzer Geld die Erzeugung von Ökostrom in Konstanz und eben nicht in der Nordsee finanziert wird, klingt da schon etwas hilflos.

Hinzu kommen die Rahmenbedingungen. Dass der Energiemarkt derart aus den Fugen geraten ist, ist furchtbar, trifft aber alle Versorger. Genau so wie die Zeit der Monopole bei Strom und Gas für alle vorbei sind. Nahwärmenetze müssen tausende Kommunen in Deutschland errichten. Und nicht jedes Stadtwerk hat einen attraktiven Schiffs- und Fährbetrieb im Portfolio. Dennoch ist die Veränderungsdynamik ungesund hoch, so dass die Idee, sich mit anderen zusammenzutun, im Kern richtig ist. Wenn die Stadtwerke Konstanz mit den Rahmenbedingungen allein zurechtkämen, spräche niemand von einem Teilverkauf der Netze oder von fehlender Expertise.

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Aber es gibt eben auch eine gesellschaftliche Dimension. Das Prinzip der städtischen Daseinsvorsorge genießt großen Rückhalt nicht nur in der Politik, sondern auch bei den Bürgern. Zehntausende Konstanzer könnten Strom und Gas billiger einkaufen als bei den Stadtwerken. Sie halten aber ihrem Versorger die Treue, weil sie wissen, dass er schon immer für sie da war. Das ist das, was den Gemeinderat bewegt. Damit werden die Stadträtinnen und Stadträte ihrer Aufgabe als unsere gewählten Vertreter gerecht. Und das auch, wenn es mal stürmisch wird. Das verdient hohe Anerkennung.

OB Burchardt kneift hier nicht, sondern handelt richtig

Uli Burchardt hat das erkannt und am Donnerstag einen richtigen Schritt getan. In seiner Doppelfunktion als Oberbürgermeister und Aufsichtsratsvorsitzender der Stadtwerke hat er verhindert, dass der Gemeinderat einen Beschluss fällt, der für das Unternehmen und die Stadt gleichermaßen schädlich sein könnte. Und zwar so oder so: Bei einem Nein hätte die Stadt der Thüga die Tür vor der Nase zugeschlagen und damit einen Partner vergrault, der vielleicht doch einmal noch wichtig werden könnte. Bei einem Ja hätten sich die Machtverhältnisse zugunsten der Thüga verschoben, mit zumindest ungewissem Ausgang. Dafür hat Burchardt sein Narrativ vom enormen Zeitdruck geopfert und damit ein Stück seiner Glaubwürdigkeit. Auch das verdient Anerkennung.

Wie der ganze Prozess bisher so gründlich schiefgehen konnte, ist übrigens schnell erklärt: Im Hinterzimmer hat man die Öffentlichkeit unterschätzt. Es ist bezeichnend, dass OB Burchardt sagt, in einer Ausschusssitzung am 9. Mai sei man doch noch zusammen gewesen und habe den Thüga-Weg verfolgen wollen. Ob das stimmt oder nicht, lässt sich nicht mit letzter Gewissheit sagen, denn diese Sitzung war nicht-öffentlich. Als dann die Menschen mitzureden begannen, wurden die Zweifel lauter. Ja, was hatten OB, Stadtwerke-Chef und Politiker denn erwartet? Es zeigt sich ein Vermittlungs- und Transparenzproblem. Das Vermittlungsproblem ist sogar so gravierend, dass offenbar nicht einmal alle Stadträte ein realistisches Bild von der Lage der Stadtwerke haben.

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Das Transparenzproblem wiederum wurde bezeichnenderweise an einer Sachfrage offensichtlich – und zwar an einer Stelle, wo dies niemanden wirklich überraschen darf. Als es plötzlich darum ging, auch das Trinkwassernetz in das Gemeinschaftsunternehmen mit der Thüga einzubringen, musste klar sein, dass allein diese Idee das ganze Vorhaben zum Scheitern führen würde. Strom und Gas mögen abstrakt sein, Wasser ist ein Lebensmittel. Die Kontrolle über dessen Gewinnung, Verteilung und Verkauf auch nur teilweise zu verlieren, lässt sich keine Bürgerschaft mehr bieten. Und das zurecht.

All das ist die Grundlage, von der aus es nun besser weitergehen kann. Nichts wird so bleiben, wie es ist, das steht außer Frage. Und es gibt auch starke Anzeichen, dass es die Stadtwerke in der derzeitigen Verfassung vielleicht nicht allein schaffen. Aber das, was lange im Hinterzimmer blieb und mit jedem Schritt in Richtung Öffentlichkeit ins Wanken kam, kann es nicht sein. Das ist eine teure, aber wichtige Lektion. Insofern hat Konstanz für ein zentrales Zukunftsthema sogar etwas gewonnen und nicht verloren: Zeit.