Bonobos können die Finger nicht voneinander lassen, so eine weitverbreitete Annahme. Die Verhaltensbiologin Barbara Fruth zeichnet ein etwas anderes Bild. „Bonobos können tagelang rumziehen und haben keinen Sex“, sagt sie.

Richtig sei aber, dass Geschlechtsverkehr bei Bonobos nicht nur im Zeichen der Fortpflanzung steht. Sex habe bei den Bonobos vielmehr soziale Funktionen, zeige Hierarchien an und sei ein sozialer Kitt. Seit knapp 30 Jahren forscht sie mit den Menschenaffen. Mittlerweile koordiniert sie für das Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie in Konstanz ein Forschungsprojekt im Kongo.
Neues Terrain für die Feldforschung
Acht Jahre forschten Fruth und ihr Mann Gottfried Hohmann gemeinsam in dem Gebiet Lomako, bis sie dieses wegen des zweiten Kongokrieges verlassen mussten. Da die Region einige Jahre später noch immer von Rebellen besetzt war, mussten sie ein neues Terrain für ihre Feldforschung finden. 2001 entschieden sie sich schließlich für das Gebiet Lui Kotale, was übersetzt aus der Sprache Lonkundu „langes Leben“ bedeutet.
Etwa 500 Kilometer südlich ihrer früheren Forschungsstation galt es zunächst, die dortige Bonobo-Population zu habituieren. „Das heißt, dass man sie über Jahre dazu bringt, dass sie einen ignorieren“, erklärt Barbara Fruth. Denn die erste Reaktion der Affen auf Menschen ist von Angst geprägt. „Sie schreien und rennen weg.“
Man müsse sich also sehr vorsichtig an die Bonobos annähern, sich durch Geräusche ankündigen und harmlos verhalten. Man dürfe die Affen beispielsweise nicht direkt anschauen, weil das als Drohung verstanden werden könnte. „Irgendwann kommt der Punkt, wo erste Individuen einfach in der Nähe weiterfressen“, so Fruth. Nach und nach werde man so von einer ganzen Kommune geduldet. Dadurch könne man die Bonobos schließlich von morgens früh bis zum Rückzug in die Nester am Abend verfolgen und studieren.
Wofür all dieser Aufwand?
„Ich glaube, wir können da verschiedene Interessensgebiete bedienen“, sagt Barbara Fruth. Einerseits gehe es um die Offenlegung der menschlichen Herkunft und Evolutionsgeschichte. Die Frage nach der Ähnlichkeit zwischen Menschen und Menschenaffen könne man letztlich nur durch Feldforschung klären.
Erste Abhandlungen über Bonobos basierten auf Beobachtungen von Exemplaren in Gefangenschaft, erklärt Barbara Fruth. Nach drei Pioniergruppen aus Japan, Großbritannien und den USA leisteten Fruth und Gottfried Hohmann weitere wichtige Grundlagenforschung im Feld. Man arbeitete damals mit dem Image der „Hippie-Affen“, die ständig Sex haben. Dabei seien Bonobos tagsüber ziemliche Arbeitstiere, die größtenteils mit der Nahrungssuche beschäftigt sind.
Je mehr die Wissenschaftlerin über ihr Forschungsobjekt lernt, desto mehr ist sie davon überrascht, wie viele Unterschiede es zwischen Menschen und Bonobos gibt. „Obwohl wir etwa 99 Prozent unseres Erbguts teilen, macht dieses eine Prozent erstaunlich viel aus“, sagt sie. Sie verweist etwa auf die fehlende Sprache der Bonobos.

In einem Punkt hebt sie allerdings eine Parallele zu den Menschen hervor: Auch im Kongobecken sei inzwischen der Klimawandel angekommen, was Auswirkungen auf den Niederschlag hat. Welche Konsequenzen das auf die Verfügbarkeit von Früchten habe, wird derzeit von einer Doktorandin untersucht. Man bemerke allerdings, dass die Bonobos seit einiger Zeit ihre Gebiete ausdehnen und Konflikte mit anderen Gruppen austragen – womöglich als Folge knapper werdender Ressourcen.
Die Funktion für das Ökosystem
Die zweite wichtige Forschungsfrage sei die nach der Funktion der Bonobos für das Ökosystem Regenwald. Als Beispiel nennt Barbara Fruth hier die Rolle der Affen als Samenverbreiter. Indem sie Frucht- und Baumsamen im Regenwald verteilen, wären sie maßgeblich daran beteiligt, die Diversität des Regenwaldes zu erhalten.
Hier stelle sich zusätzlich die Frage, wie sinnvoll es ist, die Lebensräume der Bonobos vor menschlichen Einflüssen zu schützen. So könne es beispielsweise sein, dass die Jagd auf andere Affenarten den Bonobos zu Gute komme. Ohne Jagd könnten sich die Konkurrenten womöglich derart vermehren, dass sie für die Bonobos als Fressfeinde zur Bedrohung werden. „Insofern muss man sich die Frage stellen: Ist es denn gut, den Menschen aus den Systemen rauszunehmen, was die traditionelle Jagd angeht?“, sagt Barbara Fruth. Auch zu dieser Frage wird derzeit geforscht.
Inzwischen ist sie nur noch zweimal im Jahr für je einen Monat in Lui Kotale. Seit 2021 koordiniert sie als Gruppenleiterin des Max-Planck-Instituts für Verhaltensforschung die Studien aus der Ferne. Ihr Büro hat sie auf dem ehemaligen Siemensareal in der Konstanzer Bücklestraße.
Es ist geschmückt mit kongolesischen Dekorationen – und vielen Affenfotografien. Das Forschungsprojekt in Lui Kotale ist gewachsen und mit ihm die administrativen Aufgaben: Flüge buchen, Verträge aufsetzen, Abrechnungen verarbeiten und Geldmittel besorgen. Für eigene Forschungen bleibt heute demnach wenig Zeit. Die große Begeisterung für Bonobos ist ihr bei ihren Erzählungen aber weiterhin anzumerken und über die Betreuung ihrer Doktoranden kann sie daran weiterhin Teil haben.