Die Autorin Grit Poppe ist in dieser Woche in Radolfzell zu Gast. Im Rahmen der Jugendbuchtage hält sie zehn Lesungen vor 20 Schulklassen. Schüler der fünften bis zur neunten Klasse der Ratoldus Gemeinschaftsschule, der Gerhard-Thielcke Realschule und des Friedrich-Hecker-Gymnasiums sind zu den Lesungen in die Stadtbibliothek eingeladen. Die Messmer-Stiftung und der Förderverein der Realschule unterstützen die Jugendbuchtage.
„Keine leichte Kost“
Die Jugendlichen erwarte in diesem Jahr „keine leichte Kost“, aber ein sehr wichtiges, interessant aufgearbeitetes Thema, erklärte Petra Wucherer, Leiterin der Stadtbibliothek den Jugendlichen der Realschule vor der Veranstaltung. In ihren Jugendromanen widmet Grit Poppe sich einem wenig beachteten Thema der DDR-Geschichte. Sie schildert die Erniedrigungen, denen Kinder und Jugendliche in Umerziehungsheimen der DDR-Jugendhilfe ausgesetzt waren.

Grit Poppe wuchs in der DDR, in Stahnsdorf an der Ostseite der Berliner Mauer auf. Als Tochter eines Vaters, der eine Initiative für Frieden und Menschenrechte gegründet hatte, hat sie am eigenen Leib erfahren, wie es sich anfühlt, von der Stasi überwacht zu werden.
Der Jugendwerkhof Torgau
Während ihrer Recherchen zu den Spezialkinderheimen der DDR sei sie „mit Entsetzen“ auf den Geschlossenen Jugendwerkhof Torgau gestoßen. Der Gebäudekomplex, auch Fischerdörfchen genannt, war 1901 als königlich-preußische Militärarrestanstalt gebaut worden. In den darauffolgenden Jahren diente er als Gefängnis.
Im Mai 1964 richtete die DDR dort den einzigen Geschlossenen Jugendwerkhof des Landes ein. Torgau stand, was die Härte und Grausamkeit betrifft, die Jugendlichen angetan wurde, an der Spitze des Systems der Spezialheime, berichtet die Autorin.
Jugendliche im Alter von 14 bis 18 Jahren, die in anderen Heimen wiederholt gegen die Heimordnung verstoßen hatten, seien hierher, in die „Endstation“, eingeliefert worden. Ihr Wille sollte innerhalb der ersten drei Tage systematisch durch körperliche und psychische Erniedrigungen gebrochen werden.
Zu Beginn der Lesung zeigt Poppe ein Video, in dem Zeitzeugen zu Wort kommen. Die heute Erwachsenen sprechen verhalten. Es koste Mühe darüber zu berichten, was sie in der Anstalt erlebt haben, sagen sie. Poppe hat mehrere von ihnen getroffen. Viele könnten ihr Leben ohne therapeutische Hilfe nicht meistern, berichtet sie.
„Weggesperrt“ erzählt von 14-Jähriger
In Poppes Buch „Weggesperrt“ wird die 14-jährige Protagonistin Anja von ihrer Mutter getrennt, nachdem diese einen Ausreiseantrag gestellt hat. Anja wird in ein Übergangsheim gebracht, wo sie auf eine Welt voller unverständlicher Regeln, Schikanen und Verbote trifft.
Anja verstößt gegen mehrere Regeln, wird mit Arrest in einer kargen Zelle, in der nur ein Bett und ein Eimer als Toilette stehen, bestraft. Eine Flucht, auf der sie schließlich entdeckt und zurückgebracht wird, Erniedrigungen durch Wärterinnen und andere Jugendliche führen dazu, dass sie nach Torgau überführt wird.
Schläge und Erniedrigung
Anja erlebt, was Tausende Jugendliche dort durchmachen mussten. Ruhig, aber mit einem traurigen Ausdruck gibt Poppe wieder, was Zeitzeugen ihr berichtet haben: „In der sogenannten Schleuse mussten sie mehrere Stunden schweigend warten. Sobald sie fragten, wie es weitergeht, wurden sie geschlagen. Unter den Blicken von Aufsehern mussten sie sich nackt ausziehen, bevor ihnen andere Kleidung überreicht wurde. Allen Jugendlichen wurde der gleiche Kurzhaarschnitt verpasst.“
Im November 1989 wurde das Jugendwerk geschlossen. Die Akten seien noch erhalten, so Grit Poppe. Eine umfassende juristische Aufarbeitung habe es nicht gegeben.