Wenn die Karstadt-Filiale in Singen am Freitag etwas später geöffnet hat, dann hatte das einen guten Grund: Bei einer Betriebsversammlung haben die Mitarbeiter erfahren, dass die Filiale nicht mehr geschlossen werden soll. „Es stimmt, wir können erstmal weitermachen“, sagt Filialleiterin Sabrina Stark dem SÜDKURIER. Vor einem Monat hatte die Zentral in Essen mitgeteilt, dass die Filiale im Rahmen das Sanierungskonzepts von Galeria Karstadt Kaufhof keine Zukunft habe. Als letzter Öffnungstag war der 31. Oktober angekündigt. Doch das ist nun vom Tisch, wie auch Betriebsrat, Vermieter und Gewerkschaft bestätigen.
„Wir freuen uns natürlich riesig“, sagt Stark und kündigt für Samstag einen kleinen Sektempfang in der Filiale an. Sie hätten in den vergangenen Wochen viel Unterstützung erfahren – von Kunden und Mitarbeitern, aber auch von der Stadt und dem Vermieter.
Vermieter ist Karstadt entgegen gekommen
Vermieter Frank Mattes erklärt am Freitagmorgen: „Die BTH Anlagenverwaltung GmbH & Co. KG als Vermieterin des Warenhauses Karstadt in Singen und die Konzernleitung der Galeria Karstadt Kaufhof in Essen haben beschlossen, das Mietverhältnis auch in Zukunft fortzuführen.“ Viel mehr möchte er noch nicht sagen: Es seien langwierige und schwierige Verhandlungen gewesen.
Lebensmittelbereich wird geschlossen
Einen Wermutstropfen gibt es jedoch: Die Lebensmittelabteilung wird geschlossen. Das bestätigt Betriebsratsvorsitzende Karin Greuter auf Nachfrage. Die nötigen Investitionen in diesem Bereich wären einfach zu groß gewesen. Die rund 15 Mitarbeiter in diesem Bereich sollen anderweitig beschäftigt werden, soweit möglich. Einige hätten sich aber bereits andere Jobs gesucht.
Singens Oberbürgermeister Bernd Häusler erklärt auf SÜDKURIER-Anfrage, dass Mattes‚ Einsatz wohl entscheidend zum Erhalt der Filiale beigetragen habe. „Ohne dieses Engagement hätte es vermutlich nicht gereicht.“ Denn Mattes sei der Zentrale nochmal mit der Miete entgegen gekommen. Auch dass Mitarbeiter innerhalb kürzester Zeit über 10.000 Unterschriften für einen Erhalt gesammelt haben, habe bei der Zentrale in Essen sicher Eindruck gemacht.
OB ist überzeugt: Umsätze werden wieder steigen
Häusler ist überzeugt, dass die Umsätze wieder steigen werden: Man dürfe nicht vergessen, dass Karstadt in den vergangenen Jahren ständig von Baustellen umgeben war. Doch die neue Umgebung lade wieder zum Einkaufen ein. Das habe er auch versucht, der Zentrale zu schildern.
Pläne sind auf längeren Zeitraum ausgelegt. Und es soll investiert werden
Dass die Mitarbeiter in wenigen Monaten wieder zittern müssen, scheint für den Oberbürgermeister unwahrscheinlich: „Das ist keine kurzfristige Aktion, sondern auf einen längeren Zeitraum ausgelegt“, weiß er. Die Zentrale wolle auch in das Singener Ladengeschäft investieren und das rechne sich erst auf eine gewisse Zeit. Solche Investitionen sind laut Markus Klemt von Verdi auch wichtig. Die Argumente hätten klar für einen Erhalt des Karstadts in Singen gesprochen: Verluste lassen sich teils durch Bauarbeiten, seit wenigen Monaten auch durch Corona und Grenzschließungen erklären. Vom im November eröffnenden Einkaufszentrum Cano könne Karstadt profitieren, denn das bringe mehr Kunden in die Stadt. SPD-Bundestagsabgeordnete und Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter erklärt, dass die Filiale trotz aller Widrigkeiten schwarze Zahlen geschrieben habe.
Gewerkschaft will bei Umstrukturierung und Neuausrichtung begleiten
Dennoch spricht Markus Klemt von Umstrukturierung und strategischer Neuausrichtung: „Wichtig ist, dass es jetzt nicht einfach weitergeht, sondern dass sich etwas ändert mit Blick in die Zukunft.“ Online-Handel sei ein Thema und der stationäre Handel müsse sich überlegen, wie er Kunden mit Serviceangeboten gewinnen kann. Ein Schritt dahin sei mit neuen Tarifverträgen bereits getan. Diese sehen laut dem Verdi-Gewerkschaftssekretär in der Region Südbaden Schwarzwald eine bessere Mitbestimmung von Beschäftigten vor: Statt zentral aus Essen soll mehr vor Ort entschieden werden können, zum Beispiel wie Mitarbeiter eingesetzt werden. Die Gewerkschaft wünsche sich, dass auch beim Warensortiment mehr Selbstbestimmung möglich wird: Schließlich würden die Menschen in Singen ihre Kunden aus dem Hegau und der Schweiz am besten kennen.
Die neuen Tarifverträge bedeuten laut Klemt auch Einschnitte für die Mitarbeiter: Sonderzahlungen seien erstmal gestrichen und pausierte Lohnerhöhungen sollen mit Zeitgutschriften kompensiert werden.
Freude auch aus Stuttgart: Einsatz hat sich gelohnt
Doch auch Klemt äußert sich erstmal erleichtert und erfreut: Der Filialerhalt sei eine sehr gute Nachricht für Singen. Der Gewerkschaftssekretär betont, dass dies dem hervorragenden Miteinander aller Beteiligten zu verdanken sei. Auch Kunden hätten „ihren“ Karstadt aktiv unterstützt, ob mit Unterschriften oder Einkäufen. Die Freude ist sogar in Stuttgart angekommen: Landeswirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut sei erleichtert angesichts der Rettung. Der Einsatz habe sich gelohnt.
„Wir sind überglücklich, dass wir weiter arbeiten dürfen“, sagt Betriebsratsvorsitzende Karin Greuter. 124 Mitarbeiter seien aktuell im Bereich Lebensmittel, Gastronomie und Warenhaus beschäftigt und sie gehe davon aus, dass das auch so bleibe. Für sie sei die Wendung überraschend gekommen und bedeute vor allem eins: Aufatmen nach anstrengenden Wochen des Bangens.