Sonntagvormittag. Es geht gemütlich zu im Haushalt der Familie Arslan in Allensbach. Der fünfjährige Dilan und der neunjährige Kiyan haben noch ihre Schlafanzüge an. Papa Veysel kniet mit den beiden auf dem Teppich im Wohnzimmer.

Bild 1: Veysel Arslan aus Allensbach ist seit einem Jahr zu 100 Prozent in Kurzarbeit. Die vierköpfige Familie nimmt die Situation an und betrachtet sie auch als Chance
Bild: Schuler, Andreas

Sie bauen eine Holzeisenbahn zusammen und lassen die Lokomotive zwischen Bahnhof, Stadtgarten und Hafen hin- und herfahren. Mutter Anastasia hat Tee gekocht, sie kommt mit den Tassen aus der Küche. „Wir sind dankbar, dass es uns gut geht und dass wir die Situation so gut meistern“, sagt sie. „Wir haben wirklich Glück.“

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Erstaunliche Worte, wenn man die Situation der Familie betrachtet. Veysel Arslan ist am 16. März exakt ein Jahr in Kurzarbeit. Er arbeitete als Reiseverkehrskaufmann in der Reisefabrik im Lago.

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Seinen Beruf bezeichnet er als Traumjob, den er bereits seit Ende der 80er-Jahre ausübt. „Von heute auf morgen von 100 auf null Prozent“, sagt er. „Von heute auf morgen keine Arbeit mehr.“

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Er schüttelt den Kopf, wenn er darüber nachdenkt. „Ich habe aber volles Verständnis für meinen Arbeitgeber. In den ersten Märzwochen 2020 waren wir nur mit Stornieren beschäftigt. Niemand durfte mehr reisen. Außergewöhnliche Situationen erfordern nun mal außergewöhnliche Maßnahmen.“ Von Verbitterung oder Ärger keine Spur. Auch er betrachtet das Schicksal mit einer bemerkenswerten Portion Realitätssinn. „Wir können ja nichts daran ändern.“

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Aus dem berufstätigen Ehemann und Vater mit 40-Stunden- und Sechs-Tage-Arbeitswoche wurde von jetzt auf gleich ein Ehemann und Vater mit jeder Menge Zeit. „Ich bin mittlerweile ein richtiger Hausmann“, erzählt Veysel Arslan schmunzelnd. Es dauerte einige Zeit, ehe sich die innere Uhr und der Kopf darauf eingestellt hatten.

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„Eine Struktur ist sehr wichtig“, sagt er. „Wir stehen auf, frühstücken, ich bringe den Kleinen in den Kindergarten und hole ihn später wieder ab, am Nachmittag spielen wir, der Große macht seine Hausaufgaben und wir lernen.“

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Die Jungs genießen die Zeit mit dem Vater ganz offenbar. „Ja, total“, sagt Kiyan. Der Viertklässler holt seine Trompete und bietet eine Kostprobe seines Könnens. Er sei zwar schon etwas traurig, dass er derzeit weder zum Sport noch zum Musikverein gehen kann, „doch der Papa ist ja da“.

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Die Schule besucht er derzeit nur alle zwei Wochen ein paar Tage – dazwischen wird er daheim beschult. Das gefällt ihm nicht wirklich. „Viel lieber wäre ich jeden Tag in der Schule“, sagt er.

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Familie Arslan hat aus der Not eine Tugend gemacht und die Situation angenommen. „Wir haben alle Hegau-Vulkane wandernd erkundet“, erzählt Veysel. „Wir haben Radtouren gemacht, am Bach Kaulquappen und Libellen gezählt. Die Region ist unser Abenteuerspielplatz.“

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Von Anfang an ging es Anastasia und Veysel nicht um die Frage, was Corona aus ihnen macht, sondern was sie aus Corona machen. „Wir als Mikrokosmos haben profitiert, da wir als Familie neue Facetten kennengelernt haben.“ Sie betonen jedoch auch, dass sie lieber heute als morgen zum vorherigen Zustand zurückkehren würden. „Es gibt ja auch schlimmere Schicksale von Menschen, die nicht so viel Glück hatten wir wir“, so Anastasia Arslan. „Das ist sehr traurig.“

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Sie arbeitet seit August für den Pflegedienst von Tobias Volz, betreut ältere Menschen oder Schlaganfall-Opfer im Tagestreff. „So etwas erdet dich, man wird demütig“, berichtet sie. Wenn sie dann mitbekommt, dass sich Menschen aggressiv beschweren, das sie wegen der Pandemie in ihren Persönlichkeitsrechten eingeschränkt seien, „dann falle ich vom Glauben ab. Das Virus ist da und wir müssen uns eine gewisse Zeit einschränken“.

Veysel Arslan hat sich einen Jugendtraum erfüllt und diese Hercules in einem arg Reparatur bedürftigen Zustand gekauft. Wenn die Kinder ...
Veysel Arslan hat sich einen Jugendtraum erfüllt und diese Hercules in einem arg Reparatur bedürftigen Zustand gekauft. Wenn die Kinder abends im Bett sind, schraubt er an dem Moped herum. | Bild: Schuler, Andreas

Anastasia Arslan stammt aus der Ukraine, dort wohnt noch ihre Familie. „Die Menschen dort kämpfen um ihr Leben und bekommen keine Hilfe. Hier in Deutschland muss niemand auf der Straße landen und der Staat zahlt einen großen Teil des Gehalts. Ich habe das Gefühl, dass es nicht jeder zu schätzen weiß, wie gut es uns hier geht.“

Veysel Arslan ist leidenschaftlicher HSV-Fan. Dass die Hercules, die er sich neulich gekauft hat, zwei Aufkleber des nordischen Vereins ...
Veysel Arslan ist leidenschaftlicher HSV-Fan. Dass die Hercules, die er sich neulich gekauft hat, zwei Aufkleber des nordischen Vereins schmückt, war ein willkommenes Detail. | Bild: Schuler, Andreas
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Veysel Arslan erhält vom Staat 87 Prozent des letzten Nettogehalts. „Das muss man sich mal vorstellen“, sagt der 51-Jährige, der 1998 berufsbedingt vom Hochrhein an den Bodensee zog. „Ich mache nichts und bekomme so viel Geld. Wir leben in einem unglaublichen Sozialstaat. Ich empfinde große Dankbarkeit.“

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Am frühen Nachmittag kommt der Familienrat am Wohnzimmertisch zusammen. Die vier reden bei Apfelschorle und Tee über den Plan für den Rest des Tages. Sie einigen sich schnell auf einen Spaziergang Richtung Hegne, um den Blick über den See vom Waldrand aus zu genießen. „Das Leben ist so kurz“, sagt Veysel Arslan. „Wir wollen das Beste aus der Situation machen und dürfen uns nicht beschweren.“

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