Schmerzlicher Abschied und Neubeginn liegen bei der Premiere des Narrenspiegels der Narrizella im Milchwerk nah beieinander. Die Gardisten nehmen Abschied vom Krankenhaus, vom Glockenspiel am Rathaus und vom See an sich. Die Seefunkgruppe nahm Abschied von der Bühne und trieben damit nicht nur Narrizella-Präsident Martin Schäuble ein Wehmuts-Tränchen in die Augen.
Ganz so traurig war der Abend aber gewiss nicht. Er ließ sich durchaus als Neubeginn für die Fasnacht nach der Pandemie verstehen. Vieles musste nach zwei Jahren neu gedacht werden. Die neue Struktur des Narrenspiegels, erstmals unter der Regie von Tim Schwenke und Ole Schmal zusammen mit Sebastian Möhrle, erwies sich als voller Erfolg. Die Versorgung mit Getränken und Essen durch Mitglieder der Narrizella in den Umbaupausen funktionierte reibungslos. Und wieder einmal zauberte die Garde einen Oberbürgermeister-Doppelgänger aus dem Hut, der Amtsinhaber Simon Gröger zum Verwechseln ähnlich sieht.

Garde hat wieder einen OB-Doppelgänger
Lars Brunner, ein bisschen jünger und ein bisschen kleiner als Gröger, überzeugte bei seinem ersten Auftritt als Stadtoberhaupt auf ganzer Linie. Doch stellte ihm die Garde für seine Bühnenpremiere als Unterstützung die ehemaligen Oberbürgermeister zur Seite. Die älteren Radolfzeller werden zweimal hingeschaut haben müssen, als Alt-OB Günter Neurohr, dargestellt von Christoph Zeiser, und kurz danach auch Jörg Schmidt, alias Daniel Uhl, die Bühne betraten. Und auch Martin Staab, gespielt von Gardist Axel Heinzelmann, gab sich ein letztes Mal die Ehre und wunderte sich mit seinem Vorgänger über die neuerliche Harmonie im Gemeinderat.
Doch wie immer ist in Radolfzell nur sehr wenig harmonisch. Zwar hat der Gesundheitsverbund Landkreis Konstanz die Schließung des Radolfzeller Krankenhauses erst Donnerstagabend beschlossen, doch die Narren sind schon einen Schritt weiter.

Beim Narrenspiegel stehen die Umzugskisten schon bereit und das eingespielte Duo für alle Fälle, Tim Schwenke und Ole Schmal, war als PBD – Problem-Beseitigungs-Dienst – beauftragt, das Krankenhaus abzuwickeln. Dabei machten sie ihrem Frust über den Verlust der Einrichtung Luft. „Der Landrat heißt zwar wie einer unserer Hausherren, hat aber keine Empathie für unsere Stadt“, motzte PBD-Mitarbeiter Tim Schwenke über Landrat Zeno Danner.
Gemotzt wurde auch über den Standort des sich gerade im Bau befindlichen Pflegeheims direkt neben dem Krankenhaus auf der Mettnau. Berthold Hepfer, auf der Bühne ein rüstiger Senior mit Rollator, hatte so gar keine Lust von der Innenstadt auf die Mettnau zu wechseln. Da fehle ihm gänzlich die Action.

Für diese Feststellung bekam er aus dem ausverkauften Saal langen Szenenapplaus. Doch zeigten sich die Gardisten auch konstruktiv und suchten nach alternativen Nutzungen für das Krankenhausgebäude. Ein Hallenbad? Ein Parkhaus? Oder doch eine neue Kita? Könnte man alles in Radolfzell gerade gut gebrauchen.
Gemeinderat trifft Schlumpfhausen
Egal was, eine neue Idee wird es nicht leicht haben in der Stadt. Der in Radolfzell durchaus diskussionsfreudige Gemeinderat bekam in Form von blauen Schlümpfen den Spiegel vorgehalten. In Schlumpfhausen hatten auch viele der Schlümpfe Ideen für allerlei Projekte, doch durchsetzen konnte sich nichts. Zu teuer, zu nah an einem Naturschutzgebiet -Gründe, warum etwas nicht ging, gab es genug.
Währenddessen drehte das Team von Wapo Bodensee eine neue Folge in der Stadt. Um aber sicher ausreichend Wasser für das Boot zu haben, wurden die Dreharbeiten kurzerhand an den Kappedeschle-Brunnen verlegt. Hier sei der Pegel wenigstens konstant.
Regieassistent Philipp Weidele erklärte als Einheimischer dem ortsunkundigen Wapo-Regisseur Sebastian Möhrle, wie das hier so läuft. Und warum Ortsentwicklung in Radolfzell nicht zwingend auch Wachstum bedeutet. Nicht mit einem Gemeinderat wie in Schlumpfenzell.
Emotionaler Höhepunkt waren die Schlussakkorde der Seefunkgruppe, die ihren Rückzug von der Narrenspiegelbühne nach 35 Jahren erklärten. Doch nicht ohne dem Publikum neue Ohrwürmer mit auf den Nachhauseweg zu geben.

Mit stehenden Ovationen und einer großen Polonäse wurde die Kreativität und das Talent der Seefunkgruppe vom Publikum honoriert. Wie die große Lücke, die durch den Weggang der Musiker entsteht, gefüllt wird, wird sich noch zeigen.