Sie hätte es wissen müssen, hat aber nichts unternommen. Weil eine 40-Jährige aus Pfullendorf dem sexuellen Missbrauch ihrer zwölfjährigen Tochter keinen Einhalt gebot, wurde sie vor dem Schöffengericht Sigmaringen zu einer einjährigen Freiheitsstrafe verurteilt, die für drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt ist. Die Schöffen unter Vorsitz von Richterin Kristina Selig sahen die schweren Versäumnisse der Mutter als erwiesen an, die somit dem Treiben eines zeitweise im Haus lebenden Mannes „Beihilfe“ geleistet habe. Sexuelle Handlungen gegenüber unter 16-Jährigen sind gesetzlich strafbar.
Vorfälle liegen fast vier Jahre zurück
Nach Schilderung der Angeklagten hatte sich 2019 ein Arbeitskollege ihres Mannes regelmäßig an Wochenenden und Feiertagen in ihrer Pfullendorfer Wohnung einquartiert. „Irgendwann“, so die Aussage der Frau vor Gericht, habe sie beim Wechseln der Bettwäsche ihrer zwölfjährigen Tochter Spuren von Sperma entdeckt. Und ihr Mann erzählte ihr damals, dass sein Kollege eines späten Abends aus dem Zimmer des Mädchens gekommen sei. Über ihre Mutmaßung, dass es im Zimmer ihrer Tochter zu sexuellen Handlungen gekommen sein könnte, habe ihr Mann „sehr schockiert“ reagiert. Daraufhin fassten beide den Entschluss, die Zimmertüre bei ihrer Tochter zu entfernen, um das dortige Geschehen besser kontrollieren zu können. Der Arbeitskollege habe nach diversen Streitigkeiten Ende 2019 das Haus verlassen und sei nicht mehr zurückgekehrt. Offenbar lebe er heute wieder in seiner Heimat in einem südosteuropäischen Land.
Mutter lenkt auf das Kind ab
Die Angeklagte versuchte vor Gericht, ihre damalige Untätigkeit damit zu entkräften, indem sie ihrer Tochter den „Schwarzen Peter“ zuschob. Die Zwölfjährige habe ihr in einem Gespräch eröffnet, dass sie nun eigene sexuelle Erfahrungen sammeln wolle: „Sie hat alle Männer provoziert!“ Als die Mutter auf dem Handy ihrer Tochter deren Nacktbilder in der Badewanne entdeckte, habe diese sich damit gerechtfertigt, diese ausschließlich für sich selbst gemacht zu haben. Zudem berichtete die Angeklagte, dass sie bei dem Mädchen diverse Schriftverkehre sexuellen Inhalts bemerkte.
Des Weiteren habe diese im Januar 2020 erklärt, zu einem weit entfernt wohnenden Freund mit dem Zug fahren zu wollen, was ihr die Mutter ausdrücklich untersagte. Später habe diese ultimativ gefordert, dass ihr Freund in die elterliche Wohnung nach Pfullendorf kommen dürfe. Die Angeklagte schilderte auch, dass die Tochter schon versucht habe, sich die Pulsadern aufzuschneiden.
Staatsanwältin herrscht Beschuldigte an
Aus den teilweise konfusen Schilderungen der Beschuldigten entwickelte sich vor dem Schöffengericht ein kleinliches Verhör über den detaillierten Ablauf des damaligen Geschehens in ihrem Haus. Staatsanwältin Denise Merkle fuhr förmlich aus der Haut und herrschte die Angeklagte an, die vollends verwirrt reagierte und in Tränen ausbrach. Ihr Verteidiger, Rechtsanwalt Marco Schiedt, bat daraufhin um eine längere Unterbrechung der Verhandlung. Ergebnis der internen Unterredung war, dass seine Mandantin einräumte, die sexuellen Handlungen nicht unterbunden zu haben.
Beschuldigte schildert ihre Überforderung mit der Situation
Die seit 1999 in Deutschland lebende Angeklagte, der eine Dolmetscherin zur Seite stand, erklärte zudem, dass sie sich nach der Geburt ihres zweiten Kindes in einem schlechten gesundheitlichen Zustand befunden habe. Sie sei einen Monat lang im Krankenhaus gelegen, habe sich acht Operationen unterziehen müssen. Deshalb hätte sie es nicht vermocht, den Arbeitskollegen ihres Mannes zur Rede zu stellen. Und ihre Tochter signalisierte, mit ihr über dieses Thema nicht sprechen zu wollen. Dass die junge Frau durch das Eingeständnis ihrer Mutter nicht mehr selbst als Zeugin vor Gericht aussagen musste, habe diese, so Richterin Selig, mit sichtlicher Rührung und spürbarer Erleichterung aufgenommen.
Tochter hat heute keinen Kontakt zur Mutter
Für die Staatsanwältin war das Verhalten der „völlig überforderten Mutter“ dennoch keine Entschuldigung. In Kenntnis des sexuellen Missbrauchs ihrer Tochter hätte sie „so einen Typen vor die Tür setzen müssen!“ Das Kind sei für sie wohl „ein Störenfried in der Familie gewesen“, es würde erklären, weshalb die Angeklagte heute zur Tochter keinen Kontakt mehr habe. Ihr gefordertes Strafmaß fand sich schließlich im Urteil wieder. Auch der Verteidiger äußerte sich erleichtert darüber, dass sich seine Mandantin zu einem Geständnis habe durchringen können: „Die Strafe ist okay.“ Richterin Kristina Selig hielt ihr das Schuldeingeständnis ebenfalls zu Gute. Da bei der Frau weitere Kleinkinder im Haus leben, redete sie der Verurteilten eindringlich ins Gewissen: „Sie müssen selber aktiv werden und aufpassen, dass solche Dinge zukünftig nicht mehr vorkommen!“ Zusätzlich zum Strafmaß wurde ihr auferlegt, binnen eines Jahres 60 Stunden gemeinnützige Arbeit zu leisten.