Die Zahl der Kirchenaustritte in Deutschland nimmt zu. Im vergangenen Jahr traten laut dem Online-Portal Statista in Deutschland 522.821 Menschen aus der katholischen Kirche aus – das sei ein neuer Rekordwert. Auch in Radolfzell macht sich dieser Trend bemerkbar, wie das Standesamt schon in der Vergangenheit berichtete, traten 2021 aus der Seelsorgeeinheit St. Radolt 256 Menschen aus.

Doch nicht nur bei den Gesamtzahlen der Kirchenmitglieder gibt es einen Abwärtstrend. Auch bei den Hochzeiten ist die Zahl im Vergleich zu vergangenen Jahren gesunken. Wer heute noch heiratet, will die Trauung allerdings individueller gestalten, wie ein Gespräch mit Pfarrern zeigt.

Wie häufig wird noch geheiratet?

20 Trauungen verzeichnet die Seelsorgeeinheit St. Radolt in allen Radolfzeller Pfarrgemeinden im Jahr 2022. Das ist zwar etwa so viel wie vor der Pandemie im Jahr 2019, damals waren es 19 – aber deutlich weniger als 2005 mit 36 Trauungen und 1985, damals gaben sich noch 59 Paare in der Kirche das Ja-Wort.

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Bei der evangelischen Kirchengemeinde sind dagegen in den vergangenen Jahren keine Auffälligkeiten zu sehen: Seit 2008 bewegen sich die Zahlen dort zwischen vier und neun Hochzeiten pro Jahr.

Zum Vergleich: Standesamtlich heirateten laut Stadtverwaltung im vergangenen Jahr in Radolfzell 228 Paare, 2019 sogar 234 und 1985 waren es 139 standesamtliche Hochzeiten. Dort steigt also die Zahl.

Woran liegt das?

Der katholische Pfarrer Heinz Vogel sieht für die Entwicklung bei seiner Seelsorgeeinheit mehrere Gründe. Zum einen hätten bei den Hochzeiten 1985 die geburtenstarken Jahrgänge eine Rolle gespielt. Und ab 2020 seien die Hochzeitszahlen durch die Corona-Pandemie stark eingebrochen – das habe auch noch Auswirkungen auf das vergangene Jahr gehabt.

Heinz Vogel, katholischer Pfarrer in Radolfzell.
Heinz Vogel, katholischer Pfarrer in Radolfzell. | Bild: Marinovic, Laura

Dennoch sagt er: „Ich finde schon, dass es weniger Hochzeiten sind.“ Ein Grund dafür ist noch von der Hand zu weisen: die steigenden Kirchenaustritte. Denn dadurch fehlen Gläubige, die mit Gottes Segen vor den Altar treten wollen.

Hochzeiten werden anders gestaltet

Aber nicht nur bei der Zahl der Hochzeiten beobachtet Heinz Vogel eine Veränderung. Sondern auch bei der Gestaltung dieser. So sei es früher zum Beispiel nicht üblich gewesen, dass die Braut von ihrem Vater an den Altar geführt und dort ihrem zukünftigen Ehemann übergeben wird. Stattdessen sehe der Ritus eigentlich vor, dass er als Pfarrer das Paar am Eingang der Kirche empfängt und dann gemeinsam mit ihnen einzieht. Auch die Musik hat sich verändert, statt kirchlichen Liedern würden mittlerweile auch Popsongs erklingen, die dem Paar etwas bedeuten.

Im Gegensatz zu früher seien auch nicht mehr Eucharistiefeiern – also ein Gottesdienst mit Gabenbereitung – bei Trauungen üblich, stattdessen seien es meist Wortgottesdienste. Zusammengefasst: „Die Individualisierung der sakramenten Feier“ sei wichtiger geworden, so Vogel.

Auch in der evangelischen Kirche gibt es Änderungen

Das zeigt sich auch in der evangelischen Kirche, wie Christian Link, der bis Ende Mai über elf Jahre lang die evangelische Kirchengemeinde in Radolfzell als Pfarrer betreute, berichtet. Auch er erzählt, dass Bräute zunehmend von den Vätern an den Altar geführt werden, der Brauch sei aus Amerika nach Deutschland gekommen. „Mittlerweile ist das fast ausschließlich so“, sagt er. Und auch er beobachtet Änderungen bei der musikalischen Begleitung der Hochzeiten.

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So würden im Vergleich zu früheren Zeiten weniger Lieder gespielt, zu denen die Hochzeitsgäste singen sollen. „Weil immer weniger Leute singen“, so Link. Und die Brautpaare brächten häufig auch Wunschlieder für ihre Hochzeit mit, zum Beispiel das Lied, zu dem sie sich einst kennenlernten. „Und das spielen wir dann auch.“