Abstand, sorgfältige Handhygiene und das Tragen einer medizinischen Maske gehören für alle zum Arbeitsalltag mittlerweile dazu. Viele Unternehmen haben ausführliche Hygiene-Konzepte erstellt und testen ihre Mitarbeiter mindestens wöchentlich. Nur eine Berufsgruppe muss ihren Dienst weiterhin schutzlos ausüben. Und fühlt sich von Politik und Gesellschaft vergessen. Erzieherinnen einer Kindertageseinrichtung auf der Höri wollen aus ihrem Alltag berichten, weil sie das Gefühl haben, dass sich sonst keiner mehr dafür interessiert. „Wir werden von der Politik komplett vergessen, es wird ständig nur über die Schulen geredet“, sagt Silke Großmann.
Ohne Masken, ohne Abstand
Wie ihre Kolleginnen trägt Großmann bei der Arbeit keine medizinische Maske, die Kinder ebenfalls nicht. An Abstand sei mit kleinen Kindern auch nicht zu denken. „Wir können uns nicht aus der Entfernung kümmern oder trösten“, sagt sie. Man könne so weder die Kinder noch sich selbst schützen, denn kein bisher auferlegtes Hygienekonzept würde in einer Kindertageseinrichtung funktionieren. Das bestätigt auch ihre Kollegin Heike Bräunling. „Die Krippenkinder weinen, wenn sie uns mit Mundschutz sehen, das verstehen die Kinder nicht“, berichtet sie aus ihrer Erfahrung.
Seit Ende Februar sind Erzieherinnen und Erzieher neben anderen Berufsgruppen aus diesen Gründen für eine Impfung gegen eine Infektion mit dem Corona-Virus zugelassen. Laut dem Öhninger Bürgermeister Andreas Schmid habe das auch in Öhningen gut geklappt: „Jeder, der einen Impftermin will, sollte einen bekommen haben“, so Schmid. Doch wegen der Knappheit an Impfstoff sei es für Erzieherinnen genauso schwer einen Impftermin zu bekommen wie für alle anderen, vielleicht noch schwerer, sagt Silke Großmann. „Wir können nicht ständig am Computer sitzen oder bei der Impfhotline anrufen.“
Notbetreuung ist oft normaler Alltag, da fast alle Kinder angemeldet werden
Da sie auch bei eigentlich geschlossenen Kindergärten die Notbetreuung aufrecht erhalten müssen, seien sie alle beruflich sehr eingespannt. Gleichzeitig nähmen die Kontakte nicht ab, denn Notbetreuung bedeute in einigen Gruppen fast normaler Alltagsbetrieb. „Wir haben zum Teil Kontakte zu 50 Personen am Tag, zum Großteil ungeschützt, müssen uns aber wie alle anderen bei den Impfungen anstellen“, so Großmann. Bei ihrer Hausärztin habe sie die Information erhalten, bevor sie berücksichtigt werden könnte, seien erst einmal mehr als 200 Personen über 80 Jahren dran. „Da verzweifelt man dann schon“, sagt sie.
Die Praktikantin Natalie Hassler, die einmal in der Woche in der Einrichtung arbeitet und noch in der Ausbildung ist, berichtet über die ungleiche Verteilung des Impfstoffs: „Es ist wahnsinnig schwer an einen Termin zu kommen, zum Teil sind die Praktikanten vor den Erziehern geimpft, weil die mehr Zeit zum Gucken haben.“ Ende April seien von mehr als zehn Mitarbeiterinnen in der Kindertageseinrichtung Wangen gerade einmal zwei Kolleginnen geimpft gewesen, rechnet Großmann auf.
Impftermine gibt es erst nach der SÜDKURIER-Recherche
Einige Kolleginnen hätten erst in den nächsten Wochen Termine ergattern können. Die restliche Belegschaft des Kindergartens wird nun über die Gemeinde mit einem Termin versorgt. Nach der Recherche des SÜDKURIER und einem Gespräch mit Bürgermeister Andreas Schmid, habe dieser über den Öhninger Arzt Michael Otto Impfdosen für die Erzieherinnen in Wangen organisiert. Darüber freue sich Silke Großmann sehr, denn die vergangenen Wochen seien für sie und ihre Kolleginnen eine nervliche Zerreißprobe gewesen. „Ich bin mit Angst zur Arbeit gegangen“, sagt sie.
Gegen die allgemeine Annahme, alle Erzieher und Erzieherinnen seien bereits längst durchgeimpft, wehrt sich auch Erzieherin Gabriele Wiemann. „Die Eltern fallen dann aus allen Wolken, wenn sie hören, dass wir bei weitem noch nicht alle voll geimpft sind“, berichtet sie. Sie schränke sich privat so sehr ein, da sie täglich unzählige Kontakte habe. Ihre Enkel habe sie ein halbes Jahr nicht mehr in den Arm genommen, so Wiemann. Umso wichtiger sei also die Solidarität und Rücksichtnahme der Eltern, auch die Sicherheit der Erziehrinnen in ihren Handlungen mit zu berücksichtigen, sagt Silke Großmann, und spricht damit für alle ihre Kolleginnen.