Wenn‘s die Wissenschaft bei der Erforschung von Schwarmverhalten doch nur immer so einfach hätte wie am Freitag zur Mittagszeit auf dem Gießberg. Mit Ministerpräsident Winfried Kretschmann und der neuen Ministerin für Hochschulen, Petra Olschowski, sind zwei Leitwölfe aus Stuttgart nach Konstanz gekommen, wo sie sich einen Eindruck von der Exzellenz der Universität verschaffen.

Es geht kreuz und quer durchs verwinkelte Campus-Gelände, doch keiner kommt vom Kurs ab. Der struwwelige Weißkopf des Ministerpräsidenten ragt aus dem Tross der Wissenschaftler und Uni-Angestellten hervor, an seiner Seite die Ministerin sowie die Landtagsabgeordnete Nese Erikli, und alle folgen dem hochgewachsenen Chef der Landesregierung auf den Fuß.

Wie die Heuschrecken...

Aus der Vogelperspektive jedenfalls dürfte sich ein ähnliches Bewegungsmuster ergeben wie in den Labors, in denen die Forscher der Schwarmdynamik von Fischen und Heuschrecken auf die Spur zu kommen versuchen. Vor allem der ‚Imaging Hangar‘ macht Lust auf Wissenschaft.

Eigens für den hohen Besuch wurde hier ein Rondell installiert, in dem eine Anzahl der Heuschrecken schön brav ihre Runden zieht. Die Insekten sind mit elektronischen Westen ausgestattet, über die die Bewegungs- beziehungsweise Verhaltensdaten erfasst werden.

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Für die Wissenschaftler ist im Prinzip klar, warum sie das tun. Es geht um den Schutz des Individuums, der nur dann funktionieren kann, wenn die Gemeinschaft zusammenhält. Ziemlich tricky wird die Angelegenheit allerdings, wenn man etwas über den Plan der Bewegungsdynamik herausfinden möchte. Ausgesprochen spannend zum Beispiel ist die Frage, wer die Entscheidung für das Links und Rechts und Geradeaus trifft.

Spätestens an dieser Stelle wird die Bedeutung fürs menschliche Miteinander klar. „Der Mensch ist ebenfalls ein Schwarmwesen“, wirft einer der Wissenschaftler ein und hebt dabei auf die Verhaltensdynamik in den sozialen Medien ab. Da endlich ergreift der Ministerpräsident das Wort.

Winfried Kretschmann: „Der Mensch steckt tiefer in der Biologie als viele es glauben wollen.“
Winfried Kretschmann: „Der Mensch steckt tiefer in der Biologie als viele es glauben wollen.“ | Bild: Hanser, Oliver

„Der Mensch steckt tiefer in der Biologie als viele es glauben wollen“, sagt Kretschmann im Angesicht des heuschrecklichen Gehüpfes und untermauert mit dieser einen Bemerkung seine Führungsrolle. Es ist wie bei William Shakespeare: „Wo Worte selten sind, haben sie Gewicht.“

Den Schwarm weiß Winfried Kretschmann auch bei der wenig später anberaumten Aussprache mit Studierenden zu lenken. Zu gern würde man dabei dem Ministerpräsidenten selbst eine elektronische Weste anlegen, um ihm so gedanklich auf die Schliche zu kommen.

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Derart respektvoll jedenfalls ging‘s in jenen Studentenjahrgängen des Winfried Kretschmann selten zu: Die Studierenden von heute aber sind dankbar dafür, dass ihnen die beiden Regierungsvertreter Gehör schenken, sauber haben sie ihre Forderungen auf den Punkt gebracht, übergeben diese in schriftlicher Form und halten sich korrekt an das ihnen zugebilligte Zeitbudget.

Aussprache mit Studierenden: Dass deren Forderungen in Stuttgart in absehbarer Zeit erfüllt werden, ist eher unwahrscheinlich.
Aussprache mit Studierenden: Dass deren Forderungen in Stuttgart in absehbarer Zeit erfüllt werden, ist eher unwahrscheinlich. | Bild: Hanser, Oliver

Das wirkt brav, verleiht dem Hilferuf aber zugleich Gewicht. „Viele Studierende stehen vor einer ganzen Reihe von Problemen und benötigen dringend Unterstützung“, sagt beispielsweise Ioannis Tagos als Vorsitzender der Studierendenschaft. Etwa 20 Minuten stehen ihr zur Verfügung, weshalb man sich auf die drängenden Anliegen beschränkt.

Da ist zunächst die mentale Belastung als Folge der Pandemie, die sich durch die finanziellen Belastungen infolge von Inflation und gestiegenen Energiekosten bis zur Erschöpfung, Angststörungen oder Depressionen auswachse. Die Einschränkungen bei den Öffnungszeiten der Bibliotheken, die Situation auf dem Wohnungsmarkt, die Finanzausstattung der Studierendenwerke oder die Bezahlung der studentischen Hilfskräfte sind weitere Themen, die den rund 11.000 Studenten das Leben erschweren.

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Gemeinsam ist den Sorgen und Ängsten der Mangel an Geld – und das steht auch dem Land Baden-Württemberg nur begrenzt zur Verfügung. Petra Olschowski jedenfalls macht wenig Hoffnung, dass sich in absehbarer Zeit an der Situation der Studierenden grundsätzlich etwas verändert.

Vom gesamtgesellschaftlichen Ziel der Energieeinsparung von 20 Prozent beispielsweise könne man die Universitätsbibliotheken nicht ausnehmen, die Budgets für die Hochschulen seien bereits erhöht worden und was den Wohnraum anbelangt, so gebe es Bedarf in praktisch allen Bevölkerungsschichten.

Und in puncto Wohnraum springt Nese Erikli der Ministerin bei. Sowohl beim Vergleich auf Landes- wie auf Bundesebene schneidet Konstanz nach Angaben der Landtagsabgeordneten beim Wohnraumangebot für Studierende sehr gut ab.

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Kretschmann hat die Schwarmdynamik gut drauf

Die Richtung für den Schwarm aber gibt auch bei der Aussprache mit dem Jungvolk am Ende der Mann mit dem lichter werdenden Bürstenschnitt vor. Damit das große Ganze nicht in einer Katastrophe ende, müsse man sich der Frage nach der Alternative stellen. Als berechtigtes Einzelinteresse nennt Winfried Kretschmann die Forderungen von Kliniken, doch auch deren Vernetzung sei dergestalt, dass der Betrieb zusammenbreche, wenn beispielsweise Zulieferer ihrerseits ihre Dienste nicht mehr erfüllen könnten.

Wegen des Zeitdrucks in der aktuellen „prekären Schwellensituation“ muss man nach seiner Einschätzung deshalb einen Kurs wählen, bei dem möglichst alle in gleichem Maße mit Einschränkungen zu leben haben. „Wenn es schnell gehen muss“, sagt er, „hilft nur der Rasenmäher.“ Der Schwarm hört‘s, schweigt und schwenkt auf die Linie ein.

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