Singen So proppenvoll war die Singener Stadtbücherei vermutlich schon lange nicht mehr. Selbst im Treppenaufgang sind noch ein paar Notfallplätze untergebracht. So manch ein Interessierter muss direkt am Eingang wieder abgewiesen werden. Kristine Bilkau ist der Grund für diesen außergewöhnlichen Andrang. Die Organisatoren der Lesung können sich zufrieden auf die Schulter klopfen. Da ist ihnen ein echter Glückstreffer gelungen.

Nur wenige Tage vor ihrer Lesung wurde der 51-Jährigen der begehrte Preis der Leipziger Buchmesse für ihren Roman „Halbinsel“ verliehen. Nun sitzt sie hier und liest der gebannten Menge daraus vor.

Protagonistin Anett lebt seit Jahren an der Nordsee, hat dort ihre Tochter Linn allein aufgezogen. Die ist mittlerweile erwachsen, hat sich beruflich ganz dem Umweltschutz verschrieben und ist damit aus dem Gröbsten raus. Endlich kann Anett sich ihrem eigenen Leben widmen. Doch dann kommt plötzlich ein Anruf aus dem Krankenhaus. Linn hatte einen Schwächeanfall. Annett holt ihre Tochter selbstverständlich zu sich. Doch aus ursprünglich einer Woche werden Monate. „Die Mutter findet das überhaupt nicht prickelnd“, merkt die Autorin an.

Sehr einfühlsam und trotzdem fast nüchtern-sachlich beschreibt sie die Dynamik zwischen Mutter und erwachsener Tochter, wie beide ungewollt zurückfallen in ihre alten Rollen. „Anett ist an einem passiven Punkt gelandet“, erklärt Bilkau, „sie hat sich selbst ein bisschen verloren.“

Doch auch für ihre Tochter ist es ein Wendepunkt. Weiter erläutert sie ihrem Singener Publikum: „Es geht um Aufrichtigkeit in Linns Beruf, aber auch zwischen Mutter und Tochter.“ Neben dieser Mutter-Tochter-Beziehung, wie sie vermutlich häufig zu finden ist, ist im Roman auch der Umgang der verschiedenen Generationen mit der Klimakrise ein großes Motiv. Linn hat sich ja auch beruflich der Umweltrettung verschrieben. Anetts Bezug dazu ist viel distanzierter. Hier kommt auch der Handlungsort zum Tragen. „Die Küstennähe ist ein zentrales Thema des Buchs“, erzählt die Verfasserin, die selbst in dieser Region aufgewachsen ist. Wie der Meeresspiegel steigt, ist für die Küstenbewohner natürlich von existenzieller Bedeutung.

Bilkau gelingt es kunstvoll, drängende Fragen unserer Zeit zu verflechten. Dass sie selbst Mutter ist, war ein ausschlaggebender Punkt für die Buch-Idee: „Wie bringt man ein Kind in die Welt? Wie spricht man mit ihm? Die letzten Jahre waren sehr krisengebeutelt. Das hat mich beschäftigt.“