Ziemlich regungslos und wortlos hat Said E. am Freitag sein Urteil aufgenommen: Er muss für drei Jahre und sechs Monate ins Gefängnis, nachdem er Familienmitglieder zu einer gefährlichen Körperverletzung angestiftet hat. „Ihnen ging es darum, dass Mizr A. verletzt wird, genauso wie Sie verletzt worden sind“, erklärte der Vorsitzende Richter Joachim Dospil des Landgerichts Konstanz in seiner Urteilsbegründung. Nachdem der Angeklagte am 5. Dezember 2020 von Mizr A. angegriffen worden sei, habe er sich rächen wollen und dafür seine Verwandten in Bewegung gesetzt. Diese attackierten Mizr A. und zwei weitere Männer am 14. Dezember 2020 in einem Kleinbus am Friedrich-Ebert-Platz in Singen.

Das habe nicht nur schwere, lebensgefährliche Verletzungen für das Hauptopfer bedeutet, sondern auch sämtliche aus Syrien stammende Menschen in Singen in Verruf gebracht, kritisierte der Vorsitzende Richter. Dospil äußerte sich aber überzeugt: „Es ist kein krimineller Clan, sondern ein einmaliger Vorfall mit schlechter Außenwirkung.“
Sie waren mal gute Freunde
Hintergrund der Messerattacke ist ein seit Jahren schwelender Streit zweier syrischer Großfamilien. Der nun angeklagte Said E. entstammt der einen und Mizr A. der anderen Familie. Vor Jahren waren sie offenbar befreundet: „Sein Bruder war mein bester Freund und auch er war ein guter Freund“, sagte Mizr A. am Freitag aus. Doch seit 2018 habe sich das Verhältnis verschlechtert, in dem Verfahren wurde mehrfach Geld als möglicher Streitpunkt genannt. Beide Familien bezichtigen einander, für den IS zu arbeiten.
Nachdem Said E. am 5. Dezember verletzt worden war, gründete sich eine Chatgruppe mit 25 Familienmitgliedern, um eine Rache zu planen. „Brecht seine Hände und Füße“, soll der Angeklagte dort beispielsweise geschrieben haben, wie Richterin Kienzler verlas. „Allen Beteiligten im Chat war klar, dass es ein heftiger Angriff werden sollte“, befand Oberstaatsanwalt Ulrich Gerlach. „Man wollte eine Lehre erteilen, den anderen demütigen und zeichnen.“ Diese Rache habe der Angeklagte organisiert.
Ermittler analysierten tausende Chatnachrichten
Mehrere tausend Chatnachrichten kamen bis zum 14. Dezember zusammen. Aus den Chatverläufen sei ganz klar hervorgegangen, dass man das spätere Opfer schlagen soll, erklärte der als Zeuge geladene Polizist, der die Nachrichten auswertete. Um die arabische Unterhaltung zu verstehen, habe man insgesamt drei Dolmetscher beschäftigt und kritische Passagen zwei oder drei Mal übersetzen lassen. „Man hat den Tod billigend in Kauf genommen“, befand der Polizist. Er sei sich auch sicher, dass Said E. die Fäden in der Hand hatte: „Er hat die Chatteilnehmer zur Ordnung aufgerufen, wenn es um ein anderes Thema gehen sollte.“
Nach der Tat wurde die Attacke gefeiert
Nach der Tat habe man sich in der Gruppe beglückwünscht, wie sehr das Opfer zugerichtet wurde. Dann habe Said E. die anderen Mitglieder aufgefordert, die Gruppe zu verlassen und zu löschen.
Opfer Mizr A. erklärte, dass er bis heute leide – gesundheitlich wie psychisch. Am schlimmsten seien die Narben im Gesicht, die ihn immer an die Attacke erinnern würden. Einziger Trost: Als Mann könne er seinen Bart drüber wachsen lassen.
Strafe soll auch Signal sein, dass das in Deutschland so nicht geht
„Der Anstifter ist wie ein Täter zu bestrafen“, erklärte Oberstaatsanwalt Ulrich Gerlach. Wichtig sei auch ein Signal: „Alle Beteiligten kommen aus Syrien, da herrschen andere Regeln. Doch es muss klar sein, dass das in Deutschland so nicht geht.“ Der Angeklagte mit syrischer und schweizerischer Staatsangehörigkeit lebt allerdings schon seit 1998 in der Schweiz. Auch Mizr A. ist seit über 20 Jahren in Deutschland. Nachdem es am ersten Verhandlungstag eine Verständigung zwischen Schöffengericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung gab, wurde das mögliche Strafmaß bereits eingegrenzt: Said E. drohten zwischen drei Jahre und sechs Monaten bis zu vier Jahren Haft.
Geständnis erspart ein weiteres Jahr in Haft
Die Kombination aus umfassendem Geständnis und Schmerzensgeld habe nicht nur dem Gericht viel Zeit gespart. Staatsanwaltschaft und das Schöffengericht hielten dem Angeklagten zu Gute, dass er die Verantwortung für die Tat übernahm. „Sie haben sich mindestens ein Jahr durch Ihr Verhalten gespart“, sagte der Vorsitzende Richter. Doch es sei auch klar, dass die Familienmitglieder ohne ihn die Tat nicht begangen hätten – selbst wenn er nicht jedes Detail bestimmt habe und nicht gewollt habe, dass Mizr A. mit einem Messer aufgeschlitzt wird.
Freilassung schon in neun Monaten möglich?
Freikommen könnte der Anstifter schon in neun Monaten. Verteidiger Wolfgang Hoppe erklärte dem SÜDKURIER, dass eine sogenannte Halbstrafe in Frage komme. Dann müsste Said E. nur 21 Monate absitzen, zwölf davon verbrachte er bereits in Untersuchungshaft.
Ob der Familienstreit nach diesem Urteil ein friedliches Ende findet, ist abzuwarten: Hauptopfer Mizr A. nahm die Entschuldigung des Anstifters an und erklärte, an einer friedlichen Lösung mitwirken zu wollen. „Wenn er mit seiner Familie spricht, schaffen wir das“, sagte er. Beide Familien sollten in Frieden leben können. „Wir leben in einer Stadt, die jüngeren sehen sich jeden Tag in der Schule“, ergänzte er.
Für die Körperverletzung, die er Said E. zugefügt haben soll, steht ein Verhandlungstermin vor dem Singener Amtsgericht noch aus. Der Vorsitzende Richter Joachim Dospil fand das unglücklich – und wünschte den Beteiligten mehrfach eine friedliche Zukunft. „Sie hatten mal ein gutes Verhältnis. Wir hoffen, dass das wieder möglich ist.“
Angehörige hadern mit Übersetzung und sagen: Es war alles ganz anders
Einige Familienmitglieder des Angeklagten betonten allerdings noch kurz vor der Urteilsverkündung die Unschuld ihres Vaters und Cousins. Auch der Anwalt Johannes Hahnloser aus Schaffhausen, der Said E. eigentlich vertreten wollte und dann dem deutschen Verteidiger Wolfgang Hoppe diese Rolle überließ (der SÜDKURIER berichtete), zeigte sich nicht einverstanden. Für ihn sei Said E. ein Justizopfer, die Chats seien missverstanden worden. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.