Es war der letzte Verhandlungstag im Fall Sabrina P. und einmal mehr waren die Zuschauerreihen im großen Saal des Landgerichts Konstanz gut gefüllt. Als letzte Zeugen wurden ein psychologischer Gutachter und die Gerichtsmedizinerin, die die Leiche von Sabrina P. untersucht hat, angehört. Neben der Schuldfähigkeit des Angeklagten kam dabei erstmals die Frage nach einem weiteren Detail zum Tod der jungen Mutter auf: Hat Sabrina P. noch gelebt, als sie vom Balkon geworfen wurde?

Stirnverletzungen bringen schrecklichen Verdacht

An der Leiche wurden laut der rechtsmedizinischen Gutachterin Verletzungen im Bereich der Stirn gefunden, die ein Anzeichen dafür sein könnten, dass es zumindest noch Kreislaufaktivitäten gab, als der Körper von Sabrina P. nach ihrer Erdrosselung vom Balkon geworfen wurde.

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Die besagten Verletzungen hätten laut der Gutachterin stark bluten müssen. Da in der Wohnung allerdings keine Blutspuren gefunden worden seien, wäre es denkbar, dass die Verletzungen beim Fall vom Balkon entstanden seien. Voraussetzung dafür wäre dann aber gewesen, dass Sabrina P. zu diesem Zeitpunkt noch nicht tot war. Die Todesursache, da ist sich die Rechtsmedizinerin sicher, ist allerdings wirklich die Erdrosselung, beziehungsweise deren Folgen.

Die Frage nach der Schuldfähigkeit

Eine weitere wichtige Frage hatte im Anschluss an die Ausführungen der Gerichtsmedizinerin der psychologische Gutachter zu klären: Ist Marcel K. überhaupt schuldfähig?

Der Gutachter verwies auf die schwierige Kindheit, die abgebrochene Schule und die nicht abgeschlossene Ausbildung zum Straßenbauer sowie auf den Alkohol und Drogenkonsum des Angeklagten. „Das sind keine optimalen Aufwuchsbedingungen“, fasste er das bisherige Leben des 22-Jährigen zusammen.

Gutachter findet klare Worte

Doch trotz allem: „Es gibt keine Anzeichen für eine Intelligenzminderung. Ich konnte auch keine Anzeichen für psychische Erkrankungen feststellen. Im Gegenteil. Sein Denken ist klar und geordnet und sein Realitätsbezug nicht beeinträchtigt“, führte der Gutachter aus.

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Im Hinblick auf die Persönlichkeit von Marcel K. sprach er von einer „Persönlichkeitsakzentuierung“, also dem Vorhandensein von auffälligen Persönlichkeitsmerkmalen. Von einer schwerwiegenden Störung könne man hierbei aber nicht sprechen. Alle gehörten Zeugenaussagen deuten dem Gutachter zufolge darauf hin, dass der Angeklagte zum mutmaßlichen Tatzeitpunkt auch nicht unter dem Einfluss von Alkohol oder Drogen stand.

Dass der Angeklagte auch noch das Kätzchen von Sabrina P. tot getreten haben soll, lasse für den Gutachter „eine geringe Achtung für das Leben eines anderen Lebewesens erkennen.“ Daher sehe er bei Marcel K. keine Anzeichen für eine verminderte Schuldfähigkeit.

Schon kurz nachdem die Leiche von Sabrina P. in der Nähe des Stockacher Stadtwalls gefunden worden war, bildete sich eine Gedenkstätte ...
Schon kurz nachdem die Leiche von Sabrina P. in der Nähe des Stockacher Stadtwalls gefunden worden war, bildete sich eine Gedenkstätte für die junge Mutter. | Bild: Löffler, Ramona

Echte Reue fehlt

Oberstaatsanwalt Ulrich Gerlach ging davon aus, dass sich die Tat im wesentlichen so ereignet hat, wie es der Angeklagte gestanden hat. Wie genau die Tat sich im Detail abgespielt hat und ob Sabrina P. noch lebte, als sie vom Balkon geworfen wurde, lässt sich aus seiner Sicht nicht mehr sicher rekonstruieren. Allerdings mache es für seine Forderung zum Strafmaß keinen großen Unterschied, denn „der Angeklagte ist voll schuldfähig und hat Sabrina P. aus niedrigen Beweggründen getötet. Die Mordmerkmale sind somit gegeben“, so Gerlach.

Dem Angeklagten attestierte der Staatsanwalt „das absolute Fehlen von echter, reflektierter Reue“. Eine besonders schwere Schuld sah er bei Marcel K. indes nicht. „Für den Angeklagten spricht sein Geständnis, dass er kaum Vorstrafen hat, sein junges Alter von 22 Jahren und der bisher problematisch verlaufene Lebensweg.“ Auch den Aspekt der Heimtücke, der besonders erschwerend hinzukommen könnte, sah Gerlach in diesem Fall nicht gegeben.

Keine Schwere Schuld, trotzdem Lebenslänglich

Trotzdem plädierte der für eine lebenslängliche Haftstrafe wegen Mordes. Ohne den Aspekt der besonderen Schwere der Schuld bedeutet dies, dass Marcel K. nach 15 Jahren auf Bewährung frei kommen könnte, sofern das Gericht entsprechend entscheidet.

Rechtsanwalt Gerhard Zahner, der die Nebenklage in diesem Fall vertritt, sah den Aspekt der Heimtücke indes als gegeben an, weil Sabrina P. seiner Meinung nach in der besagten Streitsituation weder mit einem solchen Angriff rechnen konnte, noch eine Chance hatte, sich zu wehren.

Viele weitere Leben betroffen

Er erinnerte zudem daran, dass im Laufe des Prozesses immer wieder an das Gewissen des Angeklagten appelliert worden sei. „Trotzdem gab es kein einziges Wort des Angeklagten an die Familie. Nichts, das meine Mandantin mitnehmen kann und keine Aussage zu seinen Beweggründen. Das Kind wird dadurch nicht nur mit dem Verlust der Mutter und des Vaters bestraft, sondern auch mit dem Verlust des Verstehens für die Situation in der es ist“, so Zahner.

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Vor dem Hintergrund des Plädoyers der Staatsanwaltschaft richtete sich Zahner auch noch persönlich an den Angeklagten. „Was mir Angst macht: Sie sind 22 Jahre alt. In 15 Jahren sind sie 37, dann kommen Sie vielleicht aus dem Gefängnis. Wenn Sie diese Zeit nicht nutzen, um ernsthaft mit jemandem über ihre Tat zu sprechen, und sich damit auseinanderzusetzen, wird das wieder passieren“, so Zahner.

Verteidiger plädiert auf Totschlag

Rechtsanwalt Henning Stutz vertritt in diesem Prozess den Angeklagten. Er ging ebenfalls davon aus, dass sich die Tat im Wesentlichen so ereignet hat, wie es der Angeklagte in seinem Geständnis geschildert hatte.

Insgesamt müsse aber vorsichtig sein, keine Doppelwertung vorzunehmen. „Wenn man jemanden tötet, dann ist das schon an sich verwerflich“, so Stutz. Doch die Hürde zu den niederen Beweggründen, die für den Vorwurf des Mordes entscheidend sind, sei hoch und Stutz sieht sie in diesem Fall nicht als gegeben. „Es war ein kurzer Moment, in dem er erfüllt war von Wut und Hass“, so Stutz.

Freiheitsstrafe im einstelligen Bereich gefordert

Das Geständnis und die schwere Kindheit müsse man seiner Ansicht nach zugunsten des Angeklagten auslegen. „Wir haben hier keine Mordmerkmale, aber Totschlag ist auch schon schlimm genug“, so Stutz. Er forderte für seinen Mandanten eine Freiheitsstrafe im einstelligen Bereich, also weniger als zehn Jahre. Wie das Gericht letztendlich entscheidet, das wird sich am kommenden Montag, 12. Juni, bei der Urteilsverkündung zeigen. Bis dahin gilt für den Angeklagten auch weiterhin die Unschuldsvermutung.

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