Ganz anders als seine Familienmitglieder im Messerstecher-Prozess in Stuttgart-Stammheim äußert sich das mutmaßliche Familienoberhaupt: Der 48-jährige Said E. räumte am Donnerstag vor dem Landgericht Konstanz vollumfänglich ein, seine Verwandten zu einem Angriff angestiftet zu haben. Nach einem Verständigungsgespräch zwischen Verteidigung, Staatsanwaltschaft und dem Schöffengericht erwartet ihn dafür voraussichtlich eine Freiheitsstrafe zwischen drei Jahren und sechs Monaten bis zu vier Jahren. Vereinbart wurde auch ein Schmerzensgeld für das Hauptopfer Mizr A. in Höhe von 6000 Euro. Das Urteil wird am Freitag erwartet.

Racheaktion lief aus dem Ruder

Der Angeklagte, der die syrische und schweizerische Staatsangehörigkeit besitzt, gab sich am ersten Prozesstag reumütig: „Ich entschuldige mich für das, was passiert ist, und schäme mich dafür“, versicherte er. Die Messerstecherei war eine Racheaktion, wie zwei Polizisten schilderten. Am 5. Dezember 2020 sei der Angeklagte selbst zum Opfer geworden, er soll von Mizr A. geschlagen worden sein. Ein Verhandlungstermin in dieser Sache steht noch nicht fest. Deshalb habe man sich an der verfeindeten Großfamilie rächen wollen.

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Bis zu 25 Verwandte sollen in einer eigens eingerichteten Whats-App-Gruppe besprochen haben, wie das spätere Hauptopfer verletzt werden sollte. „Das ging bis zu Gliedmaßen abtrennen und einschlagen“, erklärte ein als Zeuge geladener Kriminalpolizist. Der Geschädigte Mizr A. sei regelrecht überwacht worden – und Said E. habe das alles im Hintergrund angewiesen. Er war bei der Tat am 14. Dezember zwar nicht vor Ort. Doch er habe danach zum Löschen des Chats aufgerufen und seine Garage als Versteck für eines der Tatfahrzeuge angeboten.

48-Jähriger soll Familienoberhaupt und Strippenzieher sein

Minutenlang las der Vorsitzende Richter Joachim Dospil die zahlreichen Verletzungen des Hauptopfers Mizr A. vor, die ihm bei der Messerattacke von acht Männern zugefügt wurden. Das Opfer hätte nach den zahlreichen Schnitten, die ihm besonders im Gesicht zugefügt wurden, verbluten können. Said E. hielt sich währenddessen eine Hand vors Gesicht. „Wir sind eine Familie“, hatte er eingangs erklärt. Er habe solche Sachen niemals gewollt. Der 48-Jährige sitzt mit kurzer Unterbrechung seit einem Jahr in Untersuchungshaft.

Nachdem er im Juli aus Schweizer Haft entlassen wurde, sei er in Singen begeistert empfangen worden. Das würden Videos zeigen, wie der Polizist schilderte. Auch das spreche dafür, dass Said E. das Familienoberhaupt und der Strippenzieher der Messer-Attacke sei. Wenige Tage später nahm ihn die deutsche Polizei erneut fest.

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Aufgewachsen ist der heute 48 Jahre alte Angeklagte in Syrien als viertes von 48 Geschwistern. Weil die Landwirtschaft seiner Familie nicht ausgereicht habe, um allen ein Auskommen zu sichern, zog er 1998 aus wirtschaftlichen Gründen in die Schweiz.

Eine Frau in der Schweiz, andere in Deutschland

Dort wohnt er im Kanton Schaffhausen mit seiner Frau und zwei Kindern. Doch da ist noch seine zweite Familie im Hegau, eine Freundin mit fünf Kindern. Laut Oberstaatsanwalt Ulrich Gerlach steht noch ein Verfahren aus, weil er dieser Freundin zum Erschleichen von Leistungen verholfen haben soll. Dabei gehe es um über 67.000 Euro, welche sie zu Unrecht erhalten habe. Seit vielen Jahren führe er eine Autovermittlung, wie der Angeklagte erklärte. Seit 2006 habe er die eidgenössische Staatsangehörigkeit.

Der Angeklagte hat keine Vorstrafen und zeigte sich sichtlich gezeichnet von der bisherigen Haft: Er habe 25 Kilogramm abgenommen und nach dem Tod eines Mithäftlings seelischen Beistand benötigt.

Der Angeklagte trug während der gesamten Verhandlung Fußfesseln.
Der Angeklagte trug während der gesamten Verhandlung Fußfesseln. | Bild: Hs

Kurios war der Beginn der Verhandlung, denn Said E. erschien mit zwei Verteidigern: Johannes Hahnloser und Wolfgang Hoppe. Schon seine in Stuttgart verurteilten Familienmitglieder ließen sich von jeweils bis zu drei Anwälten beraten. Doch in diesem Fall sollte es nur einen geben, befand Hoppe. Er blieb, Hahnloser passte sich dem an und wurde zum Zuschauer.

Zwei Anwälte mit ganz unterschiedlichen Strategien

Die beiden Männer verfolgen offenbar eine ganz unterschiedliche Strategie: Während Hahnloser seinen Mandanten für unschuldig hält, riet der Singener Verteidiger Hoppe zum Geständnis. Hoppe suchte allerdings noch nach einem Motiv für die jahrelangen Streitigkeiten der Großfamilien. Eine mögliche Erklärung sei, dass Said E. dem späteren Hauptopfer Mizr A. Geld geliehen haben soll. Die Racheaktion sei jedenfalls aus dem Ruder gelaufen, so der Verteidiger.

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Die Verständigung mit dem Gericht soll am Freitag zu einem milderen Urteil von höchstens vier Jahren führen. Zum Vergleich: Der Haupttäter wurde zu vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die Urteile aus Stammheim sind aber noch nicht rechtskräftig.

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