Innerhalb von vier Jahren in die Bundespolitik, das muss man erstmal schaffen. Tabikan Runa, 22 Jahre alt, aus Singen hat das geschafft. Er begann Ende 2018 nach seinem Abitur am Friedrich-Wöhler-Gymnasium, sich bei den Grünen zu engagieren, war im Ortsverband und im Kreisvorstand. Nach seiner Ausbildung zum Verwaltungsfachangestellten wechselte er nun in die Bundesgeschäftsstelle der Grünen in Berlin. „Das war nicht geplant, eigentlich wollte ich studieren gehen“, berichtet Runa.

Er sieht es nicht als Nachteil, wenn junge Leute ohne lange Berufserfahrung in politische Ämter kommen – selbst wenn dafür teilweise Kritik laut wird. Auch die SPD-Bundestagsabgeordnete Lina Seitzl und Tengens Bürgermeister Marian Schreier haben die 30 erst vor wenigen Jahren überschritten und schildern, welche Rolle ihr Alter bei der politischen Arbeit spielt.

„Das ging alles ganz schnell“

Tabikan Runa hat die Stellenausschreibung für die Teamassistenz Parteiorganisation und Kampagnen in Berlin gesehen und sich kurzerhand beworben. „Dann ging alles ganz schnell“, erinnert er sich. Es folgten Wohnungssuche auf einem „katastrophalen Wohnungsmarkt“ in Berlin und Umzug im Eiltempo. Er habe immer davon geträumt, in der Bundesgeschäftsstelle zu arbeiten. Dass es so flott gehen würde, hätte er sich aber nicht träumen lassen.

Er will die Bundestagswahl miterleben

Jetzt ist er unter anderem für Projekte wie den barrierefreien Mitgliedsantrag oder die Organisation größerer Veranstaltungen mit zuständig. Sein Vertrag ist auf ein Jahr befristet. Runas Wunsch wäre aber, bis zur Bundestagswahl in Berlin zu bleiben und diese spannende Zeit mitzuerleben. Wenn es mit einer Verlängerung in Berlin nicht klappe, könne er sich aber vorstellen, sich wieder in der Politik in Singen zu engagieren und auch bei der Kommunalwahl 2024 anzutreten. Auch ein Studium käme für ihn nach wie vor in Frage.

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„Ich hätte nie gedacht, dass ich mal in Berlin leben würde“, berichtet er. Es gebe viel zu entdecken, aber er sei als Provinzstädter manchmal auch etwas überfordert. Der Schritt nach Berlin bedeute für ihn aber nicht unbedingt, dass er Politiker werden möchte. Derzeit liege es ihm mehr, im Hintergrund zu arbeiten und zu organisieren. „Wenn man in die Politik geht, tut man das meiner Meinung nach nicht, weil man karriereorientiert ist, sondern weil man etwas bewirken will. Im besten Fall wird jemand Politiker, weil er sich für eine Sache engagiert“, erklärt er.

Zu den Grünen ist der 22-Jährigen gegangen, weil die Partei wie keine andere für das Prinzip der Nachhaltigkeit in allen Bereichen eintrete: Sei es beim Thema Umwelt, Wirtschaft oder Soziales. Nachhaltig zu leben, zu arbeiten und zu wirtschaften sei für ihn das zentrale Thema der Zukunft. Deshalb engagiere er sich auch in der Fridays-for-Future-Bewegung.

Kritik an der Parteivorsitzenden sei unberechtigt

Die Kritik an der Laufbahn der grünen Parteivorsitzenden Riccarda Lang, dass sie ohne abgeschlossene Ausbildung eine Führungsposition inne habe, kann er nicht nachvollziehen. „Riccarda Lang macht einen Hammerjob“, sagt er. Die Arbeit eines Politikers solle man nicht danach bewerten, ob er oder sie einen Abschluss habe oder nicht. Wichtig sei, was man leiste.

Und egal ob in der Bundespolitik oder als Bürgermeister: „In solchen öffentlichen Positionen braucht man Gestalter, keine Verwalter.“ Das sei der zentrale Punkt. Alles andere könne man sich erarbeiten und spreche mit Experten, wenn man etwas nicht wisse.

Im Hegau tummeln sich einige junge Politiker

Auch SPD-Bundestagsabgeordnete Lina Seitzl ist der Meinung, dass Politik von der Vielfalt der Abgeordneten lebt: „Ich glaube nicht, dass es einen Stereotyp eines perfekten Politikers oder einer perfekten Politikerin gibt.“ Viel wichtiger als den beruflichen Hintergrund finde sie die Fähigkeit des Zuhörens, die Empathie für die Probleme der Menschen und die Leidenschaft, diese Probleme zu lösen.

Lina Seitzl, seit 2021 SPD-Bundestagsabgeordnete, plädiert für Vielfalt in der Politik.
Lina Seitzl, seit 2021 SPD-Bundestagsabgeordnete, plädiert für Vielfalt in der Politik. | Bild: Angelika Wohlfrom

Seitzl hat nach ihrem Studium der Politik- und Verwaltungswissenschaft in Konstanz als wissenschaftliche Mitarbeiterin der Uni St. Gallen gearbeitet. Diese Erfahrung erleichtert ihr die Arbeit als Politikerin. „Ich merke, dass vor allem mein wissenschaftlicher Hintergrund bei meiner täglichen Arbeit in Berlin sehr hilfreich ist“, berichtet sie.

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Gerade durch ihren Forschungsschwerpunkt in der Bildungspolitik brächte sie im Bildungsausschuss einige Erfahrungen mit. „Gleichzeitig fällt es mir durch mein langjähriges ehrenamtliches und politisches Engagement leichter, auf die Bürgerinnen und Bürger aktiv zuzugehen und Ihre Sorgen und Anliegen mit nach Berlin zu nehmen“, so die 33-Jährige.

Marian Schreier: „Demokratie lebt von unterschiedlichen Perspektiven“

Tengens Bürgermeister Marian Schreier, der 2015 als jüngster Bürgermeister im Ländle in sein Amt gewählt wurde und im kommenden Jahr nicht mehr antritt, ist ebenfalls der Meinung, dass verschiedene Generationen die Politik bereichern. „Demokratie lebt von unterschiedlichen Perspektiven. Daher braucht es Menschen mit viel Lebenserfahrung, aber auch junge Menschen in politischen Ämtern und Mandaten“, schreibt er auf Nachfrage. Er selbst hat nach dem Studium zwei Jahre Berufserfahrung im Berliner Politikbetrieb gesammelt.

Tengens Bürgermeister Marian Schreier findet verschiedene Generationen in der Politik ebenfalls bereichernd.
Tengens Bürgermeister Marian Schreier findet verschiedene Generationen in der Politik ebenfalls bereichernd.

Er persönlich halte es für sinnvoll, eine abgeschlossene Ausbildung oder einen Berufsabschluss zu haben bevor ein politisches Amt angestrebt wird – aber das allein entscheide nicht, ob jemand dafür qualifiziert sei. „Das Allerwichtigste vor eine Kandidatur ist, dass man ein Thema hat, eine Idee, was man verändern möchte“, so seine Überzeugung. Man sollte nicht einfach für ein Amt kandidieren, sondern etwas konkret bewegen wollen.

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