Grundschulen, Hauptschule, Werkrealschule, Realschule, Gymnasium – Schulen in Radolfzell und damit auch Schüler gibt es in Radolfzell zahlreich. Und um sie nicht nur zu unterrichten, sondern ihnen auch in belastenden Situationen zur Seite zu stehen und durch Krisen zu helfen, gibt es bereits seit vielen Jahren ein Team von Schulsozialarbeitern. Dabei ist der Bedarf zuletzt gestiegen: Nicht nur sorgte die Corona-Pandemie für Herausforderungen, auch weitere Krisen belasten nicht nur Erwachsene, sondern auch Kinder. Und das hat Folgen, so besuchen Schüler zum Teil den Unterricht nicht mehr.
8,9 Vollzeitstellen in Radolfzell
Weil mehr Schulsozialarbeiter vehement nachgefragt wurden und auch der Gesamtelternbeirat Schulen sich stark dafür eingesetzt habe, wurden schon in den Haushalt 2023 Mittel für vier halbe Stellen eingestellt, wie Brigitte Reichmann, Leiterin des städtischen Fachbereichs Bildung, Jugend und Sport, erklärt. Bis die neuen Stellen besetzt werden konnten, habe es aber eine Weile gedauert, denn auch anderswo werde händeringend nach Schulsozialarbeitern gesucht.
Nun aber ist das Team komplett: 13 Schulsozialarbeiterinnen und Schulsozialarbeiter gibt es mittlerweile in Radolfzell, das entspricht 8,9 Vollzeitstellen. Damit können nun auch die Ortsteil-Schulen mehr berücksichtigt werden. Nur die Stelle der Teamleitung ist noch nicht besetzt, hier arbeite die Stadt an einer Stellenausschreibung.
„Es gibt eigentlich gar kein Durchschnaufen mehr“
Schon vor der Corona-Pandemie habe es einen großen Bedarf für die Schulsozialarbeit gegeben, betont Eva-Maria Beller, Leiterin der Abteilung Kinder und Jugend. Und auch damals sei der Bedarf gestiegen, sagt die Schulsozialarbeiterin Nicole Hubmann. Doch nun hat sich die Situation eben noch einmal verschärft: „Wir sprechen von einem Krisen-Modus“, erzählt Schulsozialarbeiter Arno Bone – und der sei mit der Corona-Pandemie nicht vorbei.
Denn es folgten Kriege, Inflation, Energie-Krise, parallel bringt der Klimawandel Probleme. „Es gibt eigentlich gar kein Durchschnaufen mehr“, fasst Bone zusammen. Dabei sei die Menschheit nicht dazu gemacht, „dauernd in einem Ausnahmezustand zu sein“.
Die Folgen der Belastung: Laut den Schulsozialarbeiten leidet die mentale Gesundheit, Schülerinnen und Schüler fehlen häufiger als früher, zum Teil kommen sie gar nicht mehr in die Schule. Und: „Viele Kinder haben weniger Mut“, beobachtet Anabel Gleichauf, sie werden unsicherer.
Challenges und problematische Ideologien
Auch Medieneinflüsse, etwa über soziale Netzwerke, haben Auswirkungen auf die Heranwachsenden. Wie Schulsozialarbeiter Kai Metten erzählt, gebe es zum Beispiel Tendenzen, an gefährlichen Challenges – also Herausforderungen – teilzunehmen. Kürzlich etwa ging es bei der „Hot Chip Challenge“ darum, die angeblich schärfsten Chips der Welt zu essen. Sogar Verbraucherschutzminister Peter Hauk warnte daraufhin vor möglichen gesundheitlichen Problemen als Folge.
Neben Schönheitsidealen seien zudem Falschnachrichten sowie Ideologien problematisch, die in sozialen Netzwerken verbreitet werden. Für Heranwachsende sei es schwierig zu erkennen, was normal, was die Wahrheit und was falsch ist, so Kai Metten. Für die Schulsozialarbeit sei es eine große Herausforderung, ihnen den Umgang mit solchen Einflüssen zu zeigen.
Wie arbeiten die Schulsozialarbeiter?
Und wie gehen die Schulsozialarbeiter vor, um den Heranwachsenden zu helfen und sie zu stärken? Unter anderem gibt es Einzelgespräche mit betroffenen Kindern und Jugendlichen, um zu erkennen, woher Probleme kommen und wie mit ihnen umgegangen werden kann. „Das unterliegt alles der Schweigepflicht“, betont Nicole Hubmann. Es würden Wege zur Selbsthilfe aufgezeigt. Zudem bemühe man sich, Akteure zusammenzubringen – also etwa auch Lehrer oder Eltern mit ins Boot zu holen.
„Wir versuchen, Heranwachsende auf ihrem Weg zu begleiten und ihnen ein Werkzeug-Köfferchen an die Hand zu geben fürs Leben“, fasst Hubmann zusammen. Auch könnten Schüler zum Beispiel in Absprache mit den Eltern zuhause abgeholt werden, falls der Weg zur Schule das Problem sei.
Therapeutische Arbeit sei das nicht, aber man könne Kontakte herstellen, wenn externe Hilfe etwa durch Therapeuten nötig ist, erklärt das Team der Schulsozialarbeiter. Schwierig sei, dass es oftmals gar keine Therapieplätze gebe. Aber dann können die Schulsozialarbeiter als Ansprechpartner unter Umständen wenigstens den Zeitraum überbrücken, bis anderswo geholfen werden kann.
„Prävention ist ganz wichtig“
Doch die Schulsozialarbeiter wollen nicht nur reagieren, sondern auch vorab tätig werden: „Prävention ist ganz wichtig“, betont Anabel Gleichauf. Zu diesem Zweck gibt es an den Radolfzeller Schulen regelmäßig mehrere Programme. Unter dem Motto „mental stark“ sollen die Schüler etwa lernen, mit Prüfungsangst und Leistungsdruck umzugehen, erklärt Deborah Trommer. Weiter gebe es Programme gegen sexuellen Missbrauch, zur Gewaltprävention und zur Stärkung des Selbstbewusstseins. „Und das wird situativ angepasst“, sagt Eva-Maria Beller.
Zum Teil laden die Schulen auch Experten ein, die Präventionsarbeit leisten können. In der Vergangenheit war mit Timo Schüsseler ein ehemaliger Drogenabhängiger vor Ort und Kera Rachel Cook warnte vor Magersucht. „Das hat natürlich eine andere Wirkung, wenn das jemand sagt, der selbst betroffen war“, ist sich Arne Bone sicher.
Beteiligung am Schulgeschehen
Und auch auf andere Weise sollen die Heranwachsenden gestärkt werden. Zum Beispiel werden die Schülerinnen und Schüler ermutigt, sich am Schulgeschehen zu beteiligen und etwa im Klassenrat vor den Mitschülern zu sprechen, oder sich bei der Gestaltung der Schulen einzubringen, wie Deborah Trommer erklärt. Durch Zusammenarbeit soll so auch das Miteinander gestärkt werden.