An einem Punkt des Nachmittags erzählte Martin Zimmermann die Geschichte von Vertretern migrantischer Organisationen, die nicht glauben konnten, dass sie ins Rathaus eingeladen wurden. Zimmermann leitet für den Verein Integration in Singen (Insi) die Geschäftsstelle. Und er sagte nun über den Anlass im Jahr 2019: „Wir mussten damals ziemlich viel Laufarbeit machen.“
Erzählt hat er die Episode bei einem Treffen unter dem Titel „Zusammenleben in Singen und im Hegau – Stärken und Herausforderungen“. Dazu hatte die SPD-Bundestagsabgeordnete des Wahlkreises Konstanz, Lina Seitzl, den stellvertretenden Vorsitzenden des Innenausschusses des Bundestags, Lars Castellucci, ebenfalls SPD, in das Wahlkreisbüro eingeladen, das sie sich mit dem Landtagsabgeordneten Hans-Peter Storz teilt. Gekommen waren etwa ein Dutzend Vertreter aus der Kommunalpolitik, von Hilfsvereinen, Organisationen und von migrantischen Vereinen.
Der Effekt, den Zimmermann mit der Episode beschreibt, zog sich wie ein roter Faden durch viele der Wortmeldungen bei der Veranstaltung. So berichtete auch der städtische Integrationsbeauftragte Stefan Schlagowsky-Molkenthin, dass er regelmäßig auf beklommenes Schweigen treffe, wenn er bei migrantischen Organisationen darum werbe, dass man die Menschen auch in der Kommunalpolitik haben wolle. Das glauben wir euch nicht, sei ein häufiger Reflex, sagte er. Und stellte die Diagnose: Man sei bei einem friedlichen Nebeneinander immerhin schon angekommen, aber noch nicht bei einem echten Miteinander.
In dieses Bild passt auch, dass Menschen mit Migrationshintergrund im Singener Gemeinderat radikal unterrepräsentiert sind. Je nachdem, wie streng man die Kriterien auslegt, kommt man auf einen oder keinen Gemeinderat mit Migrationshintergrund – und das bei einem Bevölkerungsanteil von 51 Prozent von Menschen mit Migrationshintergrund, wie der Integrationsbeauftragte erklärt.

Woran liegt es? Jakob Kirchgässner, Vorsitzender der Orts- und Kreisgruppe Singen-Konstanz in der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland, sagt unumwunden: 23 Jahre sei er in der CDU gewesen, doch seit seinem Austritt sei ihm die Politik fremd geworden. Schwierigkeiten mit Integration hätten die Mitglieder seiner Organisation nicht, denn „in unseren Köpfen sind wir nach Hause gekommen“, sagt er. Man erlebe eher Unsicherheit als Feindseligkeit.
Anela Zecevic, Vorsitzende des Vereins HSK Croatia, verwies darauf, dass man die seit 2015 angestiegene Zuwanderung meistern müsse. Ihr eigener Verein habe praktische Hilfe geleistet, als nach der Öffnung der EU-Grenze für Kroatien 2015 viele Kroaten nach Singen gekommen seien, etwa mit Sprachkursen. Und dass ihr Verein nach etwa 50 Jahren endlich ein eigenes Vereinsheim baut, habe mit dem Termin im Rathaus 2019 zu tun, von dem Zimmermann berichtete. Denn bei dieser Gelegenheit sei die Idee erstmals öffentlich geworden. Gastgeberin Seitzl blickte durch die bundespolitische Brille auf das Thema. Deutschland habe ein sehr ausgrenzendes Staatsbürgerschaftsrecht. Doch die Regierung sei schon dabei, dieses zu reformieren, und dabei ziemlich weit.
Es ist mehr politische Teilhabe gewünscht
Auch Bernhard Grunewald, Vorsitzender des Vereins Integration in Singen (Insi), sagte, das Projekt „jede Stimme zählt“ sollte man anschieben, um unter diesem Motto Menschen mit Migrationshintergrund ins Kommunalparlament zu bekommen. Denn man werde erleben, dass Kinder aus Zuwandererfamilien das Erwerbsleben prägen. Und das seien Arbeitskräfte, die man dringend brauche, sagte Berthold Jörke, Vorsitzender des SPD-Ortsvereins Singen und beruflich im Maggi-Werk tätig. Grunewald gab zu bedenken, dass es in früheren Zeiten auch schon mehr Hinwendung zu Menschen mit Migrationshintergrund gab, etwa in der Zeit, in der Gastarbeiter in die Stadt kamen, um in der Industrie zu arbeiten.
Diese Menschen sind keineswegs, wie damals von der Bundesregierung vorgesehen, Gäste geblieben, viele von ihnen haben in Singen und dem Hegau eine Heimat gefunden. Sie und ihre Nachkommen seien schon lange angekommen und integriert, sagte Bürgermeisterin Ute Seifried. Doch mit der Zuwanderung aus dem arabischen Kulturraum seien auch andere Phänomene in die Stadt gekommen – Frauen, die sich vollständig verschleiern zum Beispiel, Frauen, die nur in Begleitung eines Mannes die Wohnung verlassen dürften, und sei es ein 16 Jahre alter Junge, oder Mädchen, deren einziger Weg nach draußen der zwischen Wohnung und Schule ist. All das gebe es in Singen. Dass sie diese Phänomene kritisch sieht, daraus machte Seifried keinen Hehl. Und vor diesem Hintergrund habe sie Sorge, dass die AfD mit ihren simplen Botschaften stärker werden könnte. Gegenüber der AfD dürfe man nicht zurückweichen, entgegnete Seitzl.
Wie erreicht man die Menschen, die man nur schwer erreicht? Diese Frage treibt auch Wolfgang Heintschel vom Vorstand der Caritas Singen-Hegau um. Er kritisierte ausländerrechtliche Hürden, die Chancen für eingewanderte Fachkräfte im Weg stehen würden. Und auch Christian Grams, Geschäftsführer des Diakonischen Werks Konstanz, hatte Kritik im Gepäck. Mit Blick auf die Haushaltsberatungen sagte er, dass es nicht sein könne, dass in einem wichtigen Bereich wie der Integration die Mittel so stark gekürzt würden.
Castellucci beruhigte in dieser Hinsicht, dass beim Haushalt das letzte Wort noch nicht gesprochen sei, dass man allerdings auch von hoher Verschuldung wieder herunterkommen müsse. Und er gab zu: „Wir lernen erst, wie das mit der Integration geht.“ Dazu gehöre auch, das Ankommen und Hereinkommen in der Gesellschaft zu organisieren. Integration – sie wird noch lange eine Herausforderung bleiben.