Was für ein kuriose Fall: Ein schwerhöriger Mann sitzt in seinem Haus Singen vor dem Fernseher und ahnt nicht, was sich hinter seinem Rücken abspielt. Diebe schlagen ein Loch in die Terrassentür, öffnen diese, dringen in die Wohnräume ein und schleppen einen rund 100 Kilogramm schweren Tresor aus dem Haus. In diesem lagern 20.000 Euro – eine ganze Stange Geld. Die Ehefrau des Mannes war zum Zeitpunkt des Einbruchs nicht im Haus.

Bestohlener sitzt ahnungslos vor dem Fernseher

Bei der juristischen Aufarbeitung müssen sich zwei junge Frauen aus Italien vor dem Amtsgericht in Konstanz verantworten. Die Geschwister sind wegen schweren gemeinschaftlichen Diebstahls in Folge eines Wohnungseinbruchs angeklagt. Von Beginn des Prozesses an ist klar: Die beiden können nicht die Diebinnen sein. Niemals wären die zierlichen Frauen in der Lage gewesen, einen so schweren Tresor zu tragen.

Und doch hatten beide mit dem Fall zu tun. Beide wurden kurz nach der Tat verhaftet und saßen fast sechs Monate lang in Untersuchungshaft. Das sei eine bittere Erfahrung gewesen für die 19-Jährige und die 28 Jahre alte Mutter von zwei Kindern im Alter von vier und sechs Jahren, heißt es mehrfach während des Prozesses.

Der Vorsitzende Richter Franz Klaiber musste erst einmal die Gemüter beruhigen.
Der Vorsitzende Richter Franz Klaiber musste erst einmal die Gemüter beruhigen. | Bild: Hanser, Oliver

Im ganzen Verfahren zeigen die beiden Frauen große Emotionen. Beide werden an Händen und Füßen gefesselt in den Gerichtssaal geführt. Die Jüngere mit verweinten Augen, die Ältere laut schluchzend. Der Vorsitzende Richter Franz Klaiber versucht zu Beginn der Verhandlung, mit seiner sonoren Stimme Ruhe zu schaffen: „Sie sollten sich beruhigen. Sonst wird das ein sehr langer Tag.“

Nur zufälligen Bekanntschaft oder Kindsvater?

Die beiden Frauen waren wohl tatsächlich nicht beim Einbruch in Singen dabei. Aber sie waren nachweislich auf einer Wiese bei Nendingen zwischen Tuttlingen und Mühlheim an der Donau. Sie haben den Trennschleifer gebracht, mit dem dort der Tresor geöffnet wurde.

Dass die Frauen vor Ort waren, daran gibt es keinen Zweifel. Am Trennschleifer wurden von einer Angeklagten Fingerabdrücke gefunden, zudem gibt es Fußabdrücke und Zigarettenstummel, die auf die beiden Frauen hinweisen. Auch Reifenabdrücke von dem Auto, in dem die beiden später festgenommen wurden, belasten die Frauen. Die Polizei war wegen eines Hinweises von Jugendlichen vor Ort. Diese hatten verdächtige Geräusche und einen Funkenflug wahrgenommen.

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In Erklärungen, verlesen durch Rechtsanwälte, räumen beide Frauen ein, vor Ort gewesen zu sein. Sie wollen aber nur zufälligen Bekannten einen im Auto vergessenen Rucksack gebracht haben, in dem sich der Trennschleifer befand. In der Erklärung der Älteren heißt es: Erst vor Ort sei klar geworden, dass etwas Unrechtmäßiges im Gange war. Sie entschuldige sich, dass sie dabei war. Die Jüngere gibt auf Nachfragen an, sie habe von gar nichts gewusst. Beide Frauen schweigen über die Identität der Männer, die sie zufällig kennen gelernt haben wollen bei einem Besuch des Europaparks in Rust.

Überwachungskamera im Europapark

Bilder von einer Überwachungskamera am Eingang des Europaparks deuten darauf hin, dass die Frauen in Begleitung eines Mannes waren, welcher der Vater der Kinder der älteren Angeklagten ist. Doch konkrete Nachweise dafür fehlen, ebenso wie für den Verdacht, dass die Diebe zur großen Familie der beiden Angeklagten gehören.

Beide Frauen berichten mit Hilfe eines Dolmetschers, sie seien im Raum Turin aufgewachsen, und ins Kirmesgeschäft ihrer Eltern eingestiegen. Die Jüngere sagt, sie habe gleich nach dem Abgang von der Schule mit 16 oder 17 Jahren, im Betrieb der Eltern begonnen. Beide sprechen davon, dass die Familie zusammen halte.

Täter müssen einen Tipp bekommen haben

Polizisten, die als Zeugen vor Gericht aussagen, stellen fest: Es müsse einen Hinweis gegeben haben, ansonsten wären die Diebe niemals so gezielt auf den Tresor im Haus zugegangen. Ein Geldbeutel, der auf der Tresor-Etage offen herum lag, sei zum Beispiel nicht mitgenommen worden. Grundsätzlich sei das Haus aufgrund seiner Lage kein bevorzugtes Objekt für einen Einbruch. Woher aber der mutmaßliche Hinweis kam, wurde nie aufgeklärt.

Profis oder doch unreife junge Frauen?

Die Staatsanwältin stellt in ihrem Plädoyer fest, es sei völlig abwegig beim offensichtlich professionellen Tatplan, ausgerechnet die Öffnung des Tresors dem Zufall zu überlassen. Sie spricht sich gegen eine Verurteilung der Jüngeren nach dem Jugendstrafrecht aus. Denn es sei erhebliche kriminelle Energie im Spiel gewesen. Sie fordert für beide Frauen eine Bewährungsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten und eine Geldbuße von jeweils 5000 Euro.

Die Verteidiger der Älteren plädieren auf einen untergeordneten Einfluss auf die Tat. Sie betrachten eine Bewährungsstrafe von acht Monaten für angemessen. Ein Vertreter der Jugendgerichtshilfe fordert bei der Jüngeren, die zum Tatzeitpunkt 19 Jahre alt war, Jugendstrafrecht anzuwenden. Sie sei noch keine eigene, gereifte Persönlichkeit. Da die Untersuchungshaft schon nachhaltige Wirkung erzielt habe, seien keine weiteren Maßnahmen nötig. Das sieht auch ihr Verteidiger so. Für ihn kommt allenfalls eine psychische Beihilfe in Frage.

Nach Urteil können sie Angehörigen um den Hals fallen

Der Vorsitzende Richter Franz Klaiber stellt bei der Verkündung des Urteils fest: „Beim literarischen Quartett hätte es geheißen: Der Vorhang fällt und viele Fragen sind offen.“ Beide Frauen hätte Beihilfe zu einem schweren Diebstahl in Folge eines Wohnungseinbruchs geleistet. Solange der Tresor nicht geöffnet war, sei die Tat nicht beendet gewesen. „Die endgültige Beutesicherung hatte noch nicht stattgefunden.“ Die beiden Angeklagten hätten die Mittel dafür zur Verfügung gestellt.

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Die Jüngere bekommt nach Jugendstrafrecht eine Verwarnung, die Ältere eine Bewährungsstrafe von einem Jahr. Da beide Frauen schon fünfeinhalb Monate in Untersuchungshaft saßen, kommen sie noch im Gerichtssaal frei. Sie fallen Familienangehörigen um den Hals. Alle Verfahrensbeteiligten nehmen das Urteil an. Es ist rechtskräftig.