Es ist eine Gewalttat, die fassungslos macht. Auch Tage nach der Massenschlägerei zwischen mehreren verfeindeten syrischen Familien fragen sich viele Menschen in Singen: Wie konnte dies mitten in der Innenstadt am hellichten Tage passieren? Wenn man Diskussionen auf Facebook Glauben schenkt, raten manche Eltern ihren Kindern inzwischen, sich aus der Singener Innenstadt fernzuhalten. Auch Bemerkungen wie „Singen eben“ fallen dort.
Auch Oberbürgermeister Bernd Häusler wirkt Tage nach der Tat noch immer betroffen ob der Ereignisse, wie er schildert. „Ich war entsetzt, dass es zu solchen Ausschreitungen kommt. Dass eine kleine Horde von unbelehrbaren jungen Menschen so viel Unfrieden und Angst erzeugen kann, macht mich wütend“, sagt er.

Wer durch die Singener Innenstadt läuft oder sich in den sozialen Medien umhört, der wird immer wieder mit der Frage konfrontiert, warum die Stadt mit Blick auf die beteiligten syrischen Großfamilien nicht einschreite. Doch so einfach sei dies nicht, wie Häusler erklärt: „Wir würden als Stadt gerne mehr tun, leider sind uns aber die Hände gebunden. Sowohl die Strafverfolgung wie auch ausländerrechtliche Maßnahmen gegenüber Flüchtlingen obliegen nicht der Stadt, sondern der Staatsanwaltschaft und der Polizei beziehungsweise dem Regierungspräsidium Karlsruhe.“
Mehr Kameras, mehr Präsenz
Die Stadt werde alles daran setzen, dass solche Vorkommnisse in der Zukunft verhindern oder zumindest frühzeitig im Keim erstickt werden, versichert er. Häusler nennt dafür auch Beispiele: „Wir planen eine Videoüberwachung an zentralen Orten in unserer Innenstadt.“ Leider sehe sich die Stadt auch hier mit einer Vielzahl an datenschutzrechtlichen Problemen konfrontiert, die kontraproduktiv zu ihren Bemühungen seien. Zudem wünsche sich Häusler eine verstärkte Präsenz der Bereitschaftspolizei in der Fußgängerzone.
Marcel Da Rin ist Leiter der Kommunalen Kriminalprävention. Auch er findet für die Schlägerei am helllichten Tag mitten deutliche Worte. „Es ist eine maßlose Respektlosigkeit gegenüber unserer Stadt und den Menschen, die hier leben“, sagt er. Aber es müsse jedem Bürger klar sein, dass es sich hier um eine relativ überschaubare Gruppe handele, welche die tolerante Wertegemeinschaft mit Füßen trete und die Rechtsstaatlichkeit ignoriere. Da Rin fordert deshalb harte Strafen für die Täter: „Die Auslöser dieser Konflikte, also die Täter, müssen hart bestraft werden. Egal woher die Täter stammen, egal was diese Täter erlebt haben und auch egal wie alt sie sind.“
Die Sicherheitslage in Singen ist gut
Auch Bernhard Grunewald, Vorsitzender des Vereins Integration in Singen (InSi), blickt mit Sorge auf die jüngsten Entwicklungen. Aber er stellt fest: Singen habe kein Sicherheitsproblem. „Die Straftaten sind in den vergangenen Jahren zurückgegangen. Es ist natürlich sehr öffentlichkeitswirksam, wenn sich 25 bis 30 Jugendliche mitten in der Stadt eine Schlägerei liefern“, sagt er. Er wolle dies nicht verharmlosen und sei froh, dass keine unbeteiligten Personen bei diesem Streit in Mitleidenschaft gezogen wurden. „Aber wegen dieses Vorfalls die gesamte Sicherheitslage in Singen schlechtzureden, steht dazu auch in keinem Verhältnis“, so Grunewald.
OB Bernd Häusler wird deutlicher: „Der Ruf der Stadt leidet nach einem derartigen Vorfall.“ Und genau dieser Umstand ärgere ihn maßlos. „Wir haben in den vergangenen Jahren sehr viel Geld in unsere Stadt investiert, um die Aufenthaltsqualität zu erhöhen, und jetzt kommen 25 bis 30 unflätige und respektlose Jugendliche und beschädigen diese Arbeit in Minuten. Das ist einfach nur ärgerlich“, sagt er.
Nicht alle Clan-Mitglieder kommen aus Singen
Dabei weist er auf einen Umstand deutlich hin: Nicht alle Beteiligten der Massenschlägerei würden aus Singen stammen. „Vielfach kommen diese auch aus umliegenden Gemeinden. Wir sind nun mal das Zentrum im westlichen Hegau“, sagt er. Die Vorfälle seien deshalb kein Singener Problem, solche Vorfälle könnten in jeder anderen Stadt oder bei einem Volksfest oder einem Fußballspiel ebenfalls passieren.

Dem pflichtet Marcel Da Rin bei, der ebenfalls kein Sicherheitsproblem in Singen ausmache. „Wir versuchen die Probleme und die Konfliktpotenziale zu minimieren. In vielen Deliktsbereichen funktioniert das gut, andere wiederum sind schwer zu beeinflussen“, sagt er.
Straßenkriminalität geht zurück
Und Da Rin nennt auch Zahlen: Laut seiner Einschätzung sind in Singen in den vergangenen Jahren weniger Delikte der Straßenkriminalität, der Körperverletzungen und der Wohnungseinbrüche zu verzeichnen. „Insgesamt haben wir einen Rückgang der Delikte von 4801 Fällen in 2016 auf 3460 Fälle in 2020. In den vergangenen Jahren gehen die Fälle stetig zurück. Wir haben aktuell ein spezifisches Sicherheitsproblem, aber wir haben kein generelles Sicherheitsproblem“, so Da Rin.

Was aber laut Bernhard Grunewald auszumachen sei, sei eine Verunsicherung in der Stadt. „Weil wir Gewalttaten dieser Art so nicht kennen. Ein Problem ist sicher, dass es schwer auszumachen ist, wie und wann sich etwas zusammenbraut“, sagt er. Grunewald vertraue im weiteren Verfahren auf den deutschen Rechtsstaat. Aber es bleibe auch stete Aufgabe, die verfeindeten, teils sogar weitläufig verwandten Clans mit geeigneten Mitteln und klaren Botschaften davon abzubringen, Konflikte auf heimische Weise zu lösen: „Damit ziehen sie immer wieder ihre eigene Jugend in den Strudel von Gewalt und Gefängnis und verpfuschen deren Leben – was viele Junge nicht mehr wollen.“
Laut Marcel Da Rin sei es allerdings absolut unsinnig, eine erneute grundsätzliche Debatte um straffällige Flüchtlinge zu führen. „Wir haben so viele Menschen in Singen mit einem ausländischen Pass, mit einem Migrationshintergrund, die hier friedlich leben, sich integrieren, bemüht sind. Eine kleine Gruppe macht hier ganz viel wertvolle Integrationsarbeit kaputt“, sagt er. „Wir dürfen jetzt nicht alle über einen Kamm scheren. Vielmehr müssen wir den Menschen sehen, nach seinem Handeln beurteilen und nicht nach seiner Herkunft“, so Da Rin weiter.