Corona-Pandemie, hohe Inflation, Konkurrenz durch Online-Handel – und dann auch noch die Eröffnung eines neuen Einkaufszentrums: Der Singener Einzelhandel ist seit Jahren im Umbruch. Die Stadtverwaltung hat daher der Gesellschaft für Markt- und Absatzforschung (GMA) den Auftrag erteilt, aktuelle Daten zu erheben. Die bis dahin jüngsten Daten stammten aus dem Jahr 2019, also aus einer Zeit vor der Eröffnung des Einkaufszentrums Cano und vor Corona. Die wichtigsten Fragen und Antworten aus dem Gutachten:
Wo liegen die Stärken und Schwächen des Handelsstandorts Singen?
Ein Stichwort, das in diesem Zusammenhang im Gutachten immer wieder auftaucht, lautet: Schweiz. Die Stadt Singen liege strategisch günstig zwischen Bodensee und Schweiz. Schweizer Kunden bringen zwar Kaufkraft mit – die Gutachter rechnen vor, dass diese pro Kopf etwa 68 Prozent über der in Deutschland liege. Doch damit gehe auch eine gewisse Abhängigkeit einher – und Unwägbarkeiten wie Wechselkurse oder Änderungen bei Zollformalitäten können Auswirkungen haben. Die Abhängigkeit wird noch verstärkt, da die Kaufkraft in Singen selbst relativ niedrig ist.
Auf der Plus-Seite des Standorts sehen die Gutachter die gute Erreichbarkeit, die wachsende Bevölkerung der Stadt, die vielen Menschen, die täglich zur Arbeit nach Singen pendeln, und die engagierte Arbeit für den Standort.
Wie hat sich die Kaufkraft entwickelt?
Ein günstiger Faktor für den Singener Handel ist unabhängig von der wachsenden Online-Konkurrenz, dass die einzelhandelsrelevante Kaufkraft in der Stadt und im Einzugsbereich gestiegen ist. Grob gesagt ist damit das Nettoeinkommen der Bevölkerung abzüglich fester Ausgaben beispielsweise fürs Wohnen gemeint. Ermittelt wird der Wert laut dem Branchendienst Michael Bauer Research aus amtlichen Daten. Und die legen nahe, dass die Menschen in Singen und Umgebung mehr Geld zur Verfügung haben, das sie im Einzelhandel ausgeben können.
Von 2018 bis 2022 stieg diese Summe allein im Stadtgebiet von 253 Millionen Euro auf 292 Millionen Euro (plus 15 Prozent). Im Marktgebiet auf der deutschen Seite der Grenze, das auch umliegende Gemeinden einschließt, stieg die Kaufkraft demnach im gleichen Zeitraum von 1,07 Milliarden Euro auf 1,26 Milliarden Euro (plus 18 Prozent).
Als Ursachen machen die Gutachter aus, dass mehr Menschen in die Region gezogen sind, zwischen 2017 und 2021 ist allein in Singen die Einwohnerzahl um 1,8 Prozent gewachsen. Im Umland seien es mitunter deutlich höhere Zunahmen. In derselben Zeit hätten die Menschen pro Kopf auch mehr ausgegeben.

Welche Rolle spielt das Einkaufszentrum Cano?
Als positiven Faktor für den Standort bezeichnen die Gutachter der GMA unter anderem, dass durch das Cano der Einzelhandel moderner geworden sei. Etwa 45 Prozent der Geschäfte dort seien bislang in Singen nicht vertreten gewesen. Etwa ein Viertel der Geschäfte ist von einem anderen Standort ins neue Einkaufszentrum umgezogen oder hat dort eine Filiale eröffnet. Die restlichen etwa 30 Prozent der Geschäfte im Cano sind Markenläden von Modemarken, die auch in anderen Häusern schon vertreten sind.
Das Fazit der Gutachter gibt im Nachhinein den Befürwortern des neuen Einkaufszentrums Recht. Es habe zwar Verlagerungen gegeben, aber den Einzelhandel doch ergänzt und modernisiert: „In den durch die Verlagerungen freigewordenen Ladenlokalen sind bis jetzt kaum Leerstände eingetreten; sie wurden entweder vom Einzelhandel oder von der Gastronomie nachgenutzt“, heißt es.
Welches Sortiment gibt es am häufigsten und was macht am meisten Umsatz?
Den größten Anteil an der Verkaufsfläche nimmt mit 28 Prozent der Bereich Hausrat, Einrichtung, Möbel ein, gefolgt von Bau-, Heimwerker-, Gartenbedarf (24 Prozent) und Bekleidung, Schuhe, Sport (20 Prozent). Beim Umsatz haben die Lebensmittelhändler die Nase vorn: 25 Prozent entfallen auf Nahrungs- und Genussmittel, 24 Prozent auf Bekleidung und 17 Prozent auf Hausrat.
Die Gutachter haben 358 Einzelhändler in der Stadt gezählt, die auf 197.800 Quadratmetern Verkaufsfläche zusammen 535 Millionen Euro Umsatz machen. 2018 lag der Umsatz noch bei 503 Millionen Euro in 341 Betrieben. Die meisten Flächen, nämlich 117.500 Quadratmeter, finden sich übrigens in Gebieten, die die Gutachter als dezentrale Lagen bezeichnen, wie im Industriegebiet. Das ist etwa auf große Möbelhäuser und Baumärkte zurückzuführen. 60.300 Quadratmeter liegen in der Innenstadt – davon nehmen Bekleidungs-, Schuh- und Sporthäuser (37.055 Quadratmeter) den größten Anteil ein.
Was aus dem Gutachten auch hervorgeht: Die Verkaufsfläche hat von 2018 bis 2023 leicht abgenommen, nämlich von 198.080 Quadratmeter auf 197.835 Quadratmeter.
Wie viele Kunden von außerhalb lassen in Singen ihr Geld?
Der Wert mit dem umständlichen Namen Zentralitätskennziffer gibt an, ob ein Handelsstandort viele Kunden von außerhalb anzieht. Berechnet wird er aus der Kaufkraft, die vor Ort zur Verfügung steht, und dem Umsatz, den der Einzelhandel tatsächlich macht. Liegt der Umsatz über der Kaufkraft, bedeutet das: Es müssen Kunden von außerhalb dazugekommen sein. In Singen liegt dieser Wert bei 183 Prozent. Das heißt: Es wird 83 Prozent mehr Geld in der Stadt ausgegeben, als die Einwohner selbst zur Verfügung hätten. Dieser Wert ist sehr hoch. Laut der GMA gehört Singen damit zu den Top fünf in Baden-Württemberg, die Werte zwischen 180 und 300 aufweisen.
Die höchste Anziehungskraft haben die Segmente Bekleidung (374 Prozent), Hausrat, Einrichtung, Möbel (319 Prozent) sowie Bau- und Heimwerkerbedarf (315 Prozent). In diesen drei Segmenten hat der Singener Handel auch deutlich mehr Fläche zu bieten als andere Städte mit 40.000 bis 50.000 Einwohner. Hohe Zentralitätswerte gibt es laut GMA auch in Konstanz (zwischen 140 und 180) und Gottmadingen (zwischen 120 und 140), das von der Nähe zur Schweiz profitiere.