Es könnte zum Lachen sein, wenn es nicht zum Weinen wäre. „Das glauben die Leute wirklich. Das ist nicht zum Lachen.“ Mit diesem Satz brachte Thüringens Ex-Umweltminister, der frühere Theaterintendant Bernhard Stengele, beim zweiten Bodenseetheatertag eine absurde Realität auf den Punkt: In Teilen Ostdeutschlands glauben Menschen, dass die Grünen nachts Bäume fällen, um Windräder zu bauen. Dabei sterben die Wälder durch den Borkenkäfer. Genau deshalb brauche es Theater mehr denn je – als Ort der Aufklärung und Resonanzraum für eine Gesellschaft, die zu zerfallen droht.

Vier Rednerinnen und Redner widmeten sich beim zweiten Bodenseetheatertag in der Spiegelhalle dem Thema „Theater+Politik, Politik+Theater“ sowie der Frage: Was kann Theater heute leisten? Drei Stunden waren dafür angesetzt. Moderatorin Heike Brandstädter vom Vorstand der Theaterfreunde Konstanz hatte zum Schluss Mühe, den ambitionierten Zeitplan zu halten. Gleich zu Beginn fragte Landrat Zeno Danner provokant: „Wer braucht sowas?“ Und meinte damit das Theater. Diese Fragestellung zog sich wie ein roter Faden durch den Nachmittag.

Zum Auftakt betrat Stengele das Podium. Als alter Theatermann erinnerte er an die wahre Geschichte einer Jugendgruppe in der frühen DDR, die Flugblätter gegen das Regime verteilt hatte. Einige von ihnen bezahlten diese Aktion mit ihrem Leben. „Das sind Helden – und wir kennen sie nicht.“ Solche Geschichten müsse Theater wieder sichtbar machen, gerade in Regionen, wo sich Menschen abgehängt fühlen.

Insa Pijanka, Karin Becker, Simon Strauß und Bernhard Stengele (von links) stellten sich im Anschluss den Fragen aus dem Publikum. Am ...
Insa Pijanka, Karin Becker, Simon Strauß und Bernhard Stengele (von links) stellten sich im Anschluss den Fragen aus dem Publikum. Am Rednerpult Moderatorin Heike Brandstädter. | Bild: Juliane von Akerman

Theater sei kein Luxus, sondern notwendig: „Theater muss sein.“ Gleichzeitig warnte er vor medialen Parallelwelten: „Telegram-Kanal und die wöchentliche Werbezeitung. Das ist für viele Menschen im Osten die Medienrealität.“ Theater als Live-Erlebnis könne hier gegenhalten: mit realen Begegnungen und Menschlichkeit.

Insa Pijanka: „Das Unheimliche ist: Es funktioniert.“

Insa Pijanka, Kulturwissenschaftlerin und früher Konstanzer Philharmonie-Intendantin, widmete sich der Wirkungsmacht von Musik. Anhand von Beethovens „Eroica“, dem „Radetzky-Marsch“ von Johann Strauß und Schostakowitschs 7. Sinfonie zeigte sie, wie klassische Musik politisch instrumentalisiert wird.

Und nannte konkrete Beispiele, wie etwa eine Parade in Leningrad, organisiert von Wladimir Putin im Jahr 2021. „Das Unheimliche ist: Es funktioniert.“ Musik sei nicht harmlos. Sie wirke über Emotion und könne durch diesen Überwältigungsmechanismus manipulieren. Daher dürfe sie nicht kritiklos als unpolitisch gelten.

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Strauß: „Theater ist wichtig, die AfD ist schlimm.“

Simon Strauß, Autor und Publizist, warnte in seinem Beitrag davor, das Theater zu einem moralisch homogenen Ort zu machen: „Hier sind wir uns alle einig: Theater ist wichtig, die AfD ist schlimm, soziale Medien sind eine Gefahr. Aber wenn sich alle einig sind, muss man anfangen zu zweifeln.“ Theater richte sich oft nur noch an ein gebildetes, linksliberales Publikum. Laut Chat-GPT seien Theaterbesucher meist älter, wohlhabender, eher links.

Anlass für Strauß zu fragen: „Für wen machen wir Theater?“ Er forderte mehr Raum für Menschheitsthemen wie Liebe, Tod, Verrat und Scheitern. Nicht Moralisierung solle im Vordergrund stehen, sondern Berührung. „Theater kann Menschlichkeit trainieren“, so Strauß. Gerade weil heutzutage Parlamente zunehmend zur Bühne populistischer Inszenierungen werden.

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Karin Becker: „Kunst ist für mich immer politisch.“

Den Abschluss bildete Karin Becker, Intendantin des Theaters Konstanz. Ihr Einstieg pendelte zwischen Ironie und Ernst: „Ich habe immer wieder gesagt, dass ich nach meiner Zeit als Intendantin Bundespräsidentin werde.“ Sie betonte: „Kunst ist für mich immer politisch.“ Und sie forderte, das Theater konsequenter für alle zu öffnen: Frauen, Queere, Menschen mit Behinderung. „Alle Menschen sind gleichberechtigt. Und wir setzen das seit Jahrzehnten nicht ausreichend um.“ Als Zeichen legte sie alte Programmhefte auf das Pult. Diese dienten zugleich als symbolisches Geschenk für Landrat Danner. Ihre Botschaft: Theater ist Kern einer offenen Gesellschaft.

In der abschließenden Diskussion, die Brandstädter moderierte, wurde es konkreter. Stengele sagte: Theater könne keine Politik ersetzen, aber helfen, Ausgrenzung zu verhindern. „Man kann anständig bleiben, auch wenn es schwierig ist.“ Pijanka kritisierte, Teilhabe werde oft nur nach außen betont. Doch intern fehle es an Barrierefreiheit, Diversität und fairer Bezahlung.

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Auf die Besucherfrage, wie sich das Publikum diverser gestalten ließe, reagierte Strauß: „Was wäre das für ein Theater, wenn hier Lieferando-Fahrer im Publikum säßen!“ Pijanka merkte in diesem Zusammenhang nachdrücklich an: Viele Theater hätten stabile Besuchszahlen. „Wir müssen nicht mit dem Lasso auf der Straße nach Publikum suchen.“

Becker ergänzte: „Wir fahren auch aufs Land, machen Gastspiele. Ich sehe kein Publikumsproblem.“ Gleichzeitig verwies sie auf die zunehmende Belastung der Theater: sparen und gleichzeitig mehr leisten. Auch der Rückgang der Theaterkritik und die Abwanderung junger Talente wurden thematisiert. Pijanka fragte nüchtern: „Warum sollten junge Leute bleiben, wenn Netflix besser bezahlt?“ Und mit den Finanzen kommt sie wieder ins Spiel – die Politik.