Frau Wölfle-Obitz, was kann Tanz?
Tanz kann jeden Menschen auf einer nonverbalen Ebene erreichen und dadurch tief berühren. Man muss nicht dieselbe Sprache sprechen, um Tanz zu verstehen. Tanz bietet einen großen Freiraum für Interpretation. Tanz kann Gefühle und Stimmungen ausdrücken, dort, wo Worte versagen. Tanz kann mitreißen, beflügeln und ganz allgemein das Wohlbefinden der Menschen steigern – ebenso beim Zuschauen wie auch beim Tanzen selbst. Für mich persönlich ist Tanz meine Sprache, in der ich mich am besten ausdrücken kann.
Was braucht man als Betrachter, um Bühnentanz zu verstehen und sich bestenfalls mitreißen zu lassen?
Wenn es darum geht, eine Kunst- und Ausdrucksform kennenzulernen, sind Offenheit und Neugier immer gut. Seinen eigenen Interpretationen und spontanen Gefühlen zu vertrauen und ihnen Raum zu geben. Es gibt kein Richtig oder Falsch beim Verstehen. Bühnentanz bietet viele Möglichkeiten, soziale, politische oder persönliche Themen darzustellen und ihnen einen starken Ausdruck zu verleihen. Tanz holt die Menschen dort ab, wo sie gerade sind.
Wie ist unsere Region aufgestellt? Gibt es ein gutes Netzwerk für Tanzveranstaltungen?
Es gibt im Hegau und rund um den Bodensee professionelle und beeindruckende Tanzschaffende – jedoch sind bislang nur wenige gut miteinander vernetzt und für ein breites Publikum sichtbar. Wir arbeiten daran, dies zu ändern. Dazu gehört es auch, geeignete Probenräume in der Region zu finden und zugänglich zu machen.
Inwiefern?
Generell ist es schwierig, ein Theater zu finden, das über eine ausreichend große Bühne verfügt und darüber hinaus den technischen Anforderungen genügt. Und die Miete dafür zu finanzieren, ist fast noch schwieriger. Auch hier ist Pionierarbeit zu leisten, um die Spielstätten im Hegau und am Bodensee zu gewinnen und davon zu überzeugen, in Tanz zu investieren. Wir sind überzeugt, dass durch hohe Qualität auf beiden Seiten eine Win-Win-Situation entstehen kann und mehr Bühnen dieser Idee folgen werden.
Für ein ganz neues Projekt konnten Sie die Singener Gems als Kooperationspartner gewinnen.
Ja! Das war ein absoluter Glücksfall für uns!
Mit Ihren Kollegen Leander Emanuel und Emmanuel Ramos werden Sie in der Gems die Veranstaltungsreihe „Tanz Eins“ starten. Wie kam es zu der Idee?
Seit einigen Jahren habe ich das Glück, immer wieder mit Leander und Emmanuel in unserer Region zusammenzuarbeiten. Wir sehen Tanz als grundlegende kulturelle Bereicherung für unsere Gesellschaft. Deshalb möchten wir den Menschen nicht nur sporadisch, sondern regelmäßig die Möglichkeit geben, Tanz in seiner ganzen Bandbreite zu erleben. So kam es zu der Idee, eine Veranstaltungsreihe mit der Gems in Singen zu starten. Unser Ziel ist es, dass beim Publikum eine Begeisterung für den Tanz als Kunstform entsteht, die sich in der Region verbreitet.
Was erwartet das Publikum bei der Auftaktveranstaltung im März?
Wir zeigen drei Live-Performances und einen Tanz-Kurzfilm. Leander Emanuel zeigt das von ihm kreierte und getanzte Solo „From Paris to Amsterdam“. Es erzählt im Zeitraffer von den universellen Erfahrungen mit der Liebe. Dabei lotet er die Möglichkeiten aus, inwieweit er die Grenzen zwischen Tanz und Schauspiel auflösen kann. Emmanuel Ramos und ich zeigen das von uns choreografierte Duett „Flowers“. Hier geht es um eine innige Beziehung, die sich durch ständige Ablenkung entzweit. Es ist eine Reflexion über das, was wir vermissen und wonach wir uns sehnen, wenn wir uns in der Strömung des Alltags verlieren.
Der Kurzfilm „WWNSW – Was wir nicht sehen wollen“ von Leander Emanuel zeigt noch einmal ein anderes Spektrum, nämlich wie sich „Lächle doch mal“ und „Good vibes only“ anfühlen können, obwohl wir es oft nicht sehen wollen. In „Unter(ver)schieden(en) 2.0“ untersuchen wir zu dritt die Möglichkeit, trotz Unterschiede zu einem gemeinsamen Konsens zu kommen – ohne dass jemand seine eigenen Vorstellungen komplett aufgeben muss.
Wie entstehen solche Ideen, wie beispielsweise die tänzerische Lösung für die Suche nach einem Kompromiss?
Diese Idee entstand durch unsere sehr unterschiedlichen Tanzstile. Wir suchen in diesem Trio gemeinsam und jeder für sich nach Wegen, uns tänzerisch näherzukommen, ohne unsere individuellen Fähigkeiten und Vorstellungen, was Tanz für uns ist, aufgeben zu müssen. Ein tänzerischer Disput, der keine gesprochenen Worte benötigt. Wir haben uns gefragt, ob wir in einer Zeit, in der sich die Menschen zunehmend voneinander entfernen und wenig bereit sind, auf ihr Gegenüber einzugehen, eine tänzerische Antwort geben können. Wir zeigen einen Weg, wie wir voneinander lernen können und das Gelernte wiederum in unsere Bewegungen – sprich in unser Leben – integrieren können.
Wie geht es weiter, was ist geplant?
Wir planen die Tanzreihe weiterzuführen, also folgend mit dem „Tanz Zwei“ in der Gems, um regelmäßig Tanz zu zeigen. Das kann auch mal ein Stück speziell für Kinder sein. Wir hoffen, damit dem Tanz einen festen Platz in dieser Region zu geben und den Menschen Freude, wertvolle Unterhaltung und Inspiration zu schenken.