Sie erfüllen alle Klischees: Die beiden Angeklagten sind jung, männlich und Mitglieder einer Gruppe für Autoliebhaber. Sie leasten sich hochmotorisierte deutsche Luxusautos, einen BMW M3 und einen BMW M4, und rasten damit von Singen aus über die Autobahn. In ihrer Heimat, der benachbarten Schweiz, hätten sie niemals über 230 Stundenkilometer fahren dürfen. Nachdem sie auf deutschen Straßen zweimal die hinter ihnen fahrenden Streifenpolizisten ausbremsten, mussten sie sich nun vor dem Amtsgericht Singen wegen der „Teilnahme an einem verbotenen Kraftfahrzeugsrennen“ verantworten, wie es im Strafgesetzbuch heißt. Ein Beschleunigungsrennen ist laut Überzeugung von Staatsanwaltschaft und Richterin Daniela Krack strafbar, auch wenn es auf der Strecke zwischen Steißlingen und Kreuz Hegau teils kein Tempolimit gibt und niemand verletzt wurde.
Verteidiger wollen Freispruch – und keine Hexenjagd auf Schweizer Raser
Zur Verhandlung kam es dennoch nur, weil die Angeklagten mit dem Strafbefehl über 80 Tagessätze á 50 Euro nicht einverstanden waren. Denn dazu kam ein Fahrverbot über sechs Monate, was auch in der Schweiz Konsequenzen haben würde. Weil die Schweiz solche Vergehen als Straftat sehe und drakonisch bestrafe, drohe auch in der Schweiz der Führerscheinverlust, wie Roger Burges als Anwalt des jüngeren Angeklagten erklärte. Doch als Kurierfahrer bedeute das den Jobverlust. Unter diesen Umständen würde sein Mandant dann auch kein Arbeitslosengeld erhalten.
„Die Hexenjagd gegen Raser soll nicht in moderne Inquisition ausarten“, befand er in seinem Abschluss-Plädoyer. Burges sah eine Diskriminierung von Schweizern. Dabei störte er sich besonders an der Äußerung des Staatsanwalts, der vor Eröffnung der Hauptverhandlung geraten hatte, das bisherige Strafmaß zu akzeptieren – mit dem Verweis darauf, dass Singen ein Problem mit Rasern und Posern habe und die Justiz angehalten sei, mit Verfahren auch gegen Schweizer durchzugreifen.
Was im März geschah, schilderten nur die Polizisten
Es war eine Samstagnacht im März, als die beiden Männer im Alter von damals 21 und 23 Jahren erst bei einem Fastfood-Unternehmen in Singen aßen und dann weiter fuhren. Zwei Polizisten folgten ihnen bereits auf der Georg-Fischer-Straße und wurden bei der Fahrt zu Zeugen eines Beschleunigungsrennens über die B33neu sowie schließlich die A81. Zweimal bremsten die jungen Männer ihre Sportwagen deutlich ab, einmal auf etwa 60 und einmal auf etwa 90 Stundenkilometer, um anschließend nebeneinander Vollgas zu geben. „Wir sind nicht hinterher gekommen“, schilderte ein Polizist vor Gericht. Dabei sei der Streifenwagen schon zwischen 225 und 230 Stundenkilometer gefahren.
Einen der Raser stellten die Beamten noch vor Ort, beschlagnahmten Führerschein und Fahrzeug. Den anderen ermittelten Kollegen an der Grenze. Zwischenzeitlich mussten die Autos wieder herausgegeben werden, weil die Leasingfirma den Vertrag mit einer Sonderklausel beendete.
Wie muss eine Absprache aussehen, damit es ein Rennen ist?
Dabei sei doch gar nichts passiert, mühten sich die Anwälte beider Angeklagten zu versichern. Es sei nachts um 1 Uhr gewesen, kaum ein anderer Autofahrer nutzte die Autobahn. Niemand sei gefährdet worden. Und eine Absprache habe es nicht gegeben, daher sei ein Rennen nicht nachweisbar. Für Staatsanwalt und Richterin hingegen war die Absprache durch das zweimalige gemeinsame Abbremsen und Gasgeben gegeben.
Warum sie den Verkehr erst ausbremsten und dann Gas gaben, hätten die beiden Angeklagten erklären können, doch sie sagten kein Wort. Also erfuhren Staatsanwalt und Richterin nur Geburtsdatum, Wohnort und Staatsangehörigkeit, aber nichts zum persönlichen Werdegang, zur Lebenssituation und zur Tatnacht.
Zeugen tauschen sich aus – und wollen nichts gesehen haben
Die Aussage eines Zeugen, der auf der Autobahn hinter ihnen fuhr, bezeichneten Staatsanwalt und Richterin als „Desaster“. Der 21-jährige Schweizer versicherte, die Angeklagten vor dem Autorennen nicht gekannt zu haben. Er sei zufällig mit seinem BMW M1 hinter ihnen gefahren, als diese von der Polizei kontrolliert worden seien. Ein Rennen habe er nicht gesehen – dabei räumte er selbst ein, dass er so nah an dem Geschehen war, dass er es hätte bemerken müssen. Der Staatsanwalt will nun prüfen, ob er doch gegen den Zeugen ermittelt.
Chat-Protokolle zwischen dem heute 23-jährigen Angeklagten und einem weiteren Zeugen belegen eine Unterhaltung in der Tatnacht, in der Polizisten beleidigt und Absprachen vorgeschlagen wurden. Wenn alle das gleiche aussagen würden, könne die Justiz ihnen nichts, waren sie sich sicher. Die Verteidiger beantragten, diesen Zeugen erneut zu laden, was die Richterin aber ablehnte: Er habe bereits telefonisch versichert, nichts zu wissen. Außerdem lebe er im Ausland und habe er ein Zeugnisverweigerungsrecht, da auch gegen ihn ermittelt werden könnte. Deshalb sei eine zweite Ladung wenig erfolgsversprechend.
Richterin verdoppelt den Tagessatz: 8000 Euro Strafe
So endete der Prozess ohne gravierende neue Erkenntnisse, aber mit höheren Strafen: Statt einen Tagessatz von 50 Euro veranschlagte die Richterin 100 Euro, also müssen die Angeklagten nicht mehr nur 4000 sondern nun 8000 Euro bezahlen. Der Staatsanwalt hatte 80 Tagessätze á 120 Euro, also 9600 Euro, gefordert. Denn in seinem Leasingvertrag gab ein Angeklagter an, dass er 4500 Franken pro Monat verdient und das ist deutlich mehr, als zum Zeitpunkt der Festnahme veranschlagt wurde. Damals mussten beide Angeklagten bereits 4000 Euro als Sicherheitsleistung hinterlegen.
Für die nächsten vier Monate dürfen sie in Deutschland außerdem kein Auto fahren – womit sie laut dem Schweizer Anwalt auch in der Schweiz mit den Konsequenzen rechnen müssen, die sie um jeden Preis vermeiden wollten. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, Staatsanwaltschaft und Verteidiger können noch Revision einlegen.