Die Baustelle ist nicht nur rund um das Singener Karstadt, sondern längst auch mittendrin angekommen. Nachdem die Essener Konzernzentrale angekündigt hat, dass Singen zu den Filialen zählen soll, die bis Oktober geschlossen werden, entsteht Geschäftigkeit in der Stadt. „Auch bei uns kommen Anrufe und Mails des Unverständnisses und des Unterstützungswillens an“, berichtet Claudia Kessler-Franzen vom Standortmarketingverein Singen aktiv. Karstadt habe für viele Singener einen sehr hohen Stellenwert. „Ein Besuch der Innenstadt ist meist mit einem Besuch von Karstadt und natürlich auch dem Kauf verbunden“, so Kessler-Franzen. In Singen werden deshalb die Kräfte gebündelt, um der Schließung der Singener Karstadt-Filiale gemeinsam entgegenzutreten.
Zum Beispiel schon morgens um kurz nach 9 Uhr auf der Hegaustraße: „Wir stehen in direktem Austausch mit Frau Stark, Herrn Mohr und Frau Greuter aus unserem Karstadt-Haus“, erklärt Claudia Kessler-Franzen vom Standortmarketingverein Singen aktiv. Wie wichtig das Haus für den Standort ist, ist für sie keine Frage. Auch deshalb trifft sie sich mit Karstadt-Vertretern, um alles für die geplante Kundgebung am Freitagmorgen vorzubereiten.

„Denn es ist fünf vor zwölf für das Warenhaus„, warnen Betriebsratsmitglieder und Gewerkschaftsvertreter, die gemeinsam eine Protestkundgebung für den Erhalt des Warenhauses ausrufen. Auch deshalb sind Bürger, Besucher und Kunden aufgerufen, am Freitag um 11.55 Uhr an der Kundgebung teilzunehmen. „Natürlich auch unter Beachtung der Abstands- und Hygieneregelungen“, mahnt Kessler-Franzen. Sie ist überzeugt, dass jede Teilnahme an der Kundgebung, jede Unterschrift auf den Unterschriftslisten, die bei Karstadt ausgelegt werden, und jeder Brief an die Unternehmensleitung in Essen eine wertvolle Unterstützung für das kämpfende Singener Karstadt-Team und für den Erhalt des Karstadthauses in unserer Stadt. „Wir müssen Flagge zeigen für unser Karstadthaus in Singen„, so Kessler-Franzen.

Redebeiträge gibt es von der Betriebsratsvorsitzende Karin Greuther, OB Bernd Häusler, und Verdi-Vertreter Markus Klemt. „Von der Schließung wären etwa 120 Beschäftigte mit ihren Familien und Angehörigen betroffen“, weiß er. Zahlreiche Beschäftigte sind seit Jahrzehnten im Haus beschäftigt und haben regelmäßig schwarze Zahlen für das Unternehmen erwirtschaftet. „Zuletzt ist sogar der Vermieter dem Konzern mit der Miete entgegengekommen“, mag Klemt die Schließungspläne nicht verstehen. Er ruft zur Gegenwehr: „Wehren wir uns, organisieren wir uns in Bündnissen und bitten um Unterstützung“, heißt es in der Ankündigung zur Kundgebung.

Unterstützung aus der Bundespolitik kündigt die Singener SPD-Fraktionvorsitzende Regina Brütsch an: Sie erwartet Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter am Freitag, 26. Juni, bereits um 10 Uhr zu einem Gespräch mit Geschäftsleitung, Betriebsrat, Verdi-Vertreter Markus Klemt und Ratsmitgliedern der SPD. „Ziel ist mit allen Mitteln die Schließung zu verhindern und zu überlegen, welche Hilfe der Bundesregierung möglich ist“, erklärt Regina Brütsch.

Hier wurde bereits erfolgreich gegen Schließungen protestiert
- In Mönchengladbach kam es 2015 zu Verhandlungen mit der kommunalen Entwicklungsgesellschaft der Stadt Mönchengladbach (EWMG). Laut einem Bericht der Wirtschaftswoche wurde das Kunststück, das Karstadt-Haus zu erhalten, durch den Kauf des Gebäudes vom bisherigen Eigentümer Highstreet für einen mittleren Millionenbetrag möglich. Weiter wurde eine siebenstellige Summe investiert, um so umzubauen, dass Karstadt einen Zehn-Jahres-Mietvertrag unterschrieb. Das Motiv der Stadt für die Investitionen: den wichtigen Kundenmagneten halten.
- Auch in Dessau konnte die auf März 2016 angekündigte Schließung durch einen Besitzerwechsel abgewendet werden. Laut Mitteldeutscher Zeitung (MZ) hat die Deutsche EuroShop das Haus gekauft. „Nach konstruktiven Gesprächen sowohl mit dem Alt- und dem Neueigentümer der Immobilie konnten wir einen neuen Mietvertrag auf angepasster wirtschaftlicher Basis abschließen“, erklärte der damalige Karstadt-Arbeitsdirektor Miguel Müllenbach. Mit der ECE Projektmanagement als Partner wurde ein Mietvertrag für fünf Jahre abgeschlossen. Diese Bindung läuft im März 2021 aus.
- In Neumünster wurde nach Wismar und Lübeck 1888 die dritte Karstadtfiliale im damaligen Deutschland eröffnet. Doch 2015 sollte die Filiale geschlossen werden. Wieder ginmg es um viel Geld. Ende jenes Jahres teilte Karstadt mit, dass die Schließungspläne zurückgezogen werden, weil die Sparkasse Südholstein auf den Essener Konzern zugegangen ist: Damals hatte das Neumünsteraner Kreditinstitut laut Norddeutschem Rundfunk (NDR) die Immobilie gekauft und an die Kaufhauskette vermietet. Doch auch hier soll bald Schluss sein mit der Ära Karstadt. (bie)