Nach dem Schock preschen die Personalvertreter nach vorne. Die Singener Karstadt-Filiale soll nach der Ankündigung des Konzerns in Essen vom Freitag geschlossen werden und nur noch bis zum 31. Oktober öffnen. Betriebsrat und Verdi-Gewerkschaftssekretär Markus Klemt haben sich am Montagnachmittag getroffen, um Karstadt Singen vor dem Aus zu retten.

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„In der Belegschaft herrscht eine Stimmung von Entsetzen und Trauer, die sich aber auch mit dem absoluten Willen mischt, gegen die Schließung anzugehen“, erklärt Markus Klemt. Die Personalvertreter wollen dabei mit Hilfe der Stadt Singen besonders auf Argumente setzen, die den Insolvenzverwalter der Zentrale von Galeria Karstadt Kaufhof entscheidend umstimmen soll.

Nur mit Mundschutz kann derzeit im Karstadt eingekauft und gebummelt werden. An den Kassen herrscht reger und geordneter Betrieb.
Nur mit Mundschutz kann derzeit im Karstadt eingekauft und gebummelt werden. An den Kassen herrscht reger und geordneter Betrieb. | Bild: Bittlingmaier, Albert

„Dort gibt es die Befürchtung, dass das neue Singener Einkaufscenter Cano für Umsatzeinbrüche bei Karstadt sorgt. Wir wollen aber aufzeigen, dass im Gegenteil Karstadt davon profitieren kann, dass das Cano als Magnet einen stark erweiterten Kundenkreis aus einer großen Region nach Singen anzieht“, so Klemt.

Überzeugungsarbeit im Sinn

Die Stadt Singen habe beim Beschluss, dass Cano zu bauen, darauf gezielt, dass auch der umliegende Einzelhandel in das Einkaufsgeschehen miteinbezogen wird. So werde einer der sieben Cano-Ausgänge so gelegt, dass die Menschen direkt in die Nähe zu anderen Geschäften gelangen. „Wir sind nun zusammen mit der Stadt Singen gefordert, Überzeugungsarbeit zu leisten“, sagt Klemt.

Kundgebung am Freitag

„Es wird sich noch einiges tun“, gibt sich Klemt kämpferisch. Zunächst werde die Betriebsratsvorsitzende Karin Greuther in Essen vorstellig. Eine große Kundgebung samt Betriebsrat und Oberbürgermeister Bernd Häusler sei am Freitag, 26. Juni, um 12 Uhr vor dem Karstadt-Gebäude geplant.

Vermieter hat keine Kündigung

Frank Mattes, dessen Gesellschaft das Karstadt-Gebäude vermietet und dort auch ihr Büro hat, erhielt nach eigener Aussage noch keine Kündigung. „Es liegt nichts Schriftliches vor, wie etwa eine Sonderkündigung des Mietvertrages“, sagt Mattes. Von der Schließung wisse er nur vom Hören-Sagen und über die Medien.

Wichtiger Frequenzbringer

„Für den Singener Einzelhandel war es in den 70-er Jahren eine Katastrophe, als Karstadt ansiedelte, weil er übermächtige Konkurrenz befürchtete. Heute gilt die Schließung als katastrophal für die Geschäfte, weil ein wichtiger Frequenzbringer fehlen wird“, erklärt Hans Wöhrle, Vorsitzender des Singener Einzelhandelsverbandes. Die Situation im Handel habe sich aber grundlegend gewandelt. „Früher haben sich viele Geschäfte aufgebaut, heute macht vor allem der Online-Handel den Läden zu schaffen“, sagt Wöhrle.

Strukturwandel beim Handel:

„Niemand hätte damit gerechnet, dass Karstadt tatsächlich schließt, zumal im Gegensatz zu anderen Standorten des Kaufhauses in Singen auch viele Kunden aus der Schweiz für einen Teil des Umsatzes sorgen“, sagt Wöhrle. In den Städten, wie Singen, gebe es einen großen Strukturwandel.

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„Kleinere Geschäfte schließen, andere ziehen in attraktivere Lagen um, wie der Drogeriemarkt Müller in das neue Einkaufszentrum Cano, das im Spätherbst eröffnen will“, zeigt Wöhrle auf. „Nun müssen wir froh sein, dass das Einkaufszentrum bei einer Schließung von Karstadt ein neuer wichtiger Magnet für die Innenstadt wird, von dem auch kleinere Geschäfte profitieren können“, sagt Wöhrle.

Der Pionier und die Karstadt-Treuen

Indes meldet sich Helmut Wessendorf zu Wort. Er war der erste Karstadt-Direktor in Singen ab Oktober 1973. „Von der Schließung bin ich persönlich sehr betroffen, denn die Eröffnung 1974 war der Startschuss für die enorme Entwicklung des Singener Handels. Das Cano wird zwar viele andere Impulse bringen, jedoch wird das umfassende Karstadt-Angebot in der City fehlen. Zudem bin ich sehr betroffen, denn etwa ein Dutzend Mitarbeiter habe ich 1974 eingestellt. Mit ihnen habe ich immer noch eine gute menschliche Verbindung“, betont Wessendorf.

Vor der offiziellen Eröffnung bildeten sich Menschentrauben am Eingang. Mit im Bild Helmut Wessendorf (stehend hinter den Kindern mit ...
Vor der offiziellen Eröffnung bildeten sich Menschentrauben am Eingang. Mit im Bild Helmut Wessendorf (stehend hinter den Kindern mit Luftballons). | Bild: Archiv Helmut Wessendorf

Das Reisebüro bleibt

Das Karstadt-Reisebüro sei von der geplanten Schließung nicht betroffen, betont Leiterin Andrea Schuller. Man sei weiter mit dem bewährten Team für die Kunden da.

So ordnet Jahrbuch-Herausgeber Klaus-Michael Peter das Karstadt-Aus ein

Kaum jemand kennt sich mit der Stadtentwicklung Singens besser aus als Klaus-Michael Peter. Der Autor und Jahrbuch-Herausgeber zur Schließung der Karstadt-Filiale:

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„Die schwarze Karstadt-Liste der Filial-Schließungen hat mich extrem schockiert“, gesteht Jahrbuch-Herausgeber Klaus-Michael Peter, der die Nachrichtenlage von Bonn aus verfolgt hat. Gegenüber dem SÜDKURIER betont er, wie wichtig das Warenhaus für den Einkaufsstandort Singen sei. Peter hofft, dass sich doch noch die Chance auf einen Neuanfang bietet. Entweder über einen Investor oder einen Management Buyout – wie es die Singener zuletzt bei der GF-Niederlassung beobachten konnten.

„Als Kind kam ich oft nach Hamburg, weil mein Vater Beziehungen dorthin hatte“, erinnert er sich. Karstadt wurde zum Inbegriff der großen weiten Welt – auch wenn das Geld meist zu nicht mehr als einem Schaufensterbummel gereicht habe: „Ab und zu gab‘s ein Matchbox-Auto.“ Peter war 15, als Karstadt 1974 in Singen eröffnete. „Spielwaren, Schallplatten, Elektrogeräte, Möbel, Kleider, Schulsachen, Schmuck, Uhren, ein Reisebüro – es gab sogar einen Reifenhandel mit Montage.“

Mehr als ein Kaufhaus: Jahrzehnte später, als sich das Kaufhaus längst in der Region etabliert hatte, freute sich der Singener, dass die Jahrbuch-Taufen von 1997 und 2014 in den Karstadt-Räumlichkeiten stattfinden konnten. Nicht nur das: „In der Buchabteilung im Untergeschoss haben wir lange immer 30 bis 50 Jahrbücher verkauft“, berichtet der Verleger. 2013 wurde auch Klaus-Michael Peters Eisenbahn-Buch „150 Jahre Eisenbahn in Singen-Hegau“ in der Filiale vorgestellt.

Apropos Eisenbahn: 1987 habe Karstadt anlässlich von „1200 Jahre Ersterwähnung Singen“ und dem großen Eisenbahnfest am Bahnhof gleich mehrere Märklin-Modelleisenbahnanlagen in den Schaufenstern ausgestellt.