Jens Putzar sitzt am Esstisch der Eigentumswohnung in Litzelstetten und nippt am Kaffee. Seine Blicke wandern durchs große Wohnzimmerfenster in die Ferne über den See in Richtung Alpen. Er liebt diesen Platz. Hier kann er gedanklich abschalten, zur Ruhe kommen. Ruhe benötigt er derzeit mehr als es ihm recht ist.
Vor allem dann, wenn er die Treppen hochgeht in den dritten Stock, wo er mit seiner Familie wohnt. „Dann bin ich total fertig und muss mich hinsetzen.“ Früher war das eine seiner leichtesten Übungen. Ausdauersportler Jens Putzar war mehrmals pro Woche in den Wäldern rund um den Purren mit dem Mountainbike unterwegs. Heute ist daran nicht zu denken.
Es fing ganz harmlos an. Jens Putzar bekam am Abend des 8. Dezember Kopfschmerzen. „Ich dachte noch, wenn das nicht besser wird, gehe ich morgen nicht zur Arbeit“, blickt der 57-Jährige zurück. Es wurde nicht besser. Im Gegenteil. „Ich wäre aber nie darauf gekommen, dass es Corona sein könnte“, sagt er. „Ich konnte ja noch riechen und schmecken, hatte keinen Husten.“
Der Hausarzt machte trotzdem einen Abstrich. „Am 10. Dezember erhielt ich den Anruf vom Gesundheitsamt.“ Covid 19, häusliche Quarantäne wurde angeordnet. Die Ehefrau und die Tochter wurden ebenfalls getestet, obwohl sie noch keine Symptome zeigten.
Frau und Tochter ebenfalls positiv
Die Frau war positiv, die Tochter negativ – doch sie bekam in den Tagen danach hohes Fieber und hustete schwer. Ein erneuter Test brachte auch ihr die Gewissheit, an Corona erkrankt zu sein. Die Familie, zu der noch eine weitere Tochter zählt, die nicht mehr zuhause lebt, durfte die Wohnung in Litzelstetten nicht mehr verlassen.
Es ging rapide bergab mit Jens Putzars gesundheitlichem Zustand. Das Fieber stieg auf über 40 Grad. „Es ging mir richtig dreckig“, erzählt er. Am vierten Tag nach der Diagnose, einem Sonntag, rief die Familie einen Arzt zu Hilfe. Bei gesunden Erwachsenen sind Sauerstoffwerte im Blut ab 95 Prozent normal. Bei Jens Putzar lag der Wert zwischen 92 und 88.
Fünf Tage nach der Einlieferung eskalierte die Situation
Der Arzt schickte ihn sofort ins Krankenhaus. „Dort kam ich auf Normalstation und das Fieber ging langsam herunter“, erinnert er sich. „Doch fünf Tage nach meiner Einlieferung eskalierte die Situation. Ich bekam am Nachmittag kaum mehr Luft, die Sauerstoffsättigung im Blut wurde immer weniger.“
Er wurde sofort in die Intensivstation verlegt. Nachts musste er eine Sauerstoffmaske tragen, tagsüber erhielt er durch die Nase Sauerstoff. „Die Ärzte debattierten, ob ich invasiv beatmet werden sollte“, blickt er zurück. „Ich wurde gefragt, ob ich dem zustimmen würde. Meine Lage war sehr kritisch, es gab bei mir keine Luft mehr nach unten.“
Todesangst – ob gerechtfertigt oder nicht
Er muss selbst ein wenig schmunzeln bei dieser Wortwahl. Heute kann er das. Vor wenigen Wochen hatte er Todesangst – auch wenn er nicht weiß, ob die berechtigt war oder nicht. „Man kommt schon ins Grübeln, wenn sich zwei Oberärzte um dich kümmern und du gefragt wirst, ob du eine Patientenverfügung hast.“ Die Nächte seien besonders schlimm gewesen, dank Morphin konnte er schlafen.
Der Lehrer des Singener Friedrich-Wöhler-Gymnasiums war ans Bett gefesselt, von der Außenwelt abgekoppelt. „Wenn du drei Wochen lang keine Gesichter mehr siehst, weil Ärzte, Schwestern und Pfleger ja nur in voller Montur zu dir dürfen, dann ist das schon bedrückend und macht dich fertig.“
An Heiligabend gab‘s eine Salami in Weihnachtsbaumform
Doch er möchte sich auch auf diesem Wege bedanken beim Personal der Konstanzer Klinik. „Sie waren 24 Stunden für mich da und haben sich wahnsinnig gut um mich gekümmert“, sagt er. An Heiligabend gab es eine Salami in Weihnachtsbaumform und etwas Schokolade. „Meine Familie stand an diesem Tag vor dem Krankenhaus und wir haben uns zugewunken“, erzählt Jens Putzar. Ansonsten gab es nur übers Handy Kontakt.
Dankbar ist Jens Putzar auch, dass seine Infektion in der zweiten Welle geschah und nicht in der ersten. „Die Erfahrung und das Wissen über den Verlauf ist jetzt deutlich höher als im Frühjahr.“ So wurde bei ihm die Therapie der Bauchlagerung angewandt – was bei der ersten Welle noch nicht praktiziert wurde.
Hustenhölle dank Bauchlagerung – aber auch bessere Werte
„Ich wurde mehrmals am Tag für zwei Stunden auf den Bauch gelegt, wodurch die Lungenwerte besser wurden.“ Das sei zwar jedes Mal eine „Hustenhölle“ gewesen, wie er es ausdrückt, „doch es hat geholfen. Und dafür bin ich dankbar“. Beim Thema Folgeschäden wird sein Blick wieder ernster. „Heute weiß ja noch niemand, was da auf uns warten könnte.“
An Silvester durfte er wieder nach Hause in Quarantäne gehen – obwohl er nach wie vor positiv auf das Virus getestet wurde. „Die Blutsättigung war einigermaßen in Ordnung und in der Intensivstation wurde es immer voller.“ Vier Tage später war er endlich wieder negativ. Seither geht er regelmäßig spazieren in der freien Natur, kämpft aber nach wie vor mit der hartnäckigen Atemknappheit schon bei der geringsten Anstrengung.
„Meine Werte sind immer noch nicht gut“, erzählt Jens Putzar. „In der nun beginnenden Reha in einer Lungenfachklinik im Allgäu beginnt der Wiederaufbau.“ Wenn im Fernsehen Bilder aus Intensivstationen kommen, muss er umschalten oder das Zimmer verlassen. „Ich kann das noch nicht sehen, da ich die Zeit noch nicht verwunden habe. Ich habe daran zu knabbern.“ Während der Reha wird er mit professioneller Hilfe versuchen, die Wochen der Isolation mit Todesangst und trüben Gedanken zu verarbeiten.
Infektion wahrscheinlich in der Schule
Wo er das Virus aufgefangen hat, weiß er nicht. Er geht aber davon aus, dass die Infektion in der Schule passiert sein muss – auch wenn er das nicht belegen kann. „Ich hatte keine anderen Kontakte“, berichtet der 57-Jährige. „Das ergaben die Fragen des Gesundheitsamtes.“
In seinen Klassen gab es mehrere positive Fälle. Wann er wieder unterrichten darf, steht in den Sternen. „In den Präsenzunterricht möchte ich jedoch erst dann wieder gehen, wenn ich geimpft bin“, sagt er. Schon im Herbst habe er für rollierenden Unterricht plädiert. Kein Verständnis hat er für die Vorgabe des Kultusministeriums, nach der bis Weihnachten Sportunterricht ohne Maske stattfinden konnte.
„Die Kinder mussten bis zur Halle eine Maske tragen. Dort aber durften sie sie abnehmen. Das macht doch keinen Sinn.“ Die Entscheidung, wann die Schulen wieder guten Gewissens öffnen dürfen, hält er trotzdem für sehr schwierig. „Ich möchte sie nicht fällen müssen“, sagt er.
Querdenker? „Die gehen mir total auf den Keks“
Heute geht er mit der Thematik wesentlich bewusster um. „Vorher habe ich wie so viele gedacht: Das kann mir nicht passieren“, erklärt er. „Heute weiß ich, dass es jeden erwischen kann und dass Corona sehr, sehr gefährlich ist.“
Wenn er Corona-Leugner oder Querdenker betrachtet, wird Jens Putzar zunächst nachdenklich, dann sogar ein wenig wütend – was eigentlich gar nicht zu seinem Naturell passt. „Die gehen mir total auf den Keks. Die sollen ja denken, was sie wollen. Aber“, sagt er mit deutlicher Stimme: „Aber die sollen bitte ihre Mitmenschen nicht gefährden. Ich kann nur sagen: Leute, nehmt die Sache ernst und verhaltet euch entsprechend.“