Wenn Friederike Harter einen Gesprächspartner nicht mehr zu Gesicht bekommt, ist das ein gutes Zeichen. Dann braucht der Gesprächspartner keine weitere Beratung in den Räumen der Pro Familia mehr. Manchmal überlege sie, was aus dem ein oder anderen Klienten geworden sei. „Doch es muss alles gut sein, sonst wäre er ja wieder gekommen.“
Langweilig wurde es ihr ohnehin nicht, bald suchte der nächste ihren Rat. Friederike Harter hat innerhalb des Vereins auch eine Beratung für junge Mütter mitbegründet und Sexualaufklärung für Menschen mit Behinderung angeboten. Doch nun verabschiedet sie sich in Rente. Bevor sie geht, berichtet sie von der Entwicklung des Vereins, der sich seit den kämpferischen Anfängen in ihren Augen etabliert und professionalisiert hat.
In Singen geht es um Probleme und Themen einer Großstadt
„Irgendjemand muss sich ja kümmern. Und das tut Pro Familia„, sagt die Diplom-Sozialpädagogin überzeugt. Wann immer es um Sozialberatung bei Schwangerschaft, eine mögliche Abtreibung, junge Mütter oder Sexualität bei Menschen mit Behinderung ging, wusste Friederike Harter einen Rat. Pro Familia versteht sich als Anlaufstelle, die zu mehr Selbstbestimmung eines Menschen beitragen möchte (siehe Kasten). In Singen sei der Verein besonders gefordert, da die Mittelstadt eher die Probleme und Themen einer Großstadt habe. Mit einigen davon hätten die Konstanzer Kollegen weniger zu tun.
Während des Studiums kam sie an Pro Familia nicht vorbei
Als Harter begann, bei Pro Familia zu arbeiten, war der Verein noch in einer anderen Position: „Anfangs hatten wir einen kämpferischen, politischen Ansatz“, sagt sie und nennt die Schlagworte Frauenpolitik sowie die Paragrafen 218 und 219, die sich mit Schwangerschaftsabbruch beschäftigen. Harter stammt aus Engen und ging in den 1970er-Jahren für ihr Sozialpädagogik-Studium nach Tübingen. „Dort kam man an dem Thema Pro Familia nicht vorbei“, erinnert sie sich.
Nach dem Studium zog sie mit ihrem Mann und drei Kindern für sechs Jahre nach Kolumbien – „wir waren abenteuerlustig und wollten die Welt sehen“, sagt sie lächelnd. Nach zwei Jahren im Hegau, während derer Friederike Harter erstmals für Pro Familia arbeitete, verschlug es die Familie nochmal für vier Jahre nach Argentinien.
Von Engen nach Kolumbien, Argentinien – und zurück
Die Rückkehr von Buenos Aires nach Engen sei besonders für den damals 17-jährigen Sohn schwer gewesen. Friederike Harter musste sich eine neue Stelle suchen und fand sie am Klinikum. Der Sozialdienst dort sei eine gute und wichtige Arbeit, doch der Druck sei groß. Deshalb habe sie nicht gezögert, als 2005 bei Pro Familia wieder eine Stelle frei wurde.
Viele Singener waren schon in ihrem Büro
Heute kennt Harter viele der Gesichter, die ihr in der Singener Innenstadt begegnen. Doch wie erreicht man Menschen, die nicht von sich aus eine Beratungsstelle aufsuchen? Das ist eine gute Frage, sagt Friederike Harter. Manche hätten Angst und Vorbehalte. Häufig fanden junge Mütter, die sehr früh und möglicherweise ungeplant ein Kind erwarten, über Freunde und Bekannte zu Pro Familia. „Das Angebot hat sich rumgesprochen“, sagt die Sozialpädagogin. Ähnlich sei das bei Flüchtlingen: Wenn die Organisation beispielsweise einem Syrer geholfen habe, habe dieser das seinen Landsleuten erzählt und es kamen in der nächsten Zeit mehr Syrer als sonst.
Auch finanzielle Hilfen seien ein Türöffner, berichtet Harter, denn der Verein erklärt auch, welche Unterstützung es etwa in Form von Kindergeld gibt. Die Themen selbst hätten sich über die Jahre aber nicht gravierend geändert. „Es ist sehr bunt, aber das war es in Singen schon immer.“
Ein Abschied ohne Feier. Doch langweilig wird es ihr nicht
„Es war ein komisches Rausschleichen“, sagt sie zu ihrem Abschied. Denn wegen der Corona-Pandemie sah sich das Team vereinzelt oder online, kam aber nicht mehr in einem Raum zusammen. Geht sie nun mit einem lachenden und einem weinenden Auge? Sie werde die Kollegen und die verschiedensten Menschen in ihrer Beratung vermissen.
Doch vor allem gehe sie mit einem lachenden Auge. Denn auch im Ruhestand wird es ihr nicht langweilig werden: Dem Vereinsvorstand bleibe sie auch in Zukunft erhalten, außerdem könne sie viel für ihren nächsten Auftritt mit dem Madrigalchor üben. Und das Fernweh, das sie einst nach Kolumbien und Argentinien führte, das gibt es auch noch. Nun kann die nächste Radtour länger werden.