Mit versteinerter Miene blickt Martin Staab am Wahlabend im Radolfzeller Milchwerk auf sein Handy und realisiert vielleicht zum ersten Mal, dass er nur noch knapp sechs Wochen Oberbürgermeister der Stadt Radolfzell sein wird. Sein Herausforderer Simon Gröger gewinnt die Wahl mit herausragenden 83,3 Prozent aller Wählerstimmen. Staab selbst bekommt 13,9 Prozent.

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Die Frage, die nicht nur in Radolfzell Bürger umtreibt ist: Wie konnte das passieren, dass ein OB nach acht Jahren und keinen größeren inhaltlichen Patzern von seinen Wählern derart abgestraft wird? Eine Antwort darauf kann man in Staabs Charakter suchen. Im Wahlkampf beschrieben Freunde und Unterstützer den 57-Jährigen als einen Typ „mit Ecken und Kanten“. Er sei fleißig, aber undiplomatisch. Engagiert, aber auch stur. So beschrieb ihn der Konstanzer Alt-Landrat Frank Hämmerle, der Staab seit seiner Ausbildungszeit in den 1990er Jahren im Konstanzer Landratsamt kennt.

2013 wurde Martin Staab in Radolfzell mit 54,3 Prozent der Stimmen zum neuen OB gewählt. Seine Konkurrentin im Wahlkampf, Monika Laule, war zu der Zeit Bürgermeisterin der Stadt und blieb es auch nach ihrer Wahlniederlage. Sie erhielt nur 22,5 Prozent der Stimmen. An diesem Abend im Radolfzeller Rathaus im Oktober 2013 gratulierte Laule ihrem neuen Vorgesetzten mit einem Handschlag und einem Lächeln.

Gratulierte als faire Verliererin nach der OB-Wahl 2013: Monika Laule schüttelt dem damaligen Wahlsieger Martin Staab die Hand. Sie ...
Gratulierte als faire Verliererin nach der OB-Wahl 2013: Monika Laule schüttelt dem damaligen Wahlsieger Martin Staab die Hand. Sie haben nach der Wahl eng zusammengearbeitet. | Bild: Gerald Jarausch

Doch lange sollte die angestrebte konstruktive Zusammenarbeit nicht währen. Was intern anfangs ein gut gehütetes Geheimnis war, machten Stadträte der CDU und Freien Grünen Liste (FGL) im Dezember 2017 öffentlich. In einem offenen Brief kritisierten sie den Führungsstil Staabs, sprachen von „einem Klima der Angst und des Misstrauens im Rathaus“.

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Konkret ging es auch um die angebliche Tonbandaufzeichnung eines Gesprächs zwischen Martin Staab und der Bürgermeisterin Monika Laule. Darin sollten „die Lügen“ Laules dokumentiert sein, warf Staab ihr in einer E-Mail vor. Die Staatsanwaltschaft Konstanz leitete daraufhin ein Ermittlungsverfahren gegen OB Staab wegen des Verdachts der Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes ein. Dieses Verfahren wurde später zwar eingestellt, die Stimmung blieb aber auch nach einer Mediation zwischen Staab und Laule unterkühlt.

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Etliche städtische Mitarbeiter, darunter auch zahlreiche Führungskräfte, verließen in den vergangenen acht Jahren das Radolfzeller Rathaus. Viele in Richtung Konstanz. Valide Zahlen über die Fluktuation in der Radolfzeller Verwaltung gibt es aufgrund von Datenschutzbestimmungen nicht. Martin Staab versuchte, den Weggang vieler städtischen Fachkräfte während des Wahlkampfs als normale Entwicklung abzutun.

Staab versucht Fluktuation als normale Entwicklung zu erklären

Jobwechsel für eine bessere Bezahlung oder einen Karrieresprung seien nichts Ungewöhnliches, beteuerte er. In der Bevölkerung hatte sich allerdings das Bild des beinharten Chefs über Jahre manifestiert. Erfahrungsberichte mit Staabs Umgangston und seinem Führungsstil machten die Runde. Zu viele, um sie für ein Gerücht oder ein Missverständnis zu halten.

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Für drei Fraktionen im Gemeinderat war dies der Anlass, selbst für einen Wandel im Rathaus zu sorgen. Die Ortsverbände und Gemeinderats-Fraktionen von CDU, FGL und SPD gingen gezielt auf OB-Kandidatensuche, um eine Alternative zu Martin Staab anbieten zu können. Gefunden haben sie Simon Gröger, 36 Jahre alt und aus Wurmlingen. Politisch ein unbeschriebenes Blatt mit recht wenig kommunaler Verwaltungserfahrung. Doch charakterlich verspricht er das Gegenkonzept zu Martin Staab: wertschätzender Umgang auf Augenhöhe und stets ein offenes Ohr. Nicht nur im Rathaus, sondern auch in der gesamten Stadt.

Herausforderer Simon Gröger schaffte einen Erdrutschsieg und wird neuer OB.
Herausforderer Simon Gröger schaffte einen Erdrutschsieg und wird neuer OB. | Bild: Jarausch, Gerald

Denn nicht nur innerhalb des Rathauses sorgten Staabs Entscheidungen und seine Kommunikation für Irritation. So führte eine illegale Rodung im naturgeschützten Bereich des Markelfinger Winkels am westlichen Bodenseeufer zu einer erzwungenen Selbstanzeige der Stadt Radolfzell beim Landratsamt. Weil ein Anwohner mehrfach eine bessere Seesicht gefordert hatte, erteilte Staab den Auftrag, in diesem Areal die Bäume und Büsche zurückzuschneiden. Über Wochen versuchte er die Aufklärung des Vorgangs hinauszuzögern, letztlich sei es ein Missverständnis gewesen, beteuerte Staab. Eine zufriedenstellende Antwort war dies nicht.

Für eine bessere Seesicht wurden hier Anfang 2021 Bäume und Gebüsch deutlich zurückgeschnitten. Zum Teil auch in geschütztem Gebiet.
Für eine bessere Seesicht wurden hier Anfang 2021 Bäume und Gebüsch deutlich zurückgeschnitten. Zum Teil auch in geschütztem Gebiet. | Bild: Jarausch, Gerald

Fehlende Transparenz und Hinterzimmerabsprachen wurden ihm auch beim Thema Streuhau vorgeworfen. Über Jahre wurde ein großes Hotelprojekt in einem Biotop neben dem Naturschutzgebiet Radolfzeller Aachried nur nicht-öffentlich im Gemeinderat und mit dem Investor selbst besprochen. Als die Pläne im Streuhau Ende 2018 in die Öffentlichkeit sickerten, wuchs langsam aber unaufhaltsam eine Gegenbewegung zu diesem Bauprojekt. Staab selbst hielt bis zuletzt an der Bebauung im Auwald fest, selbst als BUND und Stadträte ihre Unterstützung zurückgezogen hatten.

Bürgerentscheid in letzter Minute

Erst wenige Wochen vor der Wahl schlug er einen Bürgerentscheid vor. Der Widerstand in der Bevölkerung sei doch größer als gedacht. Im Februar dieses Jahres brachte er die Fasnachtsvereine mit einem kurzfristigen Verbot jeglicher Dekoration in der Stadt gegen sich auf. Während andere Städte im Rahmen der Corona-Verordnung fasnachtliche Atmosphäre zuließen, mussten die Radolfzeller Narren Strafen für die Bändel fürchten.

Das wohl deutlichste Vorzeichen seiner bevorstehenden Wahlniederlage hätte Martin Staab bei der jüngsten Kommunalwahl erkennen können. Bei der Kreistagswahl 2014 bekam er als Mitglied der Freien Wähler 11 968 Stimmen. 2019 waren es dann nur noch 4038 Stimmen. Damals sah Staab noch keinen Zusammenhang zwischen Wahlergebnis und seiner Person. Dies dürfte eine Fehleinschätzung gewesen sein.